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Der ganz normale Wahnsinn

Pädagogik, Erziehung und Erpressung

Experten haben sich schon die Finger darüber wund geschrieben, wie man Kinder richtig erzieht. Familienbloggerin Sandra C. hat mittlerweile herausgefunden, dass bei ihren Kindern nur das funktioniert, was verpönt ist: Erpressung und Belohnung.

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Natürlich hat Professor Remo Largo Recht, wenn er sagt, dass zur Erziehung in erster Linie Liebe gehört. Aber manchmal kommt man ums Erpressen einfach nicht rum!
RDB/SI/Thomas Buchwalder

Pädagogen wie Bernhard Bueb oder Michael Winterhoff schwören auf Autorität und Disziplin. Sie seien das Fundament aller Erziehung, findet Bueb. Winterhoffs These ist, dass Kinder heutzutage zu sehr als gleichwertige Partner angschaut werden und sie das orientierungslos macht. Und dann gibts noch Remo Largo, der in eine ganz andere Richtung geht, und sagt, alles was es brauche, sei Liebe. Denn Kinder gehorchen nicht wegen erzieherischer Massnahmen, sondern weil sie emotional abhängig von ihren Erziehern sind.

Vermutlich haben alle drei in gewissen Punkten recht. Aber wer nicht Pädagogik studiert hat, macht in der Kindererziehung halt einfach das, was er oder sie in dem Moment für richtig hält. So wie ich. Irgendwie endet das bei mir meist mit Erpressung oder einer Belohnung in irgendeiner Form. Und ich finde, das ist gar nicht so übel wie man sagt. Hier zwei Beispiele:

Mein Sohn nennt seine Schwester «Arschloch», die knallt ihm eins. Sie prügeln sich, schreien, verpetzen sich gegenseitig. Nach Bueb oder Winterhoff würde ich jetzt ein Kind ins Kinderzimmer sperren und das andere in die Küche, und da würden sie bis zum Abendessen bleiben. Da wir aber von meinen Kindern sprechen, würde das eine Kind das Kinderzimmer verwüsten und das andere den Kühlschrank leer räumen. Das ist also keine Option. Nach Largo würde ich beide Kinder in den Arm nehmen und ihnen sagen, dass ich sie auch liebe, wenn sie sich gegenseitig die Nase brechen, aber dass es mich wahnsinnig glücklich machen würde, wenn sie es nicht tun. Da ich ihnen tatsächlich zutraue, dass sie sich gegenseitig die Nase brechen, ist das auch keine Option. Ich verhänge also drei Tage Fernsehverbot für den Fall, dass jetzt nicht sofort Ruhe ist, und alles ist geritzt.

Meine Tochter ist eigentlich sehr gut in der Schule, aber leider eines der faulsten Kinder Nordeuropas. Mit ihr für ein Diktat zu üben, ist extrem nervenaufreibend, da ihr zwischendurch tausend Dinge einfallen, die sie dringend und unbedingt sofort erledigen muss - Barbiepuppen kämmen, ein verlegtes Spielzeug suchen, jemandem in sein Freundschaftsbuch schreiben. Konzentration? Fehlanzeige. Ist doch egal, ob man «Geschenk» oder «Geschenck» schreibt, auf das eine Fehlerchen kommts eh nicht an. Nach Bueb/Winterhoff würde ich sie jetzt das ganze Diktat so lange wiederholen lassen, bis sie drei Mal hintereinander null Fehler hatte. Sorry, aber dafür hab ich schlicht und einfach keine Nerven. Nach Largo würde ich ihr sagen, dass ich sie auch liebe, wenn sie Fehler macht, aber dass es mich wahnsinnig glücklich machen würde, wenn sie keine macht. Und dann landet sie irgendwann an der Migros-Kasse, dabei hätte sie eigentlich Neurobiologie studieren können. (Das war nur ein Vergleich - selbstverständlich ist es völlig okay, wenn sie Kassiererin in der Migros wird, wenn sie das möchte.) Ich sage ihr also, sie müsse selbst wissen, wie lange sie übt für dieses Diktat, aber bei null Fehlern werde das Taschengeld aufgestockt. Und siehe da: Sie schreibt seither ziemlich oft fehlerfreie Diktate.

Ich würde wirklich gern sagen, ich erziehe meine Kinder mit der richtigen Mischung aus Disziplin und Autorität und grenzenloser Liebe. Das versuche ich auch immer wieder. Aber wenns wirklich hart auf hart kommt, hilft nur Erpressen oder Belohnen. Und jeder, der mir sagt, es gehe auf jeden Fall auch ohne, hat Nerven aus Drahtseilen oder ist studierter Pädagoge. Oder hat schlicht und einfach sehr viel besser erzogene Kinder als ich.

am 4. Juli 2013 - 13:57 Uhr, aktualisiert 21. Januar 2019 - 01:42 Uhr