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Peter Rubi - Der «Wilhelm Tell»

«Den Tell zu spielen, ist eine Ehre»

180 Mal stand er bereits als ­Wilhelm Tell in ­Interlaken BE auf der Bühne. Den Alltag verbringt Peter Rubi auf der Axalp. In seinem Lädeli.

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Der Bart ist echt. Die Statur passt auch. Selbst mit einer Armbrust weiss er umzugehen. Peter Rubi ist der perfekte Wilhelm Tell. «Ach ja?», kontert der 49-Jährige. «Gelehrte zweifeln, dass unser Nationalheld überhaupt gelebt hat.» Also wisse niemand, ob der Mann einen Bart trug. Und überhaupt: «Als Jäger in den Alpen hatte er wohl kaum so einen Ranzen wie ich.» Der urchige Berner Oberländer lacht herzhaft, sein Schnauzhaar bebt, die Hände verschränkt er leicht verlegen hinter dem Rücken.

Als Laienschauspieler verkörpert Peter Rubi seit 1991 den Schweizer Freiheitskämpfer bei den Tellspielen in Interlaken BE. «Das ist eine Ehre», sagt er. Und selbst in seinem Lebensmittel-Lädeli auf der Axalp wirkt der Hüne wie ein Nationalheld. Hier oben, auf 1500 Meter über Meer, lebt und arbeitet er seit über zwanzig Jahren – mit Sicht aufs Brienzer Rothorn und fernab der Zivilisation. Gemeinsam mit seiner Frau Michaela, 43, vermietet er dreissig Touristen-Betten im «Bärghuus».

Seine Kinder Peter, 10, und Michaela, 8, fährt er jeden Tag nach Brienz hinunter in die Schule. Die Abgeschiedenheit habe ihm noch nie etwas ausgemacht: «Ich kann abends problemlos eine Stunde das Bergpanorama betrachten. Dabei wird mir nie langweilig.» Und tagsüber unterhalten ihn seine Kunden im Lädeli: Gut zwanzig Personen leben permanent auf der Axalp, alle anderen sind Chaletbesitzer und Feriengäste.

Die ganze Familie Rubi ist bei den Tellspielen engagiert. Mutter Michaela hilft im Büro aus, und die Kinder spielen beide «beim Volk» mit. In seiner 19. Saison kennt Vater Peter den Tell-Text bestens. Aber: «Am schwierigsten zu lernen sind die Änderungen.» Der jeweilige Regisseur passt Textpassagen an, probiert etwas Neues aus. 

Während der halbstündigen Fahrt von der Axalp nach Interlaken zur Vorstellung rezitiert der Vater gern ein paar Passagen im Auto. Klein Michaela meint schelmisch: «Und wir merken immer, wenn der Ätti etwas Falsches aufsagt!»

Dass es bei der Familie Rubi zwei Peter und zwei Michaela gibt, hat eine einfache Erklärung: «Wir konnten uns nicht einigen», erzählt Mutter Michaela. Ihr gefielen exotische Namen, Vater Peter fand, das passe nicht auf die Axalp. «Also machten wir es wie früher und benannten die Kinder nach den Eltern.»

Zum ersten Mal gesehen hat Michaela ihren Peter übrigens als Tell – sie sass in den Zuschauerreihen bei den Freilichtspielen. «Damals hätte ich allerdings nicht gedacht, dass ich diesen Mann sechs Jahre später heirate.» Als Service-Angestellte fand die Deutsche dann Arbeit auf der Axalp – da hats gefunkt. Und sie ist geblieben.

Lampenfieber kennt Peter Rubi nicht. Nur der Puls schlage vor einer Vorstellung ein bisschen schneller. «Wenn du den Text kannst, ist das ganze keine Hexerei», meint er bescheiden. Klar habe er auch schon mal einen Satz vergessen – aber das merke der Zuschauer kaum.

Friedrich Schillers Verse gefallen ihm: «Er fand so viele geflügelte Worte für fast jede Lebenslage.» Darunter sind Klassiker wie «Die Axt im Haus erspart den Zimmermann» oder «Früh übt sich, was ein Meister werden will». Reich wird der Laienschauspieler mit seinem Engagement übrigens nicht. Pro Probe bekommt er einen Fünfliber, pro Aufführung 15 Franken.

Gut 180 Mal stand Peter Rubi bis jetzt als Wilhelm Tell auf der Bühne. Als Patriot würde er sich dennoch nicht bezeichnen. «Sicher, die Schweiz ist meine Heimat. Aber das alleine macht mich noch zu keinem Patrioten.»

Den 1. August feiert der Teilzeit-Tell immer daheim. Mit seiner Familie und Feriengästen – schliesslich gehört er zur Feuerwehr Brienz und ist deren einziges Mitglied auf der Axalp. «Also kontrolliere ich jeweils, ob das Wasserreservoir für den Notfall voll ist.» In diesem Jahr ist allerdings alles anders: Das Fernsehen berichtet live von den Tellspielen.

Als Nationalhelden wird man Peter Rubi an diesem Abend jedoch nicht sehen – die Zweitbesetzung spielt. Er wird im Hintergrund als Mann aus dem Volk zu sehen sein. Mit Bart und kraftvoller Statur. Der Tell in ihm lässt sich halt nicht so leicht verbergen.

Von Daniela Murer am 25. Juli 2009 - 15:15 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 18:41 Uhr