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Franz Hohler

Kein Blatt vor dem Mund

Der neue Erzählband von Franz Hohler ist ein Meisterwerk der leisen Töne; und die Überraschung des Bücherherbstes. Nur beim Reizwort «Finanzdebakel» wird der Zürcher Autor und Alltagspoet so richtig laut.

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Franz Hohler lebt seit 30 Jahren in der 100-jährigen «Villa Alpina» im Stadtteil Zürich Oerlikon.

Franz Hohler lebt seit 30 Jahren in der 100-jährigen «Villa Alpina» im Stadtteil Zürich Oerlikon.

Kurt Reichenbach

Welcher Schriftsteller liest gerne in der Presse, seine Geschichten seien «plump, die Witzchen mager, die Pointen ausgelatscht?» Dass ihm eine «schöpferische Pause» guttun würde? Oder es «eine grobe Verletzung der Konzession ist, wenn einer, der völlig einseitig denkt, regelmässig seine Parolen hinausposaunt, ohne dass man etwas dagegen tun kann»?

Zeitungskritiken wie diese bringen jeden Autor in Rage. Sie werden tunlichst unter den Teppich gekehrt. Nicht so bei Franz Hohler. Der Unruhestifter erlaubt sich eine humoristische Frechheit: Mit der souveränen Gelassenheit des Alters präsentiert er auf seiner Homepage www.franzhohler.ch «das ‹Gruusigste›, was über mich geschrieben wurde.

«Das Haus war eine Villa. Es gehört mir und der Bank. Schlägt man einen Nagel ein, wackelt die Wand»

Es tut der Eitelkeit schon ein klein wenig weh. Aber die Leute sollen ruhig wissen, was man als freischaffender Künstler alles einstecken muss.»Die Anti-Kritik macht auch vor seinem jüngsten Werk «Das Ende eines ganz normalen Tages» nicht halt: «Hohler verpasst oft den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören und verdirbt mit einem letzten unnötigen Satz einen ganzen Text» («News»). Die Leser finden das nicht. Seit September segelt der Bestseller ganz oben auf der Erfolgswelle. Die Prosastücke sind ein Sammelsurium feiner Alltagsbeobachtungen. Banal und trotzdem berührend, kippen die Momentaufnahmen manchmal unvermittelt ins Verletzende, Absurde, Traurige, Schöne.

«Die stärksten Bilder sind die, die man gar nicht zu erklären braucht», weiss Franz Hohler. «Der Erfolg ist ein Geschenk.» Draussen im Garten purzelt das Herbstlaub von den Bäumen. Die erste Ladung hat der Hausherr zusammengekehrt. Am Gebäude aus dem 19. Jahrhundert in Zürich Oerlikon nagt sanft der Zahn der Zeit. Es hat den Charme einer verblassten Diva.

Das Schild «Villa Alpina» hängt versteckt über einer der Balkontüren. Franz und Ursula Hohler wohnen seit 30 Jahren hier. Drinnen lodert im gusseisernen Ofen ein Feuerchen. Hohler legt die Kordmütze, die auch das Cover seines Buches ziert, neben sich auf den Stuhl. Sein Reich befindet sich unter dem Dach. An klaren Tagen erspäht man vom Musikzimmer aus den Säntis. An der Wand: Fotografien von verschneiten Gipfeln.

Hohler, ein Berggänger? «Ja, durchaus. Ich habe sehr viele Gipfel bestiegen. Mittlerweile bin ich bei den AHV-Viertausendern wie dem Bishorn angelangt.»Auf dem Pult in der Schreibstube herrscht kreatives Chaos! In einer Vase stehen frische Rosen, gekauft auf dem Samstagsmarkt im «Dörfli». Darum herum Bücher, Briefe, Bilder, Manuskripte – und unbeschriebene Blätter.

Der Ideenwartsaal des Weltbeobachters ist randvoll. «Ich schreibe, wenn der Pegel am knackigsten ist: von morgens neun bis mittags zwölf. Leider gibt es keine Garantie, dass man im Alter besser wird. Im Gegenteil: Wer in der Favoritenrolle steckt, muss hohe Erwartungen erfüllen», sagt der 65-Jährige.

Ist älter werden schwer? «Mir ist es nicht schwergefallen. Ich versuche, mit dem jeweiligen Alter mitzuhalten. Es hat schöne, aber auch hässliche Seiten. Zum Beispiel wenn sich das Verfallsdatum des Körpers meldet.» Beobachtungen wie diese lässt der in Biel geborene und in Olten aufgewachsene Schriftsteller und Liedermacher in seine Texte einfliessen.

Als Kabarettist hat er sich abgemeldet, neue Soloprogramme wird es – leider! – nicht mehr geben. Mit dem aktuellen Buch und Evergreens wie «Es klopft» oder «Das Zauberschächtelchen» ist er zurzeit in Deutschland und der Schweiz unterwegs. Das Pensum ist gross, dem Pendler gefällts.

Von A nach B hat Franz Hohler viel Zeit, über das Leben, seine Auswirkungen, Zufälle und Unglücksfälle nachzudenken. Auch zum Thema Kasinokapitalismus und Bankenkrise: «Wenn man an all die Sparübung der letzten Jahre denkt, von AHV über Entwicklungshilfe und Gesundheit bis zu Bildung und Kultur – und plötzlich geht ein Tresor auf, und es purzeln 60 Milliarden raus!

Das wirft Fragen auf. Zum Beispiel, warum die Schweizer Nationalbank, die mit beiden Beinen auf dem Boden und im Gold steht, im Steuerparadies Cayman Islands eine Auffanggesellschaft gründet – in einem rechtsfreien Raum. Es sieht so aus, als ob das alles ganz langsam unserer Kontrolle entzogen werden soll.»

Der Stoff für weitere Bücher, davon ist der Autor überzeugt, wird ihm darum bis ans Lebensende nicht ausgehen. An Wiedergeburt glaubt Franz Hohler nicht. Was, wenn er trotzdem als Manager mit Millionenbonus wiedergeboren würde? «Ich habe viel Chabis gemacht in meinem Leben. Aber so viel Chabis, dass ich dafür so bestraft werden müsste, auch wieder nicht. Das würde ich dem Schicksal wirklich übel nehmen.»

Franz Hohler
Das Ende eines ganz normalen Tages
Luchterhand-Verlag, CHF 31.90.

am 31. Oktober 2008 - 12:15 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 18:34 Uhr