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Der ganz normale Wahnsinn

Ich bin eine Versagerin

Seit sie Kinder hat, kennt Familien-Bloggerin Sandra C. zwei Gefühle, die ihr vorher fremd waren. Zum einen das der totalen Hilflosigkeit, zum anderen das Gefühl, auf ganzer Linie versagt zu haben. Und je älter der Nachwuchs wird, desto öfter wird sie von diesen Emotionen heimgesucht.

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Familienblog Sandra C.: Versagensängste

Seit sie Kinder hat, quälen Familien-Bloggerin Sandra C. Versagensängste.

Getty Images

Da hockt er, mitten auf der Skipiste. Knapp 125 Zentimeter Mensch, am ganzen Körper zitternd vor Wut. Mein Sohn sieht mich an und stösst ein knappes «Fick dich!» hervor. Ich weiss nicht, was ich sagen soll. Ich weiss nicht, was ich machen soll. Ich frage mich in dem Moment nicht mal, welcher seiner Schulfreunde ihm das Wort beigebracht hat. Natürlich kann ich nichts dafür, wenn er sich mit dem Snowboard flachlegt - auch wenn das für ihn offensichtlich anders aussieht.

Nachdem ich fünf Minuten lang seinen Tobsuchtsanfall über mich ergehen liess, fand ich, es sei langsam Zeit, aufzustehen und weiterzufahren, ich hätte keine Lust, den Rest des Tages hier rumzustehen. Auf seine Bemerkung, wie blöd und gemein ich sei, meinte ich, dann fahre ich halt allein weiter. Und dann eben das. Fick dich! Fick! dich! Wenn dein siebenjähriger Sohn so etwas zu dir sagt, bist du als Mutter eine Totalversagerin. Und jetzt mal eine ganz ernsthafte Frage an alle Eltern, die immer behaupten, es käme überhaupt nicht in Frage, dass ihre Sprösslinge sie nur schon schräg ansehen: Was hättet ihr getan in der Situation? Und vergesst nicht: Ihr seid mitten auf der Skipiste, mit Ski bzw. Snowboard an den Füssen und noch einem Kind dabei, dessen Geduld auch nicht unerschöpflich ist.

Wie gesagt, ich kannte dieses Gefühl des totalen Versagens nicht, bevor ich Kinder hatte. Klar, hab ich auch mal eine Prüfung verhauen oder bin in das eine oder andere Fettnäpfchen getreten. (Wenn ichs mir recht überlege, habe ich sogar nicht viele von denen ausgelassen - nur hab ichs nicht immer gemerkt.) Aber das Gefühl alles - wirklich alles - falsch gemacht zu haben, das gab es so nicht. Seit die Kids da sind, gibt es das immer wieder. Als meine Tochter, noch nicht einmal jährig, beim Laufenlernen vor meinen Augen in den See fiel. Als ich nicht merkte, dass mein kleiner Sohn eine Ohrenentzündung hatte. Immer dann, wenn er auf dem Spielplatz zuschlug - und das war eine Zeit lang fast täglich.

Als vor Kurzem wieder mal ein Mail seiner Lehrerin kam, er habe schon wieder die Hausaufgaben nicht gemacht. Ja, ich hätte ihm nicht einfach glauben sollen, als er sagte, er habe keine. (Zumal ich ja weiss, dass er es da mit der Wahrheit nicht immer so genau nimmt.) Ja, es war bequemer, ihm einfach zu glauben, statt wieder einmal die Mütter seiner Schulfreunde durchzutelefonieren und nach den Hausaufgaben zu fragen - was mir zugegebenermassen langsam peinlich ist. Ja, ich hätte das trotzdem tun sollen. Und ja, ich habe versagt. Und irgendwie scheine ich nicht mal aus meinen Fehlern zu lernen. Habe ich doch meinem Sohn kürzlich ein Schloss mit Schlüssel gekauft, um sein Trottinett anzuketten. Selbstverständlich hat er innerhalb von zwei Wochen sowohl Schlüssel als auch Ersatzschlüssel verloren und das Trottinett steht jetzt angekettet vor der Schule. Ich hätte es besser wissen müssen. Ich habe versagt. Einmal mehr.

Später, auf dem Sessellift, fragt mein Junior: «Bisch trurig, Mami?» Wieder weiss ich nicht, was ich sagen soll. Ich bin wütend. Auf mich selbst. Weil mir einmal mehr eine Situation total entglitten ist. «Das war nicht so ein schönes Wort, das ich zu dir gesagt habe, gell.» - «Nein, war es nicht.» - «Wenn ich verspreche, dass ich das nie mehr sage, können wir dann einfach vergessen, was passiert ist, und von etwas anderem reden?» - «Okay. Hast du eigentlich noch Hausaufgaben?» - «Nein.» Ohje!

am 27. Februar 2014 - 14:36 Uhr, aktualisiert 21. Januar 2019 - 01:33 Uhr