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  4. Bibi Nuggi (Kirschform) Rückruf statt alte Form bei Lamprecht AG

Stillstand statt Produktion

Nuggi-Hersteller kämpft um Existenz

Der Schweizer «I love Mama»-Nuggi ist Kult. Doch der neue Bibi besteht nicht alle Tests. Michael Nielsen von der Firma Lamprecht AG: «Es ist ein Schlag ins Gesicht. Alles wandert in den Müll.»

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Bibi Nuggi Rückruf alte Form weg, Firma Lamprecht auch Ceylor Kondome

Michael Nielsen ist Bereichsleiter Operations bei der Lamprecht AG in Regensdorf ZH.

Fabienne Bühler

Gespenstisch still ist es in den Produktionshallen der Lamprecht AG in Regensdorf ZH. Montagemaschinen sind eingepackt, niemand arbeitet. In den Regalen Dutzende Kisten mit roten Klebern. «Gesperrt» steht drauf. 600'000 Nuggi - verpackt und lieferbereit, nun gehen sie in den Müll. Michael Nielsen, 40, Bereichsleiter Operations der Lamprecht, sagt: «Es ist sehr bitter.»

Stolz blickt man bei Lamprecht auf 130 Jahre Tradition zurück. 1916 erhielt die Firma vom Bund den Auftrag, Kondome für die Armee herzustellen, um die Zahl ausserehelicher Kinder zu reduzieren. Heute ist man mit der Marke Ceylor Schweizer Marktführer. Und seit 76 Jahren produziert die Firma Nuggi, als einzige im Land. Ein Bibi-Nuggi mit dem Aufdruck «Papa is the best» oder «I love Mama» gehört zu den Standard-Geschenken für frischgebackene Eltern.

Vor vier Jahren beschliesst Lamprecht, den Nuggi-Klassiker nach 20 Jahren Dienstzeit von Grund auf neu zu gestalten. Produkt-Designer, Kinder-Zahnärzte, Logopäden, Ergonomen, Hebammen und Konstrukteure helfen, den besten, ausgewogensten und leichtesten Nuggi zu kreieren. «Wir erneuerten auch die Produktionsanlagen, investierten über sieben Millionen Franken», sagt Nielsen, der selber Vater von drei kleinen Kindern ist. Als der Nuggi vom Schweizer Warenprüfkonzern SGS erfolgreich getestet und zertifiziert ist, startet man die Massenproduktion. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Im Frühling lanciert Lamprecht das neue Produkt: den Bibi Excellence. «Perfektion, neu definiert», verspricht der Prospekt. Doch was für den Familienbetrieb ein Meilenstein sein soll, erweist sich als Stolperstein.

«Vor wenigen Wochen erreichten uns Meldungen aus Holland, wonach der Nuggi zu schnell durchgebissen werden kann», erzählt Nielsen. Der neue Bibi wird in der Folge intensiv geprüft, zunächst scheint alles in Ordnung. Die Behörden in Holland forschen jedoch weiter und stellen fest, dass der Nuggi den Zugtest nicht immer besteht. Dabei wird zehn Sekunden lang mit 90 Newton, also etwa neun Kilogramm Gewicht, am Sauger gezogen, vertikal und horizontal. «Etwa zehn Prozent schafften die Zehn-Sekunden-Belastung nicht ganz.»

Auch wenn kein Baby der Welt solche Kräfte aufbringt: Ein Nuggi, der die Sicherheitsnormen nicht erfüllt, muss vom Markt! «Am vergangenen Dienstag erhielten wir die Resultate. Es war ein Schlag ins Gesicht», sagt Nielsen. Die Produktion wird sofort eingestellt. In den Läden werden die Regale geleert. Statt Nuggi hängt dort jetzt ein Zettel: «Ich bekomme den letzten Schliff und bin bald wieder zurück.» Betroffen sind nicht nur die Bibi-Nuggi, sondern auch die Milette-Linie der Migros, die von Lamprecht hergestellt wird.

Stillstand statt Produktion im Mehrschichtenbetrieb. Weil man die alten, verbrauchten Produktionsanlagen entsorgte, kann Nielsen in Regensdorf auch kein Ersatzprodukt herstellen: «Es wird bis März oder April 2015 dauern, bis ein neues Modell entwickelt ist.» Ab Dezember soll wenigstens ein Ersatzprodukt eines deutschen Herstellers verkauft werden. Von den knapp 100 Angestellten sind über 20 direkt betroffen. «Wir versuchen, sie mit anderen Arbeiten zu beschäftigen, bauen Überzeiten und Ferienguthaben ab.» Als weiteren Schritt hat die Lamprecht bei den Behörden ein Gesuch für Kurzarbeit gestellt, doch die Verhandlungen seien unverständlicherweise schwierig. «Die meisten Angestellten arbeiten seit vielen Jahren bei uns. Wir kämpfen, um keine Kündigungen aussprechen zu müssen, weil wir unsere Leute nach fünf Monaten ja wieder brauchen.»

Etwa 2,5 Millionen neue Bibi-Nuggi wurden bis jetzt hergestellt. «Ein Teil ist bei uns, ein grosser Teil bei den Verteilern im Lager, ein kleiner Teil bei den Kunden. Diese können den Bibi zurücksenden und werden dafür entschädigt.»

Nielsen nimmt einen neuen Nuggi aus einer Kiste und zieht mit voller Kraft am Sauger. Nichts passiert, der Nuggi hält. «Tröstet uns nicht», sagt er bitter. Man könne nur hoffen, dass sich der Reputationsschaden in Grenzen hält. «Mit Umsatzausfall, Entschädigungen und Reinvestitionen geht der Schaden in die Millionen.» Trotzdem: Im kommenden Frühjahr soll hier endlich wieder Leben einkehren. «Dann werden wir ein Produkt herstellen, das die Sicherheitsnormen nicht nur erfüllt, sondern übertrifft.»

Von Alejandro Velert am 16. November 2014 - 08:13 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 16:46 Uhr