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Kochen nach Lehrbuch

Die «Tiptopf»-Autorinnen zeigen ihr Festtagsmenü

Modern oder traditionell? Herzhaft oder leichte Kost? Was kochen Prominente eigentlich an Weihnachten oder Silvester? Die «Schweizer Illustrierte» hat Mäuschen gespielt und in die Töpfe geschaut. Im zweiten Teil präsentieren die vier «Tiptopf»-Autorinnen ihr persönliches Festtagsmenü.

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Weihnachten 2016 Menü Festtage Rezept

Zu Tisch! Monika Jaun, Ursula Schmid, Ursula Affolter und Marianne Keller (v.l.) treffen sich ein- bis zweimal im Jahr. Heute bei Ursula Schmid in Uster ZH.

Fabienne Bühler

Das Karottensüppchen blubbert auf dem Herd. Zu viert stehen sie in der Küche von Ursula Schmid, 69, in Uster ZH. Heute entsteht als Gemeinschaftswerk ein Fünfgangmenü, dazu Weihnachtsguetsli. Während Ursula Schmid Petersilie schneidet, sticht Monika Jaun, 56, Rüebli-Sterne aus. Ursula Affolter, 64, säubert laufend die Kochutensilien, während Marianne Keller, 68, in der Suppe rührt. «Zu viele Köche verderben den Brei», besagt ein Sprichwort. Doch hier sind vier Lehrerinnen am Werk, die genau nach Rezept kochen - ohne nachzuschauen. Sie kennen den «Tiptopf» auswendig, sie haben das schweizweit erfolgreichste Kochlehrmittel für den Hauswirtschaftsunterricht verfasst.

Sieden, braten, dünsten - 1986 erscheint der erste «Tiptopf». «Wir haben damals Grundrezepte mit Variationen beschrieben, fern von irgendwelchen Trends», erzählt Ursula Affolter. Was als interkantonales Auftragsprojekt entstand, ist heute ein Millionenseller. Und nach 22 Jahren ist eine vollständige Überarbeitung erschienen. «Wer lesen kann, kann damit kochen. Wir verwenden eine klare, präzise Rezeptsprache», erklärt Marianne Keller den Erfolg des Kochbuches.

Wähe, Flade, Dünne oder Chuechä?

Was heute für viele die wichtigste Kochhilfe ist, hat bei den Autorinnen zu Beginn für Diskussionen gesorgt. «Wir mussten zuerst eine gemeinsame Sprache finden», sagen sie, die aus Bern und Zürich stammen. Eine fünfte Autorin, inzwischen verstorben, war Luzernerin. Sagt man Wähe, Fladä, Dünne oder Chuechä? Heisst es Güetzi, Chrömli oder Guetsli? Und trägt man eine Schoibe, Schürze oder Schoss? «An solchen Themen kann man sich fast zerfleischen», sagt Jaun, die heute beim Kochen genau wie ihre Berner Kollegin Affolter keine Schürze trägt. «Ich war bei Ursula damals im Seminar. Vielleicht liegts daran.» Die Frauen lachen.

Marianne Keller wischt ihre Hände schwungvoll an der selbstgemachten Schoss ab. Bei ihr muss es zackig gehen, schliesslich half sie als Kind schon früh im Landgasthof der Eltern mit. Ihre damalige Aufgabe: Salatsaucen. «Fleur de Sel», Pfeffer und bitzli Senf, dazu Essig und Öl, je nach Gusto noch ein Schuss Sojasauce. «Aber für die Salatsauce gibts kein richtiges Rezept. Jeder sollte da selbst experimentieren.» 42 Jahre lang hat Keller Erwachsene und Jugendliche in Bassersdorf ZH unterrichtet. «Es machte mich Stolz, mit dem eigenen Buch vor der Klasse zu stehen.» 

Die Küche ist nach dem dritten Gang - dem Süppchen - bereits wieder blitzblank. Ursula Affolter nippt an einem Glas Weisswein. Ja, der fehlende Alkohol bei den Rezepten habe nach der Veröffentlichung in manchen Kantonen für Entrüstung gesorgt, sagt die ehemalige Dozentin der pädagogischen Hochschule Bern. Weinbauern beschwerten sich, dabei hielten sich die Autorinnen lediglich an die gesetzlichen
Vorgaben.
«Das Buch bietet eine Grundlage. Im Unterricht animieren wir, die Rezepte nach eigenem Geschmack abzuändern», sagt Affolter. Seit ein paar Monaten ist sie pensioniert - der «Tiptopf» war wichtiger Teil ihrer beruflichen Tätigkeit und ihrer Weiterentwicklung. «Es war auch eine Chance.» Damals wurde die Koedukation eingeführt - sprich Mädchen und Buben wurden zusammen im obligatorischen Haushaltsunterricht gelehrt. «Generell gehen die jungen Männer unbefangener ans Kochen heran. Meitschi wollen stets, dass alles perfekt ist.»

Nach der Bibel das wichtigste Buch

Perfektion und Genauigkeit treffen auch auf Gastgeberin Ursula Schmid zu. Jahrelang war sie am Haushaltslehrerinnenseminar und später an der Pädagogischen Hochschule Zürich für Kochen, Nahrungsmittellehre und Fachdidaktik verantwortlich. «Da muss man sehr genau sein, denn die angehenden Lehrkräfte geben das Wissen weiter. Dabei geht immer etwas verloren.» Während den 43 Jahren hat sie manche Trends in der Küche miterlebt: Nouvelle Cuisine, Vollwertkost, Molekularküche, Vegetarismus. «Diese Trends habe ich thematisiert, aber unsere wichtigste Grundlage muss eine ausgewogene, abwechslungsreiche Ernährung sein», sagt sie. «Mittlerweile sind Kochen und Ernährung zur Religion geworden.» - «Mir hat ein Pfarrer einst gesagt, dass nach der Bibel für ihn der ‹Tiptopf› das wichtigste Buch sei», erzählt Marianne Keller. Die zwei Frauen besuchten vor 46 Jahren dasselbe Seminar.

Das Quartett hat auch erlebt, wie immer mehr Religion, Allergien und Unverträglichkeiten ein Thema im Unterricht wurden. «Die Schüler wissen heute genau, was sie essen dürfen», sagt Monika Jaun, die an der Volksschule in Biglen BE unterrichtet. So wusste ein muslimischer Schüler, dass Aceto balsamico Alkohol enthält oder in der Geflügelwurst auch Schwein drin sein kann. «Das Fach ist sehr anspruchsvoll. Doch generell machen die Jugendlichen gerne mit, schliesslich gibt es immer was zu essen», so die zweifache Mutter.

Mittlerweile sind auch die Orangen für das Dessert perfekt filetiert. Ein gutes Messer ist für alle das A und O in der Küche. «Es verhindert, dass man sich in die Finger schneidet», sagt Ursula Schmid. Und auf gute Haushaltshilfen wie Pürierstab, Trommelreibe und Geschirrspüler will keine von ihnen verzichten.

Das festliche Gemeinschaftswerk für heute ist vollbracht. Bei duftendem Kaffee und feinen Weihnachtsguetsli fangen sie an zu sinnieren. «Eigentlich sind wir Vorreiterinnen», sagt Monika Jaun. In allen Landesteilen gehört der «Tiptopf», der «Cosa bolle in pentola?» oder der «Croqu’menus» zum Unterricht. Selbst in Ouagadougou, Burkina Faso, nimmt eine Schweizer Lehrerin die französische Version zu Hilfe.

Von Aurelia Robles am 9. Dezember 2016 - 14:32 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 14:38 Uhr