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Journalistin schleust sich in Whatsapp-Gruppe ein

Erschütterndes Protokoll aus einem Magersucht-Chat

Hungern, schwitzen, kotzen: In Whatsapp-Chats spornen sich magersüchtige Mädchen an, immer dünner zu werden. Eine «Beobachter»-Redaktorin wagte den Selbstversuch und machte in einer Gruppe mit. Ihr Erfahrungsbericht ist schockierend.

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Eine Anorexie-Gruppe zu finden, war einfach. Einer beizutreten, schon etwas schwieriger. «Beobachter»-Journalistin Nicole Krättli musste sich erst bewerben, um Mitglied von «Princess» zu werden. Mit Name, Alter, Grösse, Gewicht, Zielgewicht, Dingen, die sie an sich mag, und Dingen, die sie an sich hasst. Sie schummelte und bekam bald die erste Nachricht der Gruppenleiterin - die strikten Regeln der Gruppe:

  • Jeden Tag Feedback privat an mich und an die Gruppe: Gewicht, kcal gegessen, Sport.
  • Zwischen 7 und 22 Uhr mindestens 3x melden.
  • Jeden Dienstag eine Thinspo (Thin Inspiration, Inspiration zum Abnehmen) an die Gruppe.
  • Jeden Mittwoch ein Bild von sich schicken.
  • Jeden Sonntag vor 18 Uhr aktuellen BMI und 3 Bilder schicken: Waagebild, Bild mit geschlossenen Beinen von der Seite und Bild mit gschlossenen Beinen von vorn mit freiem Bauch und freien Beinen.
  • Jede Woche mindestens 400 Gramm abnehmen.
  • Immer versuchen, mehr kcal zu verbrennen, als man isst. Maximal 600 - 800 kcal pro Tag. Wenn drüber mit MIA (Essbrechsucht) beseitigen oder Sport.
  • Fressattacken melden und gemeinsam analyisieren. Werde jedoch massloses Fressen nicht dulden.
  • Alles bleibt unter uns!


Krättli akzeptierte die Regeln, wurde damit in die Gruppe aufgenommen und anschliessend mit Nachrichten überhäuft. «Es ist kurz nach Mitternacht. Das Handy vibriert pausenlos», schreibt sie. «Einziger Inhalt, wer wie viel gegessen, verbrannt und zugenommen hat. Fast im Sekundentakt gehen neue Nachrichten ein. Die ganze Nacht über.» Drei Mädchen seien im Ausgang gewesen, hätten zu viel getrunken und sich übergeben. Die Reaktionen der anderen Gruppenteilnehmerinnen: «Toll», «Ich will auch» und «So einfach kann Abnehmen sein».

Auch weitere Protokolle aus dem «Princess»-Chat sind erschütternd - ein Auszug (Namen der Mädchen wurden verändert):

Magersucht-Chat Auszug Protokoll
Screenshot «Beobachter»
Magersucht-Chat Auszug Protokoll
Screenshot «Beobachter»


Das Perfide: Die Journalistin ertappte sich bald selbst dabei, wie sie sich über eigenen Gewichtsverlust freute. «200 Gramm weniger, ich lächle. Im nächten Moment merke ich, was die Gruppe mit mir macht.»

Tauschten sich Anorexiekranke Mädchen früher noch in Internetforen aus, tun sie das heute vermehrt in - vermeintlich geschützten - Whatsapp-Chats. Die Bilder, die sie sich hin- und herschicken und auf denen sie meist spärlich bekleidet sind, locken jedoch Pädophile an. Nicole Krättli nimmt mit einem Kontakt auf. Er gibt sich als «Ana Coach» aus («Ana» steht für Anorexia nervose, also Magersucht) und bietet auf dem Blog «Thin Girls» seine Dienste an:

Magersucht-Chat Auszug Protokoll
Screenshot «Beobachter»


In der Whatsapp-Unterhaltung mit der «falschen» Magersüchtigen schreibt der «Coach» bald:

  • «Du kannst deinen Körper nicht immer nur bestrafen, manchmal musst du ihm auch Befriedigung gönnen. Gönnst du dir ab und zu Befriedigung?»
  • «Du musst lernen, dich einem männlichen Führer zu unterwerfen. Nur wenn du dich mir voll unterwirfst, kann ich dich zu Höchstleistungen bringen.»
  • «Du darfst dir meinen Lohn aussuchen. Ich nehme auch Nacktbilder. Ich werde sie auf keinen Fall verschicken oder ins Netz stellen, falls du das meinst. Das kann ich dir zu 100% garantieren.»


«Das Problem mit Whatsapp ist, dass es sich um einen nicht einsehbaren Kreis handelt», sagt die stellvetretende Geschäftsleiterin der Schweizerischen Kriminalprävention gegenüber dem «Beobachter». Rechtlich gesehen werde Herstellung, Versand und Speichern solcher Bilder Minderjähriger erst problematisch, wenn es sich um Nacktbilder und eindeutig aufreizende Posen handle. Dann spreche man von Kinderpornografie. Selbst die jungen Frauen könnten sich aber strafbar machen, «weil sie Bilder hergestellt und verbreitet haben». Die Expertin empfiehlt Eltern: das Gespräch suchen. Und auf die Gefahren hinweisen.

Von KF am 24. Juli 2015 - 14:28 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 15:58 Uhr