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  4. Der ganz normale Wahnsinn Blog Teil 3: Nie wieder stille Nacht!

Der ganz normale Wahnsinn

Nie wieder stille Nacht!

Kurz vor Weihnachten werde ich immer ein bisschen sentimental. Der Grund: Am 23. Dezember 2003 sah ich zum ersten Mal zwei rosa Striche auf einem Schwangerschaftstest - auf MEINEM Schwangerschaftstest. Ich reagierte völlig unverhältnismässig!

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«Gratuliere! Ab morgen wird alles anders: Du wirst Sklavin deiner Kinder!»
MICHELE LIMINA

Ich meine, stellt euch mal vor, es kommt jemand und sagt Folgendes zu euch:

«Gratuliere! Ab morgen trinkst du neun Monate lang keinen Alkohol mehr. Wie du das an Weihnachten deinen Liebsten erklärst, ist dein Problem. (Kleiner Tipp: Weih deinen Bruder ein und bitte ihn, unauffällig deinen Alkohol mitzutrinken. Ein grandioses Schauspiel! Und die fragende Bemerkung deiner Mutter, er habe doch gar nicht so viel getrunken...) Auch Lachs, Tartar, Rohschinken und Rohmilchkäse kannst du dir für die nächsten neun Monate abschminken. Dafür entwickelst du seltsame Gelüste - Ovomaltine zu einer Portion Pommes? - und nimmst ordentlich zu. 22 Kilo, um genau zu sein. 

Nach besagten neun Monaten zieht jemand bei euch ein, ein Mädchen. Ihre Ankunft ist für dich mit unvorstellbaren Schmerzen verbunden. Du wirst sie achtzehn Jahre lang durchfüttern, vermutlich noch länger. Du wirst ihr den Po abwischen und ihre Kotze aufputzen, und nächtelang versuchen, sie irgendwie zum Schlafen zu kriegen. Wenn sie krank ist, wirst du dich um sie kümmern. Wenn du krank bist, wirst du dich auch um sie kümmern. Sie wird sich niemals bei dir bedanken für all das. Im Gegenteil, du wirst es ihr eigentlich nie recht machen können, und ziemlich bald einmal bist du ihr peinlich.

In zwei Jahren fängt alles nochmal von vorn an. Diesmal wirst du nicht ganz so viel zunehmen, was vor allem daran liegt, dass du drei Monate lang drei Mal täglich über der WC-Schüssel hängst. Der Bub in deinem Bauch wird sich dermassen querstellen, dass man ihn rausschneiden muss, was so ungefähr das hässlichste an Narbe in deiner unteren Bauchregion hinterlässt, was du dir vorstellen kannst. Mit seinem Einzug geht der Spass erst richtig los. Es wird Zeiten geben, in denen du dich nicht nach draussen traust, weil er alles niederprügelt, was sich in einem Umkreis von einigen Metern um ihn herum bewegt. Sobald die vorbei sind, wirst du Stammgast auf der Notfallstation. (Ja, man kann es tatsächlich schaffen, sich am Silvesterabend den Draht einer Fernsteuerung in den Zeigefinger zu bohren!) 

Zusammen werden die beiden unschlagbar sein. Sie werden sich von frühmorgens bis spätabends in den Haaren liegen. ‹Könnt ihr nicht einmal fünf Minuten nicht streiten?› wird deine häufigste Aussage sein, dicht gefolgt von ‹Es ist mir egal, wer angefangen hat!› Du wirst regelmässig für sie kochen und sie werden dein Essen genau so regelmässig verschmähen. Du wirst ihnen liebevoll ein Zimmer einrichten, das sie nur unter Androhung schlimmer Strafen jemals aufräumen. Du wirst dort immer wieder barfuss in Legosteine treten und verschimmelte Bananenschalen aus irgendwelchen Schubladen entfernen. Sie werden Wutanfälle haben und dich mit Beleidigungen nicht verschonen. Und du wirst das alles ertragen. Jahrelang.»

All das sagten diese beiden rosa Streifen auf dem Schwangerschaftstest zu mir an diesem 23. Dezember 2003. Und ich? Sagte nicht «Spinnt ihr eigentlich? Sucht euch eine andere Doofe, die das mitmacht!» Nein - nach einem kurzen Schockmoment kamen mir die Tränen. Vor Freude! Warum? Ich habe keine Ahnung! Ich habe keine Ahnung, warum ich diese beiden nervtötenden Schmarotzer mehr liebe als mich selbst. Aber das tu ich! 

am 20. Dezember 2012 - 14:48 Uhr, aktualisiert 21. Januar 2019 - 01:41 Uhr