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Clown Dimitri wird 80

Das grosse Familieninterview zum Geburtstag

Noch lange nicht Schluss mit lustig: Clown Dimitri wird am 18. September 80 Jahre alt. Nach wie vor zieht er die Menschen in seinen Bann. Dass er auche eine harte und wütende Seite hat, erzählen jetzt seine Töchter.

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Dimitri ist die grosse Ausnahme, für die ganze Schweiz, in jeder Hinsicht. Er lacht, wo andere lamentieren, er singt, wo andere polemisieren, er bleibt beweglich und agil, wo andere im alten Trott erstarren. 2014 hat der grosse kleine Mann aus dem Tessin für sein Lebenswerk sogar den Swiss Lifetime Award erhalten. In jeder Hinsicht eine berechtigte Ehre für den 79-jährigen Clown, Pantomimen, Akrobaten, Musiker, Sänger und Schauspieler, dessen Künstlername zum Familiennamen wurde und gleichzeitig zum Synonym für poetisches, die Seele berührendes Lachen. In seinem Haus in Borgnone TI blickt er zusammen mit seinen Töchtern Masha, 51, und Nina, 49, zurück. Und vorwärts auf ein unermüdlich schaffendes Künstler- und Familienleben von nunmehr drei Generationen.

«Schweizer Illustrierte»: Dimitri, in Ihrem Alter geniesst man üblicherweise den Ruhestand. Sie arbeiten immer noch. Was treibt Sie gerade um?
Dimitri: Ganz im Vordergrund steht unser zweites Familienprogramm. Wir sind ja bereits 2006 mit «La Famiglia Dimitri» auf Tournee gegangen und hatten damit einen riesigen Erfolg. Wir waren sogar am Broadway in New York!
Masha: Das Problem mit diesem ersten Familienprojekt war nur, dass es sehr viel Platz benötigte. Deshalb konnten wir nicht in kleinen Theatern spielen. Nun haben wir drei uns mit Ninas Sohn Samuel und ihrer Bühnenpartnerin, Silvana Gargiulo, zusammengetan, um eine neue Produktion zu machen, die auch auf kleineren Bühnen funktioniert.
Dimitri: Neben diesem Familienprojekt bin ich noch mit meinem Soloprogramm «Highlights» unterwegs. Und dann ist da noch die Erweiterung unserer Schule, die Casa del Clown. Das ist eine riesige alte Villa, die wir umbauen wollen zu einer eigentlichen Kultur- und Forschungsstätte mit Ausstellungen, Volksmusik, Bibliothek, Konferenzräumen, Restaurant und Gästezimmern. Dieses Projekt nimmt mich auch sehr in Anspruch. Ausserdem sammle ich Sprüche. So wie: «Les mecs de Québec ont des becs hightecs.» Ich will zu jedem Spruch eine Zeichnung machen. Vielleicht verschenke ich das dann als Buch zu meinem 80.

Voller Einsatz und ein immenser Ideenreichtum zeichnen Dimitris Schaffen aus, seit er 1959 erstmals als Solist die Bühne betreten hat. Sein Handwerk lernte er von den Meistern ihres Fachs: Etienne Decroux, Marcel Marceau, Maïss. Was er da verinnerlicht hat, hat er auch an seine Kinder weitergegeben. Drei von ihnen sind heute selber erfolgreiche Artisten: Masha, Nina und David, 52. Ivan, 53, arbeitet als IT-Ingenieur beim Roten Kreuz, und Mathias, 59, ist Professor für Design an der Universität in Lausanne. Dimitri sagt, seine Kinder seien absolut ein Teil seines Erfolges. Er habe von und mit ihnen viel lernen dürfen.

Sie waren als Künstler sicher ein Vorbild für Ihre Kinder. Waren Sie es auch als Vater?
(Dimitri blickt fragend zu Masha und Nina.) Ich habe das Gefühl, ich war sicher kein böser Vater. Ich habe gerne mit den Kindern gespielt, improvisiert, «s Chalb gmacht», wie man so schön sagt. Wenn man seine eigenen Kinder und die eigene Frau zum Lachen bringen kann, dann ist das das Maximum. Wenn ich nun sehe, was meine Kinder erreicht haben, dann muss ich allerdings sagen, sie haben mich weit überflügelt. Mathias, der Älteste: In Sachen Design kann ich nur von ihm lernen. Ich male ja auch, aber ich bin kein Maler. Ich sage immer: «Ich bin ein Clown, der malt.» Ivan spricht vier Sprachen perfekt und hat Seelen- und Herzensqualitäten, die ich so nicht habe. David, der Seiltänzer - was er kann... (verdreht schwelgerisch die Augen). Oder Masha: eine Virtuosin auf vielen Musikinstrumenten. Und Nina überragt mich in punkto Stimme und Gesang bei Weitem.
Masha: Er ist einfach ein Clown, auch im Privatleben. Er hat mit uns gespielt, uns Geschichten erzählt und für uns gezaubert. Wir hatten auch oft Besuch von seinen Kollegen, die dann bei uns übernachtet haben. Das sind Erinnerungen an sehr schöne, reiche Momente. Aber er war auch fordernd. Er hat uns beigebracht: «Wenn du etwas tust, dann musst du der Beste sein darin!»
Nina: Stimmt! Als ich noch ganz jung war, wollte ich unbedingt Dimitris Theaterschule in Verscio besuchen. Aber ich bin zweimal durch die Prüfung gerasselt. Heute weiss ich, das war gut so. Dadurch habe ich, über die Musik, meinen eigenen Weg gefunden - und wurde trotzdem ein Mitglied der Compagnia Teatro Dimitri (strahlt). Ich bin extrem stolz auf meinen Vater!
Masha: Er ist sehr diszipliniert und selbstkritisch. Auch bei unserer Arbeit ist er oft der erste Kritiker. Er lobt uns sehr, aber er kann auch hart kritisieren.
Nina: Dann lobt er plötzlich nicht mehr! (Alle drei lachen laut.)
Masha: Er kann schon sehr, sehr streng sein. Er schont uns nicht, nur weil wir seine Kinder sind. Auch verteidigt er seine Sache bis aufs Blut. Wenn etwas passiert, das seinen Ansprüchen nicht gerecht wird, dann kann er wahnsinnig wütend werden. Das kann für andere wie aus heiterem Himmel kommen. Wir schauen uns dann an und wissen: Es ist mal wieder so weit... Aber wir können mittlerweile gut damit umgehen.

Dimitri hört seinen Töchtern zu und nickt. Dabei schaut er mit diesen grossen, fragenden Augen unter seinem Rundschnitt hervor; genau wie damals im Knie, als ihn Elefantendame Sandry einfach mit dem Rüssel packte und aus der Manege trug. Oder wie beim berühmten Kampf mit dem widerspenstigen Liegestuhl, den er gewinnt, weil er einfach nicht aufgibt. Es ist diese sanft-naive Art, die seinen Stil als Clown und als Mensch prägt und ihn so liebenswert macht. Dieser Stil wirkt in seinen Soloprogrammen, aber erst recht, wenn er im Familienpack daherkommt.

Im Januar 2014 erhielten Sie beim Swiss Award den Lifetime Award. Das ist also mitnichten ein Schlusspunkt?
Dimitri: Jeder Preis, den ich bisher bekommen habe, war für mich ein Ansporn, es noch besser zu machen. Man kann sich in meinem Beruf auch verbessern, indem man reduziert, sich konzentriert. Vor ein paar Jahren habe ich mich dazu entschlossen, nicht mehr Regie zu führen und nicht mehr zu unterrichten, sondern daran zu arbeiten, der Clown zu werden, der ich immer sein wollte.
Masha: Als Junger muss man noch zeigen, was man alles draufhat: Salto, Flickflack, Handstand... Mit dem Alter ersetzt die Erfahrung diese Elemente. Für mich ist es interessant, zu sehen, wie er schrittweise zurücksetzt und dafür auf der anderen Seite gewinnt.
Nina: Er gewinnt allein durch seine Präsenz und seine Komik. Er muss keinen Salto mehr machen!

Und was finden Sie komisch, Dimitri?
Dimitri: Humor ist etwas, was einen zum Lachen bringt. Es gibt natürlich schwarzen oder bösen Humor. Ich mag aber den lieben Humor, der nicht beleidigt oder böse ist.
Nina: ...oder sich über jemanden lustig macht.
Dimitri: Genau! Wenn jemand andere auslacht oder Witze macht, zum Beispiel über Behinderte, den würde ich ohrfeigen vor Wut. Bei den heutigen Trends von Comedy, Stand-up, Slapstick und wie das alles heisst, da fehlt mir oft die Poesie oder Naivität der Clowns von früher. Gaston zum Beispiel, der ist zeitlos. Jedes Kind und jeder Erwachsene kann über ihn lachen. In dieser Tradition sehe ich mich auch.

Von Christian Breitschmid am 17. September 2015 - 16:22 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 15:49 Uhr