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Psyche

Wenn Trauer krank macht!

Wer einen geliebten Menschen verliert, muss lernen, den Verlust zu verkraften. Manche schaffen das nicht und werden sogar krank. Lange gab es dafür nicht einmal eine Diagnose. Jetzt wurde die prolongierte Trauer offiziell anerkannt.

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Wenn Trauer krank macht!

Wer weiss, wie Trauer funktioniert, kann einen Verlust besser verarbeiten. 

Norbert Schaefer

Der blaue Bademantel hängt noch immer am gleichen Haken wie vor zwei Jahren, auf der Nachttischkommode stapeln sich seine Krimis, und die Pantoffeln warten darauf, dass er gleich zur Haustür reinkommt. P. F. weiss, dass das nicht passieren wird, ihr Ehemann ist gestorben. «Es fühlt sich einfach leer an, wenn die Sachen weg wären», sagt sie. 45 Jahre waren sie zusammen, jetzt mit 75, soll sie plötzlich alleine zurechtkommen. P. F. weiss nicht, wie sie das schaffen kann.

Schock, Ungläubigkeit und eine schmerzliche Sehnsucht – dass man nach dem Tod eines geliebten Menschen trauert, ist normal. Die meisten schaffen es, nach einer gewissen Zeit zurück ins Leben zu finden. Bleibt der Zustand der Trauer aber bestehen und schränkt dies den Alltag mehr und mehr ein, sprechen Psychologen von prolongierter Trauer.

Erst seit Neustem ist «persistent complex bereavement disorder» im Katalog der psychischen Erkrankungen aufgenommen worden. Einige Symptome: körperliche Erregung, wenn vom Verstorbenen gesprochen wird, Schlafstörungen, innere Unruhe und das Gefühl, dass das Leben sinnlos wurde. Auch körperliche Auswirkungen sind möglich. So kann sich Trauer in Schmerzen oder Herz-Kreislauf-Störungen zeigen. Schlimmste Folge: Suizid.

Die Diagnose wird aber trotz der neuen Kategorisierung nicht einfacher. «Die Expertenmeinungen zur Häufigkeit schwanken zwischen 4 und 40 Prozent. Das zeigt, wie unterschiedlich man die Symptome beurteilen kann», sagt der Berner Psychologe und Trauerforscher Prof. Hansjörg Znoj. Er beschäftigt sich seit 20 Jahren mit dem Thema und weiss, dass vor allem das Kriterium der Zeit heikel ist. Es gibt Studien, die beobachten bei den meisten Menschen eine Trauerzeit von sechs bis zwölf Monaten. Nach dieser Zeit soll der akute Schmerz in eine integrierte Trauer übergehen. «Auf der anderen Seite gibt es Untersuchungen, die zeigen, dass über 50 Prozent aller Verwitweten auch nach vier Jahren noch immer starke Sehnsucht nach ihrem Partner haben», sagt Prof. Znoj. Sein Fazit: Die prolongierte Trauer hängt eher von den Umständen und der Art der Beziehung ab.

P. F. pflegte ihren Mann während Jahren, teilte seine Medikamente ein, begleitete ihn zur Chemotherapie. «Gerade in solchen Beziehungen haben die Hinterbliebenen das Gefühl, dass sie am Tod mitschuldig sind», erklärt Prof. Znoj. Viele hätten das Gefühl, dass sie dem Verstorbenen und sich selber gegenüber zur Trauer verpflichtet seien. «Die Psyche funktioniert paradox. Den Trauerschmerz kann man nicht mit Liebe gleichsetzen.» Vielmehr sei die Trauer eine Nebenwirkung einer positiven Eigenschaft, nämlich dass wir verbindliche Beziehungen eingehen können.

Psychologen unterscheiden im theoretischen Modell drei Phasen der Trauer. 1. Man muss den Verlust akzeptieren und begreifen. 2. Die emotionale Verarbeitung des Verlustes. 3. Die Phase der Anpassung an die neue Realität. Die Phasenmodelle gehen davon aus, dass jeder jede Phase durchlebt. Untersuchungen zeigen aber, dass es keinen fixen Ablauf gibt. «Trauer ist sehr individuell. Ein solches Modell macht aber trotzdem Sinn, um etwas Ordnung in das ganze Gefühlschaos zu bringen», sagt Prof. Hansjörg Znoj.

Ob jemand in die komplizierte Trauer rutscht, hängt stark von seiner seelische Widerstandskraft ab, mit Veränderung umzugehen. Wer weiss, dass er auch schlimme Situationen meistern kann, bewältigt Verluste besser. «Man braucht das Vertrauen, dass man das überleben kann, auch wenn der Schmerz wahnsinnig ist. Aber in unserer Gesellschaft haben wir verlernt, damit um- zugehen. Der Tod wird ausgeklammert», erklärt Prof. Znoj.

P. F. geht jeden Tag auf den Friedhof, manchmal zweimal. Sie giesst die Blumen, zündet eine neue Kerze an. «Hier fühle ich mich meinem Mann näher.» Loslassen kann sie ihn nicht – noch nicht.

Von Lisa Merz am 2. April 2014 - 15:42 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 17:33 Uhr