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Melanie Oesch

Generation Jodel

Brav, bescheiden, bodenständig: Trotz Riesenerfolgen bleibt Melanie Oesch auf dem Teppich. Wir haben die Star-Jodlerin eine Woche zwischen Thun und Liechtenstein begleitet.

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Jodlerin Melanie Oesch im Tonstudio in Eschen, Liechtenstein.

Das erste Interview gibt Melanie Oesch noch im Pyjama, mit müden Augen und zersausten Haaren. Es ist der erste Morgen danach – nach ihrem Sieg bei den «Grössten Schweizer Hits». Am Handy hat sie Anita Weyermann vom Radio Berner Oberland. Die ehemalige Weltklasseläuferin gehört an diesem Montag – es ist 8 Uhr – auch als Reporterin zu den schnellsten.

Die Turbojodlerin bringt im ersten Moment kein Wort heraus, räuspert sich, beantwortet dann die Fragen mit heiserer Stimme. Ihr Hals schmerzt, sie hat Schluckweh, hustet. Sofort gurgelt Melanie mit einer Mischung aus «suurem Moscht» und Schwarztee. «Ein Hausrezept von meinem Grosi. Gruusig, aber es hilft!»

Das Frühstück lässt die 20-Jährige aus. Sie trinkt auch keinen Kaffee – dafür gönnt sie sich dann mehrmals am Tag ihre geliebte heisse Caotina. Das Handy läutet Sturm. Sie ist der neue
Medien-Liebling. Als Klingelton ertönen ihre Lieblinge: die Dixie Chicks. Mit einer Engelsgeduld erklärt die attraktive Sängerin zum hundertsten Mal, wie sie beim Kehlkopfschlag von Bauch- zu Kopfstimme wechselt. Dann spricht sie mit ihrem Manager Konzertdaten ab.

«Der Sieg bei den ‹Grössten Schweizer Hits› ist für uns eine grosse Ehre. Er kam ganz unerwartet»

Die nächsten 14 Monate ist die Familienformation Oesch’s die Dritten komplett ausgebucht.  Melanie Oesch zeigt der Schweizer Musikszene, woher neuerdings der Wind weht: aus Schwarzenegg! Einem 500-Seelen-Dorf, 10 Kilometer von Thun BE entfernt. Die Hälfte der berufstätigen Schwarzenegger arbeiten in der Landwirtschaft. Im Dorf gibts eine Metzgerei, zwei Käsereien, drei Gaststuben, ein Fitnesscenter.

Hier lebt Melanie auf einem ehemaligen Bauernhof. Mit ihren Eltern, den zwei Brüdern, dem Grosi, einem Hund und zwei Katzen. «Der Sieg ist für uns eine grosse Ehre. Er kam ganz unerwartet», sagt der neue Stern am Schweizer Volksmusikhimmel. In der Mailbox haben schon über hundert Fans zum Sieg gratuliert. Obschon es noch keine 24 Stunden her ist, seit sie die TV-Show gewonnen hat. «Das alles macht mich henne glücklich.» Für Haushalt und Wäschewaschen bleibt bei diesem Rummel keine Zeit.

Es ist mittlerweile Mittwoch und ihr Stress hat kein bisschen nachgelassen. «Ich hab fast keine sauberen Klamotten mehr», beklagt sich Melanie. Dabei wäre ihr Kleiderschrank im Schlafzimmer gut bestückt – Gürtel und Halstücher füllen separate Schubladen. «Ich shoppe einfach zu gern», gesteht die bedachte und bescheidene Berner Oberländerin.

Trotz den wenigen sauberen Kleidern gibt der Schrank etwas Schickes her. Im schwarzen Glitzertop begleitet Melanie ihre Eltern Hansueli, 50, und Annemarie, 45, zur «Wiehnachtszauber»-Show nach Lachen am Zürichsee. Hansueli steht im weissen Hemd bereit, schnell schiebt er noch eine Kapsel in die Kaffeemaschine, raucht vor der Haustür eine Zigarette. Im Haus gilt Rauchverbot.

Wie jeden Morgen war er noch schnell als Pöstler im Nachbardorf unterwegs. Trotz dem Erfolg arbeiten die Oeschs weiterhin in ihren Jobs. Alle ausser Melanie. Seit sie ihre Matur in der Tasche hat, konzentriert sie sich auf ihre Musikkarriere.

Flott geht es im Auto durchs verschneite Emmental nach Lachen. Den Weg kennen sie inzwischen in- und auswendig. Doch sie sind zeitlich knapp dran. Melanie beantwortet noch immer ständig Anrufe. Eine grosse deutsche Plattenfirma zeigt Interesse an den Oeschs. «Keine Zahlen, keine Daten», instruiert Hansueli seine Tochter vom Fahrersitz aus.

Die Familie hat bisher alle ihre CDs beim österreichischen Plattenlabel Tyrolis aufgenommen. Dort fühlen sie sich wohl. «Und dort haben wir keine Angst, wie eine heisse Kartoffel fallen gelassen zu werden, wenn es nicht mehr so gut läuft», erklärt Melanie, weshalb sie dem Interessenten gleich in charmantem Hochdeutsch eine Absage durchgibt.

Mit einer Stunde Verspätung treffen die drei in Lachen ein. Im geschmückten Zelt sitzen sie am Tisch in der Mitte. Zuerst wird Kartoffelgratin mit Braten gegessen, danach beginnt die Weihnachtsshow. Die Schlagersängerinnen Maja Brunner und Sarah-Jane treten auf. Monique erzählt vom Guetslibacken mit ihren Kindern. Hier ist die Welt noch heil. Gesungen wird «Ave Maria», «Last Christmas» und «Stille Nacht».

Der Sieg der Oeschs bei den «Schweizer Hits» wird nochmals gefeiert. «Es ist eine so zufriedene Familie. Sie strahlt so etwas Liebevolles und Sympathisches aus», findet Musiker Carlo Brunner. Moderatorin Monika Fasnacht bezeichnet die Formation gar als Ausnahmeerscheinung. «Sie sind urchig, der Erfolg hat sie überhaupt nicht verändert.» Der Abend wird spät.

Am nächsten Tag besucht Melanie pflichtbewusst einen Kurs für Neulenker in Thun. Kaum ist es Abend, proben die Oeschs wieder: «Die berühmten drei Worte» von Andy Borg in einer berndeutschen Version – für den diesjährigen «Silvesterstadl» in Graz. Eine lustige Nummer soll es werden. «Morgen ist der Termin im Studio», sagt Melanie. Doch erst muss sie mit ihrem «Ätu», wie sie den Vater nennt, das Stück auf ihre Tonart umschreiben.

Sie gähnt verstohlen. Ihre jüngeren Brüder rauschen ab: Mike, 19, zur Freundin, Kevin, 18, in den Ausgang. Melanie selbst hat ihren «Schätzu» Othmar das letzte Mal am Wochenende gesehen. Vor dem Einschlafen reicht es jeweils für ein kurzes telefonisches «Gute Nacht».

Im Tonstudio in Eschen, Liechtenstein, werden am Freitag die Oeschs mit einem fröhlichen «Servus, grüess di» empfangen. Der musikalische Leiter des «Stadls» ist aus Niederösterreich angereist und hat Marillenschnaps und Konfitüre mitgebracht. Erst gibt es mal Kaffee – und Zigaretten für die Raucher in der Runde. Melanie lutscht Salbeipastillen, bevor sie sich im grossen Aufnahmeraum hinter das Mikrofon stellt und singt «Du hesch so öppis, das reizt mii …».

Ihre langen schlanken Beine stecken in dunkelblauen Röhrenjeans, sie wippt im Takt. Mit den Händen drückt sie den Kopfhörer an die Ohren. Der «Topscorer der Familie», wie der Vater seine Tochter nennt, ist in seinem Element.

am 6. Dezember 2008 - 22:50 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 20:02 Uhr