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Diego Benaglio

Interview: Mister Cool bleibt sich treu

Deutscher Meister, Champions-League-Teilnehmer, Nationalspieler: Mit 26 hat Diego Benaglio schon viel erreicht. Nun steht er erstmals an einer WM im Tor. Und bleibt doch die Ruhe selbst.

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Das dicke Edelmetall an seinem linken Ringfinger ist unübersehbar. «Und ziemlich schwer», schmunzelt Diego Benaglio, 26. Seit dem 23. Oktober 2009 trägt der Goalie der Schweizer Nationalmannschaft seinen Ehering mit Stolz. An jenem Tag hat er in Wolfsburg seine Jugendliebe Nadin, 27, geheiratet. Hat ihn die Ehe verändert? Benaglio schüttelt den Kopf. «Verändert hat sich nur der Nachname meiner Frau. Sie heisst jetzt Benaglio», erklärt er trocken. Diego war schon immer erstaunlich abgeklärt für sein Alter. Mit 26 hat er beruflich viele Höhepunkte erlebt. Bundesliga-Meister. Champions-League-Teilnahme. EM im eigenen Land. Und nun steht er zum ersten Mal an einer WM im Tor. Nervosität? Kennt Benaglio nicht. «Mister Cool» über Loyalität, Glückszahlen, Lionel Messi und Babys.

SI Goal: Diego Benaglio, dies wird Ihre erste WM als Nummer eins der Schweiz. Ihr Vorgänger, Pascal Zuberbühler, hat 2006  kein Gegentor kassiert. Eine Marke, die schwer zu toppen sein wird!
Diego Benaglio: Allerdings! Zubi hat in Deutschland sensationell gehalten. Natürlich ist es das Ziel  jedes Goalies, zu null zu spielen. Wenn wir  jedoch trotz einem Gegentreffer weiterkommen sollten, kann ich sehr gut damit  leben. Ich war 2006 als dritter Goalie dabei und bin enorm froh um diese Erfahrung.

Inwiefern?
Ich kenne die Abläufe bei so einem grossen Turnier, mich kann nichts aus der Bahn werfen. Es ist nicht zu unterschätzen, was da abgeht: Fast die ganze Welt schaut zu beim wichtigsten Turnier, an dem man als Fussballer teilnehmen kann. Es ist absolut wichtig, den ganzen Rest auszublenden und sich nicht vom Rummel beeinflussen zu lassen.

Wie sahen Sie Ihre Rolle 2006? Welche Schlüsse ziehen Sie für 2010 daraus?
Ich rutschte vor vier Jahren als absoluter Neuling im letzten Moment ins Kader und freute mich einfach nur wahnsinnig, dabei sein zu dürfen. Darum wäre ich der Letzte gewesen, der irgendwelche Ansprüche stellt. Ich habe versucht, im Training meine Leistung zu bringen und Zubi zu unterstützen.

Seit Köbi Kuhn im Februar 2008 auf Sie  gesetzt hat, sind Sie die klare Nummer eins im Nationalteam, auch bei Ottmar Hitzfeld. Ist die Eins eigentlich auch sonst Ihre Glücks- oder Lieblingszahl?
Wenn ich Lotto spiele, kreuze ich die Eins natürlich an. Die Zahl hat für jeden Goalie eine spezielle Bedeutung, weil ja jeder die Eins auf dem Rücken tragen will. Ich  hätte sie bei meiner Ankunft auch gern in Wolfsburg gehabt, doch leider war sie  besetzt. Also nahm ich die 16. Denn auch meine eigentliche Lieblingszahl, die 23, trug Stürmer Grafite. 

Die 23?
Sie ist mir in meinem Leben öfter begegnet. An einem 23. habe ich Nadin getroffen, wir haben dann auch an einem 23. geheiratet. Und Basketballstar Michael Jordan, den ich sehr bewundere, trug ebenfalls die 23.

Wen bewunderten Sie als Bub?
Ich wechselte ja erst mit zwölf ins Goal, da waren Vorbilder schon nicht mehr so ein Thema. Mir gefiel Ike Shorunmus Art zu spielen. International fand ich Peter Schmeichel von ManU toll. Da ich aber als Bub immer GC-Fan war, hatte ich lange zu Zubi aufgeschaut.

Und über zehn Jahre später lösten Sie ihn als Nummer eins ab…
… ich hätte mir niemals erträumt, dass wir mal Teamkollegen und sogar gute Freunde würden. Er ist schliesslich zwölf Jahre älter als ich. Nun war er im vergangenen Herbst sogar an meiner Hochzeit. Er ist wirklich  ein sehr, sehr guter Freund. Und ich gehe  davon aus, dass wir auch während der WM miteinander in Kontakt sein werden.

Als guter Freund verhielten Sie sich auch in der Nationalmannschaft stets loyal ihm gegenüber. Verraten Sie uns, wie Sie zu Ihren Goalies Nummer zwei und drei stehen?
Marco Wölfli schätze ich sehr, als Torhüter und als Mensch. Wir kennen uns seit den Junioren-Auswahlen. Ein lustiger Typ! Es spricht auch für ihn, dass er Captain von YB ist…

 … und in der Nati «nur» Ersatz. Wie schafft man es, sich plötzlich unterzuordnen?
Das ist für einen Goalie nie einfach, weil es extrem wichtig ist, Vertrauen zu spüren und die Nummer eins zu sein. Trotzdem muss man in jedem Training seine Leistung bringen, um im richtigen Moment da zu sein.

Stichwort Johnny Leoni?
Er ist noch jung und trotzdem schon einige Jahre Stammgoalie beim FC Zürich, konnte mehrere Meistertitel feiern – das spricht für ihn. Ich gebe zu: Mit Wölfli habe ich mehr zu tun. Aber auch Johnny ist ein angenehmer Typ. Bis jetzt war er absolut fair und loyal. Ich gehe davon aus, dass das auch so bleibt.

Oft gelten Goalies als ein wenig verrückt. Im Schweizer Kader wirken alle drei recht «normal» und vernünftig.
Torhüter zu sein, bedeutet nicht zwingend, dass man verrückt ist. Ich will mich nicht verstellen, um ins Klischee zu passen. Entscheidend ist doch die Leistung, oder?

Was ist wichtiger: Instinkt oder Technik?
Schwer zu sagen. Das Spiel der Torhüter ist mittlerweile sehr komplex. Man agiert im Grunde als Libero hinter der Abwehr, da muss man technisch gut geschult sein. Aber auch Faktoren wie Reflexe spielen eine  Rolle. Instinkt hilft sicher, aber ich spekuliere nicht. Wichtiger ist, die Situation richtig und schnell zu beurteilen.

Welcher Torhüter wird sich in Südafrika besonders hervortun?
Da Petr Cech leider fehlt, werden es Iker  Casillas und Gianluigi Buffon sein. Im  Moment die stärksten Goalies auf der Welt.

Welche Feldspieler sind die WM-Stars?

Schwer, da einen hervorzuheben. Die Spanier verfügen über sehr viel individuelle Klasse. Auch die Brasilianer haben Topspieler. Der Argentinier Lionel Messi überstrahlt im Moment alle.

Sie trafen mit der Nati im Juni 2007 auf ihn (1:1). Wie kann man ihn stoppen: Mann- oder Zonendeckung?
Ja, ich hatte schon mal das Vergnügen… (lacht). Messi ist eine der grössten Herausforderungen im modernen Fussball. Wenn ich ein Patentrezept hätte, könnte ich mir etwas darauf einbilden. Leider habe ich keins. Man sah in der Champions League, dass selbst Arsenals Spitzenleute kein Mittel  gegen ihn fanden. Das Problem ist, dass er fast in jedem Spiel top ist. Ebenfalls schwer auszuschalten ist Cristiano Ronaldo.

Bereiten Sie sich auf Stars speziell vor?
Nicht anders als auf andere Spieler. Was nicht bedeutet, dass ich keinen Respekt hätte. Respekt vor den Gegnern zu haben, ist wichtig. Aber man darf keine Angst haben!

Ihre WM-Favoriten?
Spanien und Brasilien muss man dazu  zählen. Italien und die Deutschen können sich im Turnierverlauf enorm steigern. Aber ich denke, auch ein afrikanisches Team wird weit kommen. Die Elfenbeinküste deutete schon öfter an, dass sie zu Grösserem fähig ist.

Trainer Hitzfeld sprach von der Schweiz als Favoritenschreck.
Wir wollen mindestens Gruppenzweiter  werden. Spanien ist der absolute Favorit. Von meinen südamerikanischen Mitspielern in Wolfsburg weiss ich, dass Honduras und Chile eine sehr starke WM-Qualifikation gespielt haben. Es wird keine leichten Gegner geben. Danach sehen wir von Spiel zu Spiel weiter.

An einer WM spielt das Mentale eine  grosse Rolle. 2006 waren die Schweizer wochenlang in Bad Bertrich «kaserniert». In Vanderbijlpark werden Sie noch viel mehr durch Security abgeschirmt sein. Was tun gegen drohenden Lagerkoller?
Wir haben zum Glück einen sehr guten Teamgeist. Das hilft extrem. Davon lebten wir bereits 2006. Sonst wirds eine lange Zeit. Da gebe ich Ihnen recht.

Was haben Sie gegen Langweile dabei?
Meinen Laptop, ich schaue oft DVDs oder höre Musik. In Bad Bertrich hatten wir einen Pingpong-Tisch. Mal sehen, was sich der Fussballverband diesmal einfallen liess. 

Reist Ihre Familie auch nach Südafrika?
Nein. Ich habe allen gesagt, sie sollen daheimbleiben. Erstens hätten sie sowieso kaum etwas von mir, und zweitens ist es dort jetzt Winter. Sollen sie die Spiele lieber am Fernsehen verfolgen, da haben sie mehr  davon. Aber natürlich werde ich sie alle vermissen, wenn wir so lange getrennt sind.

Nach der WM kehren Sie zu Wolfsburg  zurück und spielen nicht mal im Uefa-Cup.
Eine riesige Enttäuschung! Wir haben unser Ziel klar verpasst. Jeder, der schon in der Champions League gespielt hat, möchte das wieder erleben. Das macht einen richtig süchtig, man will wieder da hin. Vor allem die Auswärtsspiele im Old Trafford, in Istanbul und Moskau waren unvergesslich.

War der Meistertitel 09 eine Hypothek?
Wir wussten, dass es extrem schwierig würde, diesen Titel zu bestätigen. Aber da spielten verschiedene Faktoren mit. Phasenweise funktionierte unsere Mannschaft einfach nicht, dazu kam eine Heimschwäche. In der Meistersaison hatten wir im eigenen Stadion kaum Punkte abgegeben. Die fehlten nun.

Und Trainer Felix Magath, der zu Schalke 04 ging. War das auch ein Faktor?
Darüber mache ich mir keine Gedanken mehr. Wir hatten eine tolle Zeit zusammen.

Magath wirkt immer recht kontrolliert und unnahbar. War das auch hinter verschlossenen Kabinentüren beim Team so?
Ja, er sucht keinen Kontakt zu Spielern und bleibt immer distanziert. Wenn er Bedarf spürt, führt er Einzelgespräche, aber sonst spricht er kaum mit den Spielern. Ist aber irgendwo Not am Mann, hilft er. Magath  hat da ein sehr feines Gespür. 

Magath weg. Titel weg. Was hält Sie in Wolfsburg ausser dem Vertrag bis 2013?
Ich fühle mich sehr wohl hier. Und ich weiss, dass der Verein bestrebt ist, langfristig im oberen Drittel der Bundesliga mitzuspielen. Der VfL wird alles daransetzen, die Topspieler zu halten und das Team punktuell zu verstärken. Das zu spüren, tut gut. Darum gibt es im Moment keinen Grund wegzugehen.

Zudem sind da ja zwei weitere Schweizer «Goalies»: der dritte Mann, Marwin Hitz, und Goalietrainer Andreas Hilfiker.
Stimmt! Unsere Nummer zwei, der Deutsche André Lenz, spricht mittlerweile schon ganz gut Schwiizertüütsch (lacht). 

Ist das Amtssprache im Training?
Wir sprechen schon Hochdeutsch. Dass da aber auch mal ein Wort in der Muttersprache rausrutscht, ist glaube ich normal.

Treffen sich die Schweizer auch privat? 
Mit Marwin bin ich eng befreundet, stimmt. Mit Hausi pflege ich ausserhalb des Fussballs kaum Kontakt, und das soll auch so bleiben. Ich schätze ihn sehr, er ist ein hervorragender Goalietrainer, sehr akribisch. Doch das Arbeitsverhältnis steht im Vordergrund.

Stichwort privat: Wie siehts mit der Familienplanung aus?
Natürlich wünschen Nadin und ich uns Kinder. Aber wir lassen es auf uns zukommen und sehen das ganz locker. In unserem Bekanntenkreis haben schon einige Familie, so wissen wir, was uns erwartet.

Das Leben verändert sich radikal!

Das hoffe ich doch! Aber es wird eine tolle Veränderung, und wir freuen uns darauf.

Von Ilona Scherer am 9. Juni 2010 - 16:24 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 19:42 Uhr