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Der ganz normale Wahnsinn

Kinder brauchen ein Recht auf gewaltfreie Erziehung

Am 30. April ist der nationale «No Hitting Day» - Tag der gewaltfreien Erziehung. Sandra C. hat zwar bereits einmal über das Thema gebloggt, aber es liegt ihr so sehr am Herzen, dass sie es nochmals tut. Denn auch in der Schweiz werden noch immer Zehntausende von Kindern als Erziehungsmassnahme regelmässig geschlagen, getreten, geschubst und an den Haaren gezogen. Vor diesem Hintergrund findet die Familienbloggerin: Das Recht auf gewaltfreie Erziehung muss im Gesetz verankert werden.

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Verbale wie körperliche Gewalt hat mit Erziehung nichts zu tun, findet Bloggerin Sandra C. 

Getty Images

Als ich etwa so alt war wie mein Sohn heute, ging ein Bub in meine Klasse. Nennen wir ihn Marc. Marc hatte regelmässig Schrammen im Gesicht und blaue Striemen am Oberkörper. Die anderen Jungs grölten und hänselten ihn jeweils, wenn sie es in der Umkleidekabine vor dem Sportunterricht entdeckten. Alle wussten es. Auch die Lehrer. Es hat nie jemand etwas gesagt oder getan. Auch ich nicht. Ich traute mich nicht. Denn so ungerecht mir das damals schien, ging ich davon aus, dass es halt normal war, dass gegen Kinder ab und zu die Hand erhoben wurde. Auch wenn das bei mir zu Hause nicht so war. Und dass der einzige, der sich dafür schämen musste, Marc selbst war. Nicht seine Eltern, die ihm die Striemen verpasst hatten. Nicht seine Schulkollegen, die ihn deswegen auch noch hänselten. Und nicht seine Lehrer, die schweigend zuschauten. Ich habe manche Träne vergossen wegen Marc. Weil ich schon damals nicht begreifen konnte, wie man sein eigenes Kind schlagen kann. Und heute, wo ich selbst Mutter bin, begreife ich es noch weniger.

Ich gebe zu, dass meine Schulzeit schon eine Weile her ist. Aber auch aktuellere Studien ergeben, dass viele Eltern körperliche Strafen noch immer für angemessene Erziehungs-Massnahmen halten. Auch in der Schweiz werden Zehntausende von Kindern regelmässig ins Gesicht, auf Hände oder Po geschlagen, geschubst und an den Haaren gerissen. Eltern wollen ihren Kindern so Grenzen setzen. Und merken nicht, dass sie selbst diese mit jedem Schlag und nicht selten auch mit Worten ganz gewaltig überschreiten. Auch das muss erwähnt werden: Auch psychische Gewalt ist kein adäquates Erziehungsmittel. Ich habe schon Eltern erlebt, die ihre Kinder verbal dermassen niedermachten, dass mir Angst und Bange wurde. Gewalt - ob physisch oder psychisch - ist immer ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Kinder zu erziehen, ist vermutlich die schwierigste Aufgabe überhaupt. Aber auch sie beginnt mit etwas ganz Banalem: gesundem Menschenverstand. Die allermeisten Eltern hierzulande möchten, dass aus ihrem Nachwuchs respektvolle, anständige Leute werden, die andere und deren Grenzen akzeptieren. Wie soll ein Kind Respekt und Anstand lernen, wenn es selbst nicht entsprechend behandelt wird? Und wie soll ein Kind lernen, Grenzen zu akzeptieren, wenn seine eigenen - auch die körperlichen - regelmässig überschritten werden? Und last but not least: Wie soll ein Kind lernen, Konflikte gewaltfrei zu lösen, wenn es geschlagen wird?

Die nationale Stiftung Kinderschutz Schweiz setzt sich zum «No Hitting Day» dafür ein, dass das Recht von Kindern auf gewaltfreie Erziehung im Zivilschutzgesetzbuch verankert wird. Unser Gesetz muss allen Eltern und Erziehungsberechtigten signalisieren: Ein Kind zu schlagen, ist kein Kavaliersdelikt. Die lapidare Aussage «eis a d Ohre hät no keinem gschadet» ist schlicht und einfach nicht wahr. Jeder Schlag, den ein Kind trifft - und sei es nur eins auf die Finger - trifft seine Würde und seine Integrität. Und ich kann nur noch einmal wiederholen, was ich letztes Mal zu diesem Thema geschrieben habe: Respekt kann man einem Kind nicht einprügeln. Nur vorleben.

Alle Infos zum «No Hitting Day» gibt es auf Kinderschutz.ch

am 28. April 2016 - 13:21 Uhr, aktualisiert 21. Januar 2019 - 01:29 Uhr