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Reizdarm

Krankheit mit vielen Gesichtern

Oft dauert es Jahre, bis ein Reizdarm diagnostiziert und behandelt wird, wenn überhaupt. Dabei leiden bis 15 Prozent der Bevölkerung in Europa darunter, vorwiegend Frauen. Reizdarm ist eine ernst zu nehmende Krankheit und schränkt die Lebensqualität der Betroffenen erheblich ein. Neue Therapiemöglichkeiten machen Hoffnung.

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Das Wort Reizdarm ist auch ein Reizwort. Die einen sagen, die Krankheit sei völlig unterdiagnostiziert und die Betroffenen – vorwiegend Frauen – würden oft jahrelang falsch oder überhaupt nicht behandelt. Andere sprechen von einer erfundenen Krankheit und werfen der Medizin vor, harmlose Befindlichkeitsstörungen zu pathologisieren und durch Überdiagnostik und Übertherapie zu chronifizieren. Wer mit Reizdarm-Patientinnen zu tun hat, weiss, dass sie sehr darunter leiden, nicht ernst genommen zu werden. Weder von ihren engsten Angehörigen noch vom Arzt. Der Vorwurf der erfundenen Krankheit führt zudem zu einem Negativimage des Reizdarms in der Gesellschaft, das den Betroffenen schnell einmal das Gefühl vermittelt, sie seien psychisch halt doch nicht ganz normal.

Reizdarm ist eine ernst zu nehmende Erkrankung, auch wenn sie weder das Leben verkürzt noch eine Vorstufe einer lebensbedrohlichen Krankheit ist, noch mit einem erhöhten Krebsrisiko einhergeht. Dass jemand andauernd unter Bauchschmerzen, Durchfall, Verstopfungen und Blähungen leidet, reicht bei Weitem aus, um von einer Krankheit zu sprechen, die behandelt werden muss.

Was ist nun aber ein Reizdarm? Beim Reizdarmsyndrom handelt es sich um eine sogenannt funktionelle Magen-Darm-Erkrankung. Damit meint man eine Störung, bei der keine organisch sichtbaren Veränderungen vorliegen, sondern «nur» die Funktion des Organs gestört ist. Das verleitet gerne zur deplatzierten Bemerkung: «Wir haben alles untersucht. Sie haben nichts.» Und zur unausgesprochenen Schlussfolgerung: Wenn nichts vorliegt, sind die Symptome eben eingebildet.

Die Magen-Darm-Erkrankung Reizdarm betrifft in Europa bis zu 15 Prozent der Bevölkerung. Diagnostiziert wird sie nur selten. Und die Symptome werden oft fälschlicherweise nur mit Faktoren wie Stress in Verbindung gebracht. In zwei von drei Fällen sind Frauen betroffen, welche häufig ihren Lebensstil oder die Menstruation dafür verantwortlich machen.

Der Reizdarm kann unterteilt werden in ein Syndrom mit dem vorherrschenden Symptom Verstopfung, in ein Syndrom mit vorwiegend Durchfall oder in ein Syndrom mit gemischtem Beschwerdebild. Eine Zuordnung zu den drei Unterformen ist wichtig für die Auswahl der richtigen Therapie. Zusätzlich zu Bauchschmerzen, Blähungen und veränderten Stuhlgewohnheiten verursacht das Reizdarmsyndrom Blähungen und Gase, Stuhldrang, Anstrengung während des Stuhlgangs und harten Stuhl und ein Gefühl der unvollständigen Darmentleerung sowie in einigen Fällen Übelkeit, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen oder Muskelverspannungen.

Ein Reizdarmsyndrom kann erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität der Patienten haben, da es die Erwerbsfähigkeit, soziale und persönliche Beziehungen, sexuelle Beziehungen, die Vitalität, die Konzentration, das Aussehen und das Selbstbewusstsein beeinflussen kann. Dennoch kann es Monate oder sogar Jahre dauern vom Auftreten der ersten Symptome, bis die betroffenen Frauen ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Man schätzt, dass es fast weitere drei Jahre dauert, bis die Diagnose bestätigt und – wenn überhaupt – eine Behandlung eingeleitet wird.

Da es sich beim Reizdarmsyndrom um eine Funktionsstörung handelt, die sich nicht auf die Struktur des Magen-Darm-Trakts auswirkt, sondern auf dessen Funktion, gibt es keine Labortests oder bildgebenden Verfahren zur Diagnosestellung. Aus diesem Grund werden andere Faktoren, welche die Beschwerden des Patienten verursachen könnten, ausgeschlossen.

Auf der Suche nach den Ursachen wird an verschiedenen Ansatzpunkten geforscht. Vor allem hinsichtlich Darmbeweglichkeit und deren Wahrnehmung, wobei sich diese Störungen in der Regel nicht mit herkömmlichen Darmuntersuchungen nachweisen lassen. Bekannt ist auch, dass Stress und emotionale Konflikte die Beschwerden verschlimmern können.

Aufgrund der unterschiedlichen Symptome gibt es keine Standardbehandlung. Die Therapie richtet sich nach den Hauptsymptomen. Dabei können Medikamente, aber auch nicht medikamentöse Massnahmen wie Entspannungsverfahren oder Ernährungsanpassungen zum Einsatz kommen. Da beim Reizdarmsyndrom mehrere Symptome gleichzeitig auftreten können, ist es wichtig, zusammen mit dem behandelnden Arzt eine Therapie beziehungsweise ein Medikament ins Auge zu fassen, die möglichst viele Symptome gleichzeitig angehen. In letzter Zeit wurden wichtige therapeutische Fortschritte erzielt, besonders beim Reizdarm, der hauptsächlich mit Verstopfung einhergeht.

Von Dr. med. Samuel Stutz am 20. August 2015 - 18:24 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 15:55 Uhr