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Berner Fotograf David Bittner

In Alaska rückt er den Grizzlys auf den Pelz

Keiner kommt den Raubtieren in Alaska näher als Bärenflüsterer David Bittner. Drei Monate im Jahr fängt der Fotograf die wilden und sanften Seiten der letzten Grizzlys ein. Die Bilder des Berners sind bärenstark. 

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Frech steckt der kleine Bär die Nase ins Gebüsch. Dann beisst er zu. Bittners Kameraversteck ist aufgeflogen. Es muss der Gummi gewesen sein, den der clevere Racker gerochen hat, schiesst es dem Bärenforscher durch den Kopf. Das Kabel verbindet seine Nikon mit einem Funksender. So kommt der Biologe zu aussergewöhnlichen Schnappschüssen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen.

Nun ist seine Kamera in Gefahr. Und das 20-Millimeter-Objektiv dazu. Laut gestikulierend geht David Bittner, 38, auf das Jungtier zu. Doch anstatt die Beute fallen zu lassen, rennt es zum Fluss. Auf der anderen Seite wartet die Bärenmama. Mal sehen, was sie zum seltsamen Fund meint! Geschlagene zehn Minuten schaut der Fotograf zu, wie der Bengel auf seiner Kamera herumkaut, sie im Wasser hin- und herschwenkt - und dann in den Fluten versenkt.

«Als ich den Apparat endlich aus den Stromschnellen fischen konnte, tropfte es sogar aus dem Speicherkartenfach.» Die Bilder konnte er retten. Nur der Sensor blieb beschädigt. Heute benutzt er die Kamera nur noch für Extremeinsätze. Mit Wehmut denkt David Bittner an die bewegenden Momente zurück. 1977 in Bern geboren, wuchs er im idyllischen Saanenland auf. Wie alle Kinder hielt auch er einen Stoffteddy im Arm. Die Liebe zu den grössten Landraubtieren der Welt erwachte beim Biologen auf seiner ersten Alaska-Reise. «Eigentlich wollte ich das Naturschauspiel der Lachswanderung dokumentieren und nahm mir vor, den Bären aus dem Weg zu gehen.» Es kam anders.

Als er ein Jahr später wieder in den Katmai-Nationalpark reiste, war er gerührt vom Wiedersehen mit den scheuen Giganten. Intensive Freundschaften entstanden. Heute gehört er zu den erfahrensten Wildlife-Fotografen der Welt. Seit 2002 fotografiert er Grizzlys aus nächster Nähe, eine Untergruppe der Braunbären. Die Faszination, unter Bären zu leben, lässt ihn nicht mehr los. Schon auf dem Hinflug von Zürich nach Anchorage beginnen seine Gedanken zu kreisen. Wie wird es wohl Luna, Joya, Bruno, Balu, Bala, Berta, Hugo, Oliver und Lunnie gehen? Werde ich sie gesund und munter antreffen? Nicht jeder Bär erhält von ihm einen Namen. Aber jeder hat seinen eigenen Charakter, seine Persönlichkeit.

Zu Luna hat Bittner eine besonders innige Bindung. Schon vom ersten Moment an gefiel ihm ihre neugierige Art, durch die Welt zu tapsen. Mit zwei Jahren wurde sie von der Mutter verlassen: Ihr nächster Nachwuchs war unterwegs. Rasch fasste die junge Dame Vertrauen zu dem fremden Wesen auf zwei Beinen. Kam er im nächsten Sommer wieder, wurde ihre Arglosigkeit noch stärker. Heute ist sie eine majestätische Erscheinung, besucht ihn im Camp. «Hätte ich keinen Elektrozaun, der mich vor ihren wilden Kollegen schützt, Luna würde sogar mein Zelt inspizieren.» Doktor Bittner kommt Bären, die er nicht kennt, nie zu nah. Berühren ist tabu. «Das ist eine Art symbolischer Respekt.» Gibt es Probleme, dann mit den «frechen, kleinen Stinkern», den männlichen Jungtieren. Sie müssen lernen, sich zu behaupten. Der Profi gesteht: Selbst aus Distanz wird er nervös, verspürt leise Angst. Begegnet man einem ausgewachsenen Bären zur falschen Zeit am falschen Ort - «sei es, weil er verletzt ist, bei der Paarung zu kurz kam oder auf der Futtersuche gestresst ist» -, kann es lebensgefährlich werden.

Wie bei den Menschen gibt es wohl auch unter Grizzlys «Psychopathen», die ihr Leben nicht auf die Reihe kriegen. Und das Leben der Braunbären im nördlichsten Bundesstaat der USA ist hart. Die meisten Tiere werden nicht älter als 20 Jahre. Für ein Säugetier dieser Grösse keine erfreuliche Prognose. Grund ist der mehrmonatige Winterschlaf. Soeben haben sich die Bären wieder in ihre Höhlen verzogen. Sie fahren den Stoffwechsel herunter, verlieren drastisch an Gewicht und zehren von ihren Reserven. Manche haben im nächsten Frühling keine Energie mehr. Die Folge: Sie sterben einsam in ihren Verstecken.

Der Tod wartet schon auf die Kleinsten. 50 Prozent aller Bärenkinder überleben das erste Jahr nicht. Weil sie zu wenig Nahrung erhalten, ertrinken, verletzt sind, zu neugierig die Nase in die Höhe strecken oder von der Mutter einen Moment lang nicht bewacht werden. Bären verfügen nicht nur über ein ausgezeichnetes Gehör und nehmen das Blöken eines Hirschkalbes aus 500 Metern wahr. Sie sind auch Kannibalen. Bittner hält mit seiner Kamera auf seinen Streifzügen auch archaische Momente fest. Das Erlebte geht ihm manchmal selbst ans Eingemachte. Wie beim Grizzly, der nach einem Kampf eine offene Bauchwunde davonträgt und den Darm hinter sich herzieht, bis er verendet. Oder das Schicksal einer Mutter, die ihre Rasselbande und sich selber nicht mehr ernähren kann.

In Momenten wie diesen verheisst schon der Kampf um ein Stückchen Fisch nichts Gutes. Die Patriarchin verletzt ihr schwächstes Glied. Das Junge humpelt, versucht, sich wieder in die Gruppe einzugliedern. Sein Brüllen ist herzzerreissend. Bittner kann nichts tun, wird zum stummen Zeugen einer Tragödie, wie sie das Tierreich täglich hervorbringt. Die Geschwister spenden dem Ausgestossenen Trost, lecken das schmerzverzerrte Gesicht. Am nächsten Tag ist das Bärlein tot - gefressen von den eigenen Artgenossen. Nur das Skelett blieb übrig.

Der Mensch darf sich nicht einmischen, ist der Bärenprofi überzeugt. Auch wenn die Gefühle das Gegenteil möchten. Seine Bilder sind eindringlich. «Ich will bewusst machen, wie kraftraubend das Leben der Bären ist. Ich habe Respekt für alle, die es schaffen, in der Wildnis zu überleben.» In seinen Explora-Vorträgen erzählt David Bittner mit Begeisterung vom Aufeinandertreffen zweier Welten. Ab dem 6. Januar 2016 startet die Tournee «Unter Bären II» (www.davidbittner.ch).

Das Geschäft mit dem Abenteuer boomt. Seine Fotoreisen für 2016 sind ausgebucht - eine Woche kostet so viel wie ein Kleinwagen. Im Dezember erschien der Bildband «Unter Bären in Alaska». Das Buch, sein neuer Job als Fachspezialist für Fischerei in der Abteilung Wald beim Kanton Aargau und seine junge Familie waren der Grund, warum er dieses Jahr nicht nach Alaska reiste. Seine eigenen Knuddelbären Léonie, 4, und Rowena, 2, sind noch zu jung für Abenteuertrips. Dafür teilt Davids Frau Cécile, 38, seine Leidenschaft.

Sie begleitete ihren Mann und kennt die Gefahren. Das Eismeer in der Bering-Strasse, das Alaska umgibt und den Pazifischen Ozean vom Arktischen Meer trennt, ist bedrohlich. Im 15'000 Quadratkilometer grossen Gebiet bewegt sich der Tier- und Naturfotograf mit dem Kajak fort. An den schroffen Küsten gibt es keine Anlegemöglichkeiten. «Ich bin ein kleiner Punkt im Universum. Das macht mich demütig.» Sein Camp schlägt er in Meeresnähe auf, abseits der Bärentrails. «Ich entbehre viel, habe keinen Stuhl mit Lehne, kein Zelt, in dem ich stehen kann. Auch im Sommer stürmt es oft. Es kann Wochen dauern, bis ich das Zelt verlassen kann. Alles ist feucht, kalt, nass.» Vor allem das Holz. Der einsame Held am knisternden Lagerfeuer - ein Klischee. Bittner ernährt sich auf seinen Touren von Fisch. Mittlerweile kennt er 20 Rezepte. Er sammelt Himbeeren gross wie Pflaumen. Trinkt Wasser aus kristallklaren Bächen, in denen sich keine Fische tummeln. «Ist das Wasser durch verwestes Fleisch verunreinigt, könnte ich krank werden. Das ist mir erst einmal passiert.»

Früher verabschiedete sich der Pilot von ihm mit den Worten: «Good Luck! See you in three months.» - «Viel Glück! Bis in drei Monaten.» Heute hat Bittner ein Satellitentelefon im Gepäck. Plus Leuchtraketen, Pfefferspray und einen 10'000-Volt-Zaun, mit dem er seine beiden Zelte schützt. Im einen schläft er, im anderen lagern die Vorräte.

Bären faszinieren uns seit Jahrhunderten. Sie erregen unsere Bewunderung, wecken aber auch urtümliche Ängste. Dringt der Mensch in ihr Universum ein, beginnt das Paradies zu bröckeln. Das ist auch dem Schweizer bewusst. David Bittner kämpft für das Reich am Ende der Welt. Seine Waffe ist die Kamera. Alaska steht vor der Wahl: Fortschritt, Kommerz, Ausbeutung. Oder der Schutz der Natur, in der es nur einen König gibt - der Bär.

Von Caroline Micaela Hauger am 10. Januar 2016 - 09:19 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 15:31 Uhr