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Yangzom Brauen

«Mein Gesicht spiegelt eine Rassenmelange wider»

Ob als Schauspielerin, Liebhaberin oder Autorin: Sie glänzt in jeder Sparte. Daran sind vermutlich Omas heilige Kügelchen schuld. Interview mit einer Glücklichen.

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«Yangzom» heisst auf Deutsch «vereinigtes Glück». Den Namen hat Kunsang ausgewählt, Yangzoms Grossmutter. Die tibetische Nonne hat ihren Blick ein Leben lang nach innen gesenkt und das Karma ihrer Enkelin mit dem Herzen erkannt. Der Name passt, zweifellos. Die Schauspielschule in Bern hat Yangzom als Jüngste absolviert (mit einer Abschlussarbeit, bei der fünfzig Weinbergschnecken über ihren nackten Körper krochen). Heute wohnt und liebt die 28-Jährige in Hollywood und fühlt sich «frei, zu tun, was mir gefällt». Vereinigtes Glück? Mehr kann sich kein Mensch wünschen …

Zurzeit hat Fortuna noch eins draufgelegt: Yangzoms (leider kurzer) Auftritt im ersten Schweizer Science-Fiction-Film «Cargo» ist grandios. Ihr Buch-Erstling «Eisenvogel», im Heyne-Verlag erschienen, erzählt die dramatische Geschichte ihrer tibetischen Familie. Das Buch berührt zutiefst. Und hilft der Politaktivistin bei ihrem grössten Ziel: der Autonomie Tibets. Denn Yangzom weiss: Ihr Glück ist auch das Glück der anderen.

Schweizer Illustrierte Style: In «Cargo» sind Sie in einer gruseligen Einstellung zu sehen. Als Ihre Grossmutter diese Szene an der Filmpremiere sah, schlug sie sich erschrocken die Hände vors Gesicht. Versteht sie als 89-jährige tibetische Nonne, welchen Beruf Sie ausüben?
Yangzom Brauen: Meine Grossmutter versteht vielleicht einen Spielfilm nicht ganz, aber sie weiss, dass dieses Metier meine Bestimmung ist. Ich wollte schon mit sechs Schauspielerin werden, und sie wusste schon mit fünf, dass sie Nonne wird. Die Schauspielerei ist mein Karma.

Das Genre Science-Fiction scheint Ihnen zu liegen. Sie spielten in der erfolgreichen Hollywood-Produktion «Æon Flux» mit.
Das hat wohl mit meinem exotischen Look zu tun. In Weltraum-Storys wird meistens die Erde zerstört, und die letzten Überlebenden treffen sich, ein Mix von Menschen verschiedenster Herkunft. Mein Gesicht spiegelt offenbar diese Melange der Rassen wider.

Sie drehten damals an der Seite von Charlize Theron. Al Pacino verpflichtete Sie 2008 für seinen Film «Salomaybe?». Wie nah kommen Sie den Stars auf dem Set?
Nicht besonders nah. Das sind eben Superstars, und die sind sehr vorsichtig, mit wem sie reden oder essen gehen. Leider hatte ich dieses Vergnügen bisher nicht.

Für eine kleine Filmrolle müssen Sie rund sechzig Castings absolvieren.
Wenn nicht noch mehr! Die Konkurrenz ist riesig.

Sechzig zu eins … das muss frustrierend sein. Wie halten Sie das aus?
Daran denkt man mit der Zeit nicht mehr. Man geht an ein Casting, spielt vor und vergisst es gleich wieder. Meine Motivation sind die Rollen. Wenn ich eine finde, die mich fasziniert, versuche ich mein Glück. Man muss in L. A. sehr gut vernetzt sein, einen Agenten und viele Freunde haben, denn Schauspieler in L. A. helfen einander, viel häufiger als hier in Europa.

In Los Angeles leben Sie seit drei Jahren mit Ihrem Freund, dem 13 Jahre älteren deutschen Schauspieler Guido Föhrweisser, zusammen. Er pendelt, wie Sie, zwischen den USA und Berlin. Wie funktioniert eine Beziehung zwischen zwei Kontinenten?

Mit Skype, Telefon, E-Mail. Aber es gibt auch Zeiten, in denen wir für Wochen zusammen sein können. Wir wohnen in einem Häuschen am Mount Washington, hier ist es viel grüner als in Hollywood. Wir haben viele Eukalyptusbäume vor dem Haus, einen Patio, es ist sehr gemütlich.

Ihre Mutter Sonam heiratete mit 19 Ihren Vater Martin Brauen, einen bekannten Ethnologen. Sie hat ihr ganzes Leben mit ihm und Ihrer Grossmutter in Bern unter einem Dach gelebt. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Kindheit?
Ich war sehr glücklich. Mein Bruder Tashi und ich durften frei und in Sicherheit aufwachsen. Wir wussten, dass sich meine Eltern nie trennen würden. «Freiheit und Sicherheit sind die grundlegenden Dinge für ein zufriedenes Leben», sagt meine Oma Kunsang. Ihr Zimmer lag gleich neben meinem, und wenn sie um fünf Uhr früh aufstand und in ihrem Altarraum Räucherstäbchen anzündete, um zu beten, schlich ich zu ihr, durfte still dabeisitzen und Tee trinken. Sie gab mir von ihren heiligen Kügelchen, die sehr bitter schmeckten, aber wie die Räucherstäbchen noch heute in mir das Gefühl von Vertrautheit wecken.

Pflegen Sie in Ihrer amerikanischen Heimat buddhistische Rituale?
Ich habe einen Altar mit einer Buddha- Statue und den sieben Schälchen für Opfergaben an die Gottheiten. Dort fülle ich nur Reis ein. Immer für frisches Wasser zu sorgen und die Gefässe zwischendurch trocknen zu lassen, ist zu zeitraubend! Reis ist immer erlaubt (lacht).

Meditieren Sie?
Ich bete, bevor ich ins Flugzeug steige.

Sie leiden unter Flugangst?
Überhaupt nicht! Aber meine Grossmutter sagt: «Bete vor dem Fliegen», also bete ich. Ich bin nicht sehr ängstlich.

Sie wirken in der Tat furchtlos und stark.
Na ja, ich habe auch meine Zweifel. Die meisten betreffen meine Arbeit: Bin ich gut genug? Finde ich die richtigen Antworten? Als Mädchen litt ich unter diversen Angstideen, wollte nicht in den Keller oder in den Estrich, wegen der Ungeheuer. Oder ich fürchtete mich davor, meine Füsse vor dem Bett auf den Boden zu stellen – jemand könnte mich packen. Meine Fantasie war und ist noch immer riesig …

«Hollywood» tönt nach Glanz und Glamour, wie müssen wir uns Ihr Leben dort vorstellen?
Hollywood ist knallhart. Es kostete mich ein ganzes Jahr, bis ich mich ein bisschen daheim fühlte. Ohne Auto funktioniert dort gar nichts. Bei einem Rotlicht kann es vorkommen, dass einem ein Obdachloser Essensreste in den Wagen schmeisst, ständig kreisen Helikopter auf der Suche nach Verbrechern über der Stadt. In der von mir mitproduzierten ersten Schweizer Web-Seifenoper «Hallo Hollywood » (zu sehen dreimal wöchentlich auf www.blick.ch, Red.) zeigen wir, wie die Suche nach einem Job für angehende Schauspielerinnen tatsächlich ist.

Das heisst, je dünner, desto besser … Müssten Sie nicht in Size zero passen, sechsmal die Woche ins Fitness gehen und sich jeden Morgen eine Föhnfrisur verpassen? Eine Zeitung schrieb, sie hätten Haare wie ein wilder Yak …
Ich lasse diesen Druck gar nicht an mich heran. Klar, trainiere ich, manchmal auch mit Guido, und ja, ich achte auf die Linie. Aber es geht nicht nur um die Kleidergrösse, die lässt sich ändern. Das Können, das Talent, das ist das Wichtigste! Wer nicht spielen kann, ist schnell weg vom Fenster.

Sie haben vor Kurzem mit «Eisenvogel » die dramatische Geschichte Ihrer Familie, ihre Flucht vor den Chinesen aus Tibet nach Indien veröffentlicht. Das Buch berührt zutiefst, und man fragt sich, wie Ihre Mutter und Ihre Grossmutter so viel Leid ertragen konnten.
Ich wollte ein ehrliches Buch schreiben, das nichts auslässt. Es war für Kunsang und Sonam nicht einfach, ihr Privatleben der Öffentlichkeit preiszugeben. Beide hatten Respekt vor den Reaktionen. Meine Oma schämte sich auch, dass sie, eine heilige Nonne, Kinder zeugte, den irdischen Bedürfnissen nachgegeben hatte. Sie sprach deswegen viele Gebete. Meine Mutter ist das Einzige, was meiner Grossmutter geblieben ist. Zwei ihrer Kinder starben als Baby in Tibet, die vierjährige Schwester meiner Mutter starb kurz nach der Flucht in Indien, wenige Jahre später folgte ihr mein Grossvater Als meine Eltern vor einem Jahr nach New York zogen, wohin mein Vater als Leiter des Rubin Museum of Art berufen wurde, war es für meine Mutter unendlich schwer, ihre Mutter allein in der Schweiz zurückzulassen.

Dieses Buch zu schreiben, muss auch Ihnen sehr nah gegangen sein.
Es war eine sehr emotionale Zeit. Besonders meine Mutter verarbeitete ihre Geschichte erneut, wir haben sehr viel zusammen geweint und sind einander noch näher gekommen. Ich verstehe nun, warum sie unter Albträumen litt, wie gravierend das Erlebte für sie war.

Nächstes Jahr erscheint «Eisenvogel » in Amerika. Vielleicht wird es ein Bestseller und verfilmt?
Der amerikanische Verlag St. Martin’s Press will mich in die Show von Oprah Winfrey bringen, das wäre der Hammer! Aber für mich war die grösste Freude, die deutsche Fassung erstmals in Händen zu halten.

Bei Fernsehauftritten tragen Sie meist dieses tibetische Gewand ...
… die Tschuba, ich lasse sie bei Verwandten in Tibet auf Mass schneidern. Doch meist trage ich westliche Kleider.

Was tragen Sie sonst noch gern?
Das ist unterschiedlich. Von Turnschuhen bis Highheels, Mode interessiert mich sehr. Ich liebe Ausverkäufe, besonders Loehmann’s, mein Lieblings-Designer- Outlet in L. A. und in New York.

Das tönt nach intensivem Shopping, sind Sie ein buddhistischer Shopaholic?
Nein, nein, aber ich liebe das Schaufenstershoppen, es müssen nicht unbedingt Kleider sein, auch Interieur-Dinge regen meine Fantasie an.

Haben Sie das dicke Portemonnaie, um die Fantasien umzusetzen?
Am Rodeo Drive sieht man mich eher nicht!

Sie könnten ja wie Winona Ryder …
… alles zusammenklauen (grinst), dann würde ich mir jede einzelne Boutique von Beverly Hills vorknöpfen!

Dabei sind Sie doch gar kein Gucci-Täschchen-Typ?
Erkennbare Labels sind nicht so mein Ding. Und mit Handtäschchen habe ich meine Mühe, denn ich schleppe gerne meinen ganzen Kram mit mir herum.

Boykottieren Sie Produkte aus China?
Ich versuche es, aber ich habe auch Kleider, made in China. Das lässt sich kaum verhindern. Mein Widerstand gegen die chinesische Politik in Tibet muss andere Wege finden, mein Buch ist einer dazu!

Wird «Eisenvogel» eines Tages ins Chinesische übersetzt?
Das wäre ein Traum. Wohl eher auf Taiwanesisch?!

2001 wurden Sie in Russland für einen Tag ins Gefängnis gesteckt, weil Sie ein Plakat gegen die Vergabe der Olympischen Spiele an China hochgehalten hatten. Würden Sie nach China reisen?
Wozu? Es reizt mich nicht. Ausser für ein berufliches Projekt. Nach Tibet hingegen ginge ich sehr gern, aber im Moment fehlt mir die Zeit dazu, und dass ich ein Visum kriegen würde, ist eher unwahrscheinlich.

Was ist typisch tibetisch an Ihnen? Es heisst, die Tibeter seien immer fröhlich. Ist dieses «He, he, he» des Dalai Lama typisch?
(Lacht tief und dunkel.) Das ist eine Eigenart seiner Heiligkeit. Meine Grossmutter lacht unglaublich laut, meine Mutter auch. Tibeter lieben es, Witze über andere zu machen. Werden sie selbst aufs Korn genommen, sind sie aber auch die Ersten, die über sich selber lachen. Ich musste lernen, dass diese Art von Ironie in L. A. nicht gut ankommt.

Was suchen Sie in Los Angeles, der Stadt der «Engel»?
Arbeit. Und Freiheit. Beides finde ich.

Wie viel Zeit geben Sie sich, um in Hollywood den Durchbruch zu schaffen?
Darum geht es gar nicht. Mir gefällt es dort. Es ist meine zweite Heimat, ich könnte mir vorstellen, für immer in L. A. zu bleiben.

Halten Sie es für möglich, dass Sie ein Star werden?
Pfff. (Schweigt.) Warum nicht? Aber das ist nicht mein Ziel, mir geht es um die Schauspielerei. Kalifornien ist toll, weil man nicht eingeschränkt wird, tun kann, wonach einem der Sinn steht. Zum Beispiel auch schreiben, fotografieren, Drehbücher verfassen, und keiner fragt: «Hast du das denn überhaupt gelernt?»

Und was ist das Schreckliche an Hollywood?
Die schwierigen Strassenverhältnisse. Und die sozialen Probleme. So viele Obdachlose … und andererseits so viel perverser Reichtum.

Von Ramona Thommen am 27. Oktober 2009 - 17:34 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 18:34 Uhr