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Der ganz normale Wahnsinn

Selbstüberschätzung und Understatement

Familienbloggerin Sandra C. stellt bei ihren Kindern schon jetzt typische Verhaltensmuster in Sachen Selbsteinschätzung fest. Und nimmt sich fest vor, in Zukunft ein bisschen mehr so zu sein, wie ihr Sohn. 

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Katze Löwe

Während sich Frauen tendenziell weniger zutrauen, leiden Männer an einem Grössenwahn, sagt Bloggerin Sandra C.

Getty Images

Aufgefallen ist es mir erst vor Kurzem. Genau gesagt, seit mein Sohn zur Schule geht und Hausaufgaben hat. Am Ende dieser Aufgabenblätter sollen die Kids jeweils eine Selbsteinschätzung abgeben: zwei Sonnen für «sehr gut», eine Sonne für «gut» eine Wolke für «genügend», zwei Wolken für «ungenügend». Der Lehrer kreuzt dann auf einer zweiten Linie an, was das Kind tatsächlich geleistet hat. Meine Tochter geht seit über zwei Jahren zur Schule, das System ist mir vertraut, aber ich habe mir noch nie wirklich Gedanken darüber gemacht. Vermutlich, weil sie fast immer eine Sonne angekreuzt und zwei erhalten hat. Nun, mein Sohn kreuzt immer zwei Sonnen an. Und hat vor Kurzem - nachdem er wieder zwei Sonnen angekreuzt hat - zwei Wolken erhalten! Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Nicht, weil er die Aufgabe verhauen hat. Das kommt vor. Aber diese Selbsteinschätzung - oder besser gesagt, diese Selbstüberschätzung - macht mich ein bisschen sprachlos. Und bringt mich ins Grübeln. Ich wage zu behaupten: Bei meiner Tochter wäre so etwas nicht passiert.

Und ich wage noch etwas zu behaupten: Selbstüberschätzung ist männlich, Understatement weiblich. Das ist überhaupt nicht nur negativ gemeint. Im Gegenteil: Etwas mehr maskulines «Klar kann ich das» hätte mir in den letzten Jahren sicherlich nicht geschadet. Wenn ich es mir genau überlege, habe ich schon x solcher Situationen miterlebt. Eine Frau überlegt sich zehn Mal, ob sie etwas wirklich kann, und sagt nur dann zu, wenn sie sich sicher ist, dass sie nicht scheitert. Denn das wäre für sie eine unakzeptierbare Blamage. Männer schreien eher sofort «Ich kann das!» - und wenns in die Hose geht, gibt es tausend Gründe dafür. Schämen muss Mann sich nicht - jeder fällt mal auf die Schnauze.

Vor Kurzem hab ich mich mal wieder unglaublich über einen «Weltwoche»-Artikel aufgeregt. Der - notabene männliche - Autor behauptet, Journalistinnen mit Kindern würden kaum über ein anderes Thema mehr schreiben als über ihre Mutterschaft. Stimmt zwar nicht - obwohl ich ja auch über meine Mutterschaft schreibe, aber nicht ausschliesslich - aber das hat mich noch gar nicht mal so genervt. Doch der Autor behauptet auch, viele Medien hätten gern mehr Frauen in den Führungsetagen, es gäbe aber keine, die qualifiziert genug seien oder die überhaupt in die Chefetagen wollen. Liebe Weltwoche, qualifizierte Frauen gibt es genug, da bin ich mir sicher. Mehr als genug. Aber dass es schwierig ist, eine zu finden, die will, das glaube ich. Nicht, weil wir Kinder haben. Nicht, weil wir über sie schreiben. Und auch nicht, weil wir nicht wollen. Sondern weil wir lieber einmal mehr Nein sagen, als zu scheitern. Nicht nur, weil dann unser Selbstvertrauen zerrüttet würde. Sondern auch, weil wir in der Luft zerrissen werden, wenn wir uns selbst zu viel zugetraut haben. Während ein Mann stillschweigend und schulterzuckend seine Sachen packt und weiterzieht.

Ich fragte meine Tochter also kürzlich, warum sie keine zwei Sonnen ankreuze bei ihren Hausaufgaben. Weil es ihr peinlich wäre, wenn sie dann nur eine kriegen würde, meinte sie. Und ich fragte meinen Sohn, warum er eigentlich immer zwei Sonnen ankreuze. Er schaute mich verständnislos an und fragte: «Warum nicht?» Aber ich habe mir fest vorgenommen, in dieser Hinsicht in Zukunft ein bisschen mehr so zu denken wie mein Sohn. Und wenns dann in die Hose geht, schiebe ich ihm die Schuld dafür in die Schuhe.

am 3. Oktober 2013 - 14:47 Uhr, aktualisiert 21. Januar 2019 - 01:34 Uhr