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  4. Wanderserie: Pascale Bruderer wandert von Windisch nach Vogelsang

Pascale Bruderer

Sie verrät ihre liebste Wanderroute

Sie hat schon so einiges geschafft. Jüngste Einwohnerrätin von Baden, jüngste Nationalratspräsidentin der Schweiz, erste sozialdemokratische Aargauer Ständerätin nach 1948. Eines blieb Pascale Bruderer allerdings bis jetzt vergönnt: Noch nie ist sie einem frei lebenden Biber begegnet. Eine Spurensuche in ihrem Heimatkanton.

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Windisch bei Brugg. Tiefer Aargau. Nahe dem Wasserschloss, dem Zusammenfluss von Aare, Reuss und Limmat. Hier ist Pascale Bruderer, 35, daheim. Hier in der Nähe ist sie aufgewachsen. Hier ist sie zur Schule gegangen. Und hier soll er irgendwo sein: der europäische Biber, wissenschaftlicher Name Castoridae, das zweitgrösste Nagetier der Erde. «Als Kind kam ich mit meinen Eltern oft hierher und war ganz fasziniert von den grossen und tiefen Biberspuren und den angenagten Bäumen am Flussufer. Aber das Tier, das habe ich hier noch nie gesehen», erzählt Pascale Bruderer am Anfang der kleinen Wanderung, die in knapp zwei Stunden von Windisch der Aare entlang nach Vogelsang und zurück an den Ausgangspunkt führen wird.

Das einzige Tier, das sich am Flussufer zeigt, ist gross, schwarz und nass. Aber kein Biber. Es ist Pascale Bruderers fünfjährige Labrador-Hündin Kala, die sich sichtlich darüber freut, mal wieder ohne Kinderwagen unterwegs zu sein. «Seit der Geburt unserer Tochter Juliana muss sich Kala oft mit weniger spektakulären Spaziergängen begnügen», erklärt Pascale Bruderer die überschwänglichen Freudensprünge der Hündin. Kala (was auf Hawaiianisch Sonne und auf Indisch Schwarz heisst, wie Bruderer erklärt) schlägt wilde Haken durch das angrenzende Dickicht, das der Gegend einen Hauch von Dschungel verleiht. Sollte sich hier jemals ein Biber aufgehalten haben – er wird das Gebiet ab heute grossräumig meiden.

Tatsächlich hat sich in den letzten neun Monaten nicht nur für Hündin Kala einiges verändert. Am 15. Oktober des vergangenen Jahres brachte Pascale Bruderer ihre Tochter zur Welt, eine Woche später wurde sie im ersten Wahlgang zur Aargauer Ständerätin gewählt. «Vor allem die Geburt, aber auch die Wahl in den Ständerat waren zweifellos tief greifende Weichenstellungen. Und beide haben mein Leben verändert. Positiv verändert», sagt Bruderer, während wir an der Aare ein Gebiet durchwandern, das nicht nur nach Mangrovenwäldern aussieht, sondern sich auch so anfühlt: Ein halbes Dutzend Mücken haben Pascale Bruderer gestochen. Es ist das einzige einheimische Wildtier, das wir zu Gesicht bekommen.

An Kala sollte es diesmal nicht liegen, der Hund spaziert gemächlich an der Seite und apportiert hin und wieder einen Stecken. «Bravo», lobt Pascale Bruderer. Und lacht, weil ihr jetzt gerade in den Sinn kommt, wie Juliana beim letzten Mal, als sie das gesagt hat, plötzlich zu klatschen begonnen hat. «Zum ersten Mal hat sie spontan ein Wort und eine Bewegung miteinander in Verbindung gebracht. Ein eindrücklicher Moment für uns», erzählt Bruderer, bevor das Gespräch sich ausführlich über Vor- und Nachteile von verschiedenen Kinderwagen, Schlafzyklen und Tragesystemen dreht. Elterngespräche halt.

Die Hälfte der Wanderung ist bereits absolviert – nach wie vor ohne Biberkontakt. Reuss und Aare haben sich vermengt, die Limmat fliesst ein paar hundert Meter entfernt dazu. Eine eindrückliche Auenlandschaft, mehr Mississippi als Aargau. «Verschiedene Strömungen, die sich vereinen – das ist sinnbildlich für unseren Kanton», sagt Pascale Bruderer. «Vielfältige, attraktive Regionen mit eigener Identität sind es, die den Aargau prägen und ausmachen. Ich mag diese Vielfalt.»

Und vielleicht mögen die Aargauer Pascale Bruderer auch genau deshalb, weil sie diese Vielfalt widerspiegelt. Sie, die im beschaulichen Baden aufgewachsen ist, dann in Zürich, Schweden und den USA studiert hat und heute mit Ehemann Urs Wyss und dem gemeinsamen Töchterchen in Nussbaumen lebt. Und in Bern ihren Heimatkanton vertritt. «Diese Aufgabe ist mir eine Ehre», sagt Bruderer. «Aber auch eine grosse Freude. Im Unterschied zum Nationalrat geht es im Ständerat viel sachbezogener zu und her. Das entspricht meinem Verständnis von politischer Arbeit», sagt sie und schwärmt davon, wie im Rat wirklich nach Lösungen und Wegen gesucht werde und nicht einfach vorgefasste Meinungen vorgetragen würden.

Die Brücke über die Aare, das neue Ufer ist in Sicht, die Frage liegt auf der Hand: Was will man noch erreichen, wenn man jüngste Nationalratspräsidentin war und mit 34 Jahren Ständerätin geworden ist? Ein Exekutivamt? Pascale Bruderer spielt gar nicht erst vor, dass sie sich diese Frage noch nie gestellt hat. «Vielleicht irgendwann mal – doch sicher nicht in den nächsten Jahren und kaum je auf Bundesebene», antwortet sie. «Ich konzentriere mich politisch voll und ganz auf den Ständerat. Dort fühle ich mich wohl und am richtigen Platz. Ich bin sozusagen angekommen. Politisch – und privat sowieso!»

Nach 7,55 Kilometern und 50 Metern Höhendifferenz ist die Wanderroute wieder am Ausgangspunkt in Windisch angekommen. Kala legt sich in den Schatten, Pascale Bruderer kühlt die Füsse im Aarewasser. Die perfekte Idylle. Auch ohne Biber. «Ich glaube mal gelesen zu haben», sagt Pascale Bruderer ganz zum Schluss, «dass Biber nachtaktive Tiere sind.» Recht hat sie.

Von Silvan Grütter am 11. August 2012 - 10:05 Uhr, aktualisiert 21. Januar 2019 - 00:09 Uhr