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Star-Architekt Santiago Calatrava

«Ich habe die Schweizer gern»

Seine gigantischen Bauten stehen in New York, Buenos Aires oder Valencia. Doch wirklich zu Hause fühlt sich Stararchitekt Santiago Calatrava in Zürich. Was er an der Stadt liebt und wo man ihn antrifft.

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Santiago Calatrava, 64, lebt, wie er baut: extravagant, einzigartig, edel. Sein Bürotisch, dessen geschwungene Beine an eine riesige Heuschrecke erinnern, hat der Architekt selbst entworfen. Er steht in seinem zweiten Domizil an der noblen Park Avenue in New York. Calatravas Wahlheimat aber ist die Schweiz. Vor 35 Jahren hat er in Zürich sein erstes Büro eröffnet. Seit 25 Jahren wohnt er in einer denkmalgeschützten Villa im Seefeld. «Sie ist ähnlich eingerichtet wie das Haus hier in New York. Selbst gefertigte Bilder und Skulpturen, viel Leerraum. Das mag ich. Meine Frau beklagt sich manchmal, es sei ihr zu wenig heimelig», sagt er und lächelt warm.

Der gebürtige Spanier gilt als einer der markantesten Architekten der Gegenwart. Seine Baukunst polarisiert, ist aber unverwechselbar. Calatravas erstes grosse Werk steht in der Schweiz: der Bahnhof Stadelhofen in Zürich. Eine an den Hügel geschmiegte Perronanlage mit filigranen Glasdächern, geschwungenen Treppen und einer Ladenpassage, die mit ihrem wuchtigen Betongewölbe an die Rippen eines Walfischs erinnert. «Beim Stadelhofen habe ich alles gelernt, was ich über Bahnhöfe weiss. Ich kenne dort jede Ecke», sagt Calatrava.

Jetzt im März eröffnet der Architekt seinen siebten Bahnhof: den Transportation-Hub am Ground Zero in New York. Dort, wo an 9/11 die zwei Türme einstürzten und mindestens 3000 Menschen ums Leben kamen, strecken sich heute gekrümmte Stahlbögen wie die Flügel eines Vogels in die Höhe. Mit fast vier Milliarden Dollar gilt er als teuerster Bahnhof der Welt.

«Schweizer Illustrierte»: Herr Calatrava, was fasziniert Sie an Bahnhöfen?
Ich sehe Bahnhöfe als Geschenk für die Menschen. Als Architekt kann ich ihnen im hektischen Alltag einen schönen Moment bereiten. Gleichzeitig sind Bahnhöfe grosse Motoren für die Entwicklung einer Stadt. Sehen Sie sich die Region um das Zürcher Bellevue an! Mit dem Bau des Bahnhofs Stadelhofen und der Einführung der S-Bahn hat sich das ganze Quartier entwickelt und verändert.

Wie war es, an einem Standort wie dem Ground Zero zu bauen?
Emotional. Die Bauherrin Port Authority hat beim Anschlag 85 Mitarbeiter verloren. Bei den ersten Aushebungen am Ground Zero haben wir immer wieder menschliche Überreste gefunden.

Wie gingen Sie damit um?
Es bestätigte mich in meinem Vorhaben, diesem Ort Leben und Liebe zurückzubringen. Die zentrale Halle, der Oculus, soll zu einer Piazza mitten in New York werden. Wo Leute flanieren, sitzen, lachen. Gleichzeitig will ich den Menschen Raum geben, um zu gedenken. Etwa mit einer langen, schlichten Wand aus weissem Marmor. Einer Klagemauer.

Dass Calatrava die Menschen und die Künste liebt, spürt man in jedem Augenblick. Er schwärmt von Bachs Sonaten, zu denen er manchmal seinen Pinsel schwingt. Erzählt von der Kathedrale Notre-Dame, deren Licht ihn beim ersten Besuch zu Tränen gerührt hat. Und vom Geheimnis der Philanthropie. «Man kann nur schöne Gebäude machen, wenn man die Menschen gernhat.»

Viele Ihrer Bauten erinnern an Tiere. Woher kommt das?
Wenn ich etwas entwerfe, zeichne ich oft Tiere, deren Körper und Flügel. Ihr Aufbau ist für mich eine Quelle der Inspiration. Genauso der Körper des Menschen. Architektur steht in einer klaren Verbindung zum Menschen, weil sie für und durch ihn geschaffen wird. Sehen Sie zum Beispiel meinen Tisch. Und wie ich mich auf die Glasplatte stütze.

Beim Ground Zero war Ihre erste Skizze ein Vogel?
Ja, eine Friedenstaube, freigelassen aus einer Kinderhand. Bei der Grundsteinlegung vor zehn Jahren hat meine damals zehnjährige Tochter Sofia zwei weisse Tauben freigelassen. Wunderschön.

Die Bahnhofshalle in New York hat mit ihrer imposanten Höhe von 48 Metern und der Öffnung im Dach etwas von einer Kathedrale. Sind Sakralbauten Ihre Vorbilder?
Beim Oculus liess ich mich tatsächlich vom Pantheon in Rom inspirieren. Wie in dieser Kirche wollte ich auch in New York ein Stück des Himmels zeigen. Aber sonst hat die Halle nichts von einer Kathedrale. Sie ist vielmehr ein Platz mitten unter Menschen.

Wie der Boden in Ihrem New Yorker Haus ist auch der Bahnhof weiss. Wieso?
Bei mir löst die Farbe Erinnerungen an die weiss gewaschenen Häuser im Mittelmeerraum aus, wo ich aufgewachsen bin. Ich will, dass die Leute sich wohl- und sicher fühlen. Gleichzeitig dient die Farbe zur Orientierung. Wichtig ist mir bei einem Bahnhof immer, dass auch meine Mutter alleine rein- und rausfinden würde.

Calatrava wächst in Valencia auf. Sein Vater exportiert Früchte und Gemüse. Sein Onkel besitzt einen Bauernhof, wo Santiago viel Zeit verbringt. Bis ihm sein Vater das Prado-Museum in Madrid zeigt. «Von da an habe ich gezeichnet.» Nach einem Austauschjahr in Paris - Calatrava spricht acht Sprachen - studiert er in Valencia Kunstgeschichte, wechselt dann zur Architektur. «Ich sah ein Buch vom Schweizer Le Corbusier und erkannte: Mit Architektur kann man wundervolle Sachen machen.» 1975 schreibt er sich an der ETH Zürich für das Ingenieurstudium ein. «Eine grossartige Schule!» Kurz darauf verliebt er sich in Robertina, eine Jura-Studentin. «Wir haben noch als Studenten geheiratet. Auf dem Flüelapass.» Das Paar bekommt vier Kinder. Die drei Buben wachsen in Zürich auf, die Tochter kommt in Paris zur Welt. Später ziehen sie nach New York.

Mit wem tauschen Sie sich aus?
Mit meiner Frau. Sie ist meine engste Vertraute und Geschäftspartnerin. Ohne sie wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Ich habe zwar immer viel gemalt und Skulpturen hergestellt, aber kaum etwas weitergegeben. Sie war es, die ein Archiv anlegte.

Sie leben meist in Zürich, Ihre Frau in New York. Wie geht das?
Sehr gut, ein wenig Abstand macht die Beziehung spannend. Wir haben viele Orte, die uns verbinden und die wir lieben. In der Schweiz ist es St. Moritz, wo wir seit 28 Jahren Ski fahren gehen. Und natürlich Zürich!

Was mögen Sie an Zürich?
Zürich hat das, was New York fehlt: eine innere Ruhe. Hier kann ich mich zurückziehen. Das heisst aber nicht, dass ich in Zürich wie ein Eremit lebe. Ich gehe auswärts essen, habe viele Freunde. Nach so vielen Jahren verstehe ich, wie die Schweizer funktionieren. Ich habe sie gerne.

Wie sieht Ihr Alltag in Zürich aus?
Um Viertel vor sechs stehe ich auf und turne eine Stunde am See.

Alleine?
Mit einem Trainer. Ich brauche etwas Motivation (lacht). Nach dem Frühstück zeichne ich daheim bis am Mittag. Dann gehe ich ins Büro in Zürich Enge und arbeite bis acht.

Wie gehen Sie ins Büro?
Mit dem Tram. Das ist so bequem. Ich habe ein Halbtax-Abo, dafür keinen Fahrausweis. Manchmal bereue ich das. Ich würde gerne eine Tour in den Bergen machen.

Ein junger Mann mit schwarzem Wuschelhaar streckt seinen Kopf durch die Tür. «Hola Papa, alles guet?» Gabriel Calatrava, 33, wohnt oberhalb von Papas Galerie. Genauso wie sein Bruder Rafael, 35. «Wir haben je eine Wohnung, die ich selber renoviert habe - ohne die Aufsicht des Vaters», sagt er und zwinkert ihm zu. Gabriel hat nicht nur die Postur und Herzlichkeit seines Vaters - auch beruflich ist er in seine Fussstapfen getreten. Er hat ein eigenes Architekturbüro. Der jüngste Bruder Micael, 28, ist Ingenieur. Zurzeit leitet er in Doha ein riesiges Projekt seines Vaters, baut Brücken und Umgehungsstrassen, wie Calatrava stolz erzählt. «Ich habe meinen Kindern nie vorgeschrieben, was sie werden sollen!»

Was bedeutet für Sie Luxus?
Die Arbeit ist mein grösster Luxus. Ich kann etwas für die Menschen kreieren, sie berühren. Architektur ist eine Sprache, die alle verstehen. Das Materielle ist für mich hingegen keine Quelle der Zufriedenheit. Früher habe ich im selben Raum gearbeitet und geschlafen. Mehr brauche ich nicht.

Sind Sie selbstkritisch?
Ich bin ein grosser Zweifler. Oft komme ich bedrückt nach Hause, weil ich mit meiner Arbeit nicht zufrieden bin. Ich habe immer das Gefühl, ich hätte es noch besser machen können.

Ihre Kunst polarisiert. Kritiker werfen Ihnen vor, Sie bauen zu extravagant. Zu teuer. Der Bahnhof in New York kostete am Schluss vier statt zwei Milliarden Dollar!
Der Bau in New York ist unglaublich komplex. Und ich musste nach den Anschlägen in London und Madrid zusätzliche Glieder für die Sicherheit bauen. Als Architekt entscheidet man nicht alleine, sondern hat einen Bauherrn. Es gibt keinen guten Bau ohne gute Bauherren.

Sie sind 64. Denken Sie an die Pension?
No, no! Architekt Ieoh Pei hat bis 92 gearbeitet, Künstler Hans Erni bis 106. Viele haben im hohen Alter ihr bestes Werk vollbracht.

Jessica Pfister
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Von Jessica Pfister am 1. März 2016 - 15:11 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 15:22 Uhr