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«Das persönliche Interview» mit Gardi Hutter

«Unsere Gesellschaft muss sterben lernen»

Seit 35 Jahren bringt Gardi Hutter, 63, als Clownin Gross und Klein rund um die Welt zum Lachen. Dürfte sie wählen, wäre sie gerne eine Walderdbeere - auch wenn sie sich manchmal fühlt, als hätte sie nachts jemand stundenlang mit Stöckchen geschlagen. 

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Gardi Hutter (Programm 2016) über Kindheit, Tod & Sterbehilfe

Gardi Hutter tritt als Clown auf der ganzen Welt auf.

Ex-Press

«Schweizer Illustrierte»: Gardi Hutter, wie hätte Ihr Name als Junge gelautet?
Gardi Hutter: Vor mir gab es schon zwei Buben - deshalb hatten meine Eltern vor allem Mädchennamen im Kopf.

Welches Gemüse gehört verboten?
Gar keins. Ich liebe es und verstehe überhaupt nicht, dass Gemüse als langweilig und Gemüseesser als Langweiler abgestempelt werden. Gemüse hat so viele Geschmacksnuancen - zwischen Fenchel und Aubergine, zwischen Artischocke und Schwarzwurzel liegen Welten. Es sieht schön aus, ich kann mich gar nicht sattsehen. Um es möglichst wenig zu verändern, ist bei mir der Steamer das wichtigste Küchengerät.

Und was für eine Frucht wären Sie?
Wohl eine Walderdbeere.

Um wie viel Prozent müssten Sie Ihr Arbeitspensum reduzieren, damit Sie massiv glücklicher wären?
Um 30 Prozent! Obwohl ich seit 35 Jahren - ich kann es selber fast nicht glauben - auf Tournee gehe und etwa hundert Mal im Jahr spiele, unterschätze ich immer noch das Arbeitsvolumen. Wenn ich zehn Vorstellungen im Monat habe, sind in meiner Agenda 20 Tage leer. Aber das sind keine Ferien: Die Tour muss vor- und nachbereitet, Interviews gegeben, mit Technik und Agentur die Logistik geklärt, Kostüme gewaschen, Requisiten geflickt und mein Tour-Bus in die Garage gebracht werden. Und dann muss ich auch immer Stoff fürs nächste Stück sammeln. Ein Drittel weniger, 66,666 Vorstellungen, wären perfekt.

Als Sie Kind waren, was hat Ihre Mutter Ihnen da immer gesagt?
«Du chunnsch dänn scho no uf d Wält.» Eine happige Drohung.

Wann haben Sie zuletzt etwas Selbstgebasteltes geschenkt?
Ich sammle Wurzeln im Wald und schnitze dran rum. Mich beruhigts, und die Beschenkten freuts.

Wo am Körper tuts Ihnen weh?
Am Ende einer Tournee habe ich manchmal das Gefühl, jemand hätte mich in der Nacht heimlich zwei Stunden lang mit kleinen Stöcken geschlagen - dann tuts rundum weh, vor Müdigkeit.

Welche Musik soll an Ihrer Beerdigung gespielt werden?
Ich will nicht bis über den Tod hinaus entscheiden, was die anderen tun sollen. Finde ich unsympathisch. Die Hinterbliebenen wissen selber, zu welcher Musik sie tanzen wollen.

Können Sie sich vorstellen, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen?
Sicher! Unsere Gesellschaft muss sterben lernen. Die Medizin ist so fortgeschritten, dass wir wohl oder übel mehr gezwungen sein werden, zwischen Leben und Tod zu entscheiden. Mein Körper könnte noch lange am Leben erhalten werden, auch wenn mein Kopf schon längst den Geist aufgegeben hat. Nur schon darüber, was Leben und was Tod ist, müsste mehr gesprochen werden. Tod ist ein Tabuthema - dabei gehen wir alle darauf zu. Ich bin überzeugt: Je klarer wir leben, desto leichter können wir irgendwann loslassen.

Über welche Tat oder Aussage von Ihnen wird man noch lange nach Ihrem Ableben reden?
Dass ich eine der ersten komischen Frauen auf der Bühne war. Heute haben auch Mädchen komische Vorbilder - bei mir herrschte da noch graue Leere.

Welches Buch hat Ihr Leben massiv beeinflusst?
Im Moment faszinieren mich zwei Bücher: Y. N. Hararis «Eine kurze Geschichte der Menschheit». Brillant, wissenschaftlich, witzig. Und Swetlana Alexijewitschs «Der Krieg hat kein weibliches Gesicht», in dem einige wenige von einer Millionen Frauen, die in der Roten Armee gedient haben, über den Krieg erzählen. Berührend, lebendig und wehmütig.

Was wird man in hundert Jahren über die aktuelle Epoche sagen?
Falls es uns dann noch gibt, werden sie uns loben, dass wir die Klimakrise gemeistert haben.

Ihr Spitzname als Kind?
Fink und Jimmy.

Als Sie 16 Jahre alt waren, wie sah da Ihr Zimmer aus?
Ich warf alle Möbel raus und kaufte im Brockenhaus harte Kissen. Das war mein erstes gemietetes Zimmer, und es dauerte nicht lange, da hatte mich die Vermieterin rausgeworfen.

Was in Ihrem Alltag müssten Sie aus ökologischer Sicht dringend verändern?
Den Raubbau an mir. Dadurch, dass das, was ich tue, mir so gefällt, spüre ich Müdigkeit oft erst, wenn sie in totale Erschöpfung kippt. Tourneen in Brasilien und China sind extrem spannend - aber auch extreme Energiefresser.

Bei wie viel Franken pro Liter Benzin wäre für Sie die Schmerzgrenze erreicht?
Es gab mal die geniale Idee «Ökobonus», die sich nie durchgesetzt hat: ein Liter zu fünf Franken. Wer nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt, bekommt von diesem Geld einen Bonus. Er wird dafür belohnt, dass er nicht verschmutzt hat. Ich als Tour-Fahrerin müsste tief in die Tasche greifen, aber würde so fahrenderweise was für die Umwelt tun.

Von René Haenig am 4. April 2016 - 05:00 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 15:18 Uhr