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Der ganz normale Wahnsinn

Kampf um gleiche Rechte noch voll im Gang

Der erste Internationale Weltfrauentag fand am 8. März 1911 statt. Entstanden ist dieser Tag vor dem ersten Weltkrieg im Kampf um Gleichberechtigung. Und vermutlich drehen sich die Frauen von damals jedes Jahr im Grab um, weil wir das immer noch nicht auf die Reihe kriegen – hundert Jahre später! Unsere Familienbloggerin Sandra C. fragt sich, warum wir uns damit so schwertun.

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Sandra Casalini, bei sich zu Hause in Thalwil, am 04.12.2018, Foto Lucian Hunziker

Familienbloggerin Sandra C. fragt sich, warum das mit der Gleichberechtigung einfach nicht richtig klappen will.

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Frauen und Männer sind nicht gleich. Müssen sie auch nicht sein. Genauso wie nicht jede Frau (und jeder Mann) das gleiche machen und wollen muss. Gleichberechtigung bedeutet, dass alle, die das gleiche wollen, gleiche Chancen haben, wenn sie die entsprechenden Voraussetzungen mitbringen (nicht jede hat den IQ einer Marilyn vos Savant, das Talent einer Lindsay Vonn oder die Stimme einer Mariah Carey). Dies gilt noch in keinem Land dieser Welt. In der Schweiz sowieso nicht.

Warum um alles in der Welt kriegen wir das nicht auf die Reihe? Zum einen wohl deshalb, weil für uns Erwerbsarbeit mehr wert ist als Familienarbeit wie Kindererziehung oder Betreuung von (betagten oder kranken) Familienmitgliedern. Dabei ist es doch eigentlich logisch, dass gerade letzteres vor allem für den Staat fast noch wichtiger ist.

Familienarbeit mehr wertschätzen

Würde der Familie – von der ja immerhin behauptet wird, sie sei der wichtigste Pfeiler unserer Gesellschaft – und der Zeit, die in sie investiert wird, auch öffentlich und politisch der Wert beigemessen, der ihr gebührt, täten sich vielleicht nicht so viele Männer so schwer damit, sich dort mehr einzubringen.

Und würde der Staat dazu stehen, dass die Präsenz von Frauen UND Männern in der Familie mindestens gleich wichtig ist wie ihre Präsenz am Arbeitsplatz, hätten Arbeitgeber keine Gründe mehr, Männer zu bevorzugen. Dann hätten nämlich auch Männer einen anständigen Urlaub nach der Geburt eines Kindes und es würde von ihnen erwartet, dass auch sie Präsenz in der Familie zeigen.

«Statt dass wir diese Unterschiede feiern, pinkeln wir uns gegenseitig ans Bein und schlagen einander unsere Ideologien um die Ohren.»

Ja, mir ist durchaus bewusst, dass Frauen Kinder kriegen und sie auch stillen, da hab ich einschlägige Erfahrung. Aber die rein körperliche Erholung dauert nicht ewig (und gerade dann wäre ja ein bisschen Unterstützung auch noch nett), und abgesehen vom Stillen, das tatsächlich keine 24 Stunden pro Tag dauert und gemeinhin höchstens ein Jahr pro Kind, gibt es nichts, was Männer nicht auch können.

Jede Frau setzt andere Prioritäten

Dann haben wir noch ein weiteres Problem: Irgendwie scheint das «Leben-und-leben-lassen»-Gen nicht unserem (Schweizer?) Genpool verankert zu sein. Die eine Frau möchte (und hat) Kinder, die andere nicht. Die eine möchte viel arbeiten, die andere weniger, die dritte möchte ihre ganze Zeit der Familie widmen. Die einen erziehen ihre Kinder so, die anderen anders. Ist doch super.

Und wir? Statt dass wir diese Unterschiede feiern, auch mal neugierig sind auf anderes und einander unterstützen, verurteilen wir sie, pinkeln uns gegenseitig ans Bein und schlagen einander unsere Ideologien um die Ohren. Jede und jeder, der nicht so lebt wie wir, lebt falsch.

Gleichberechtigung kostet Geld

Und schlussendlich geht’s ums Geld. Denn das schleckt keine Geiss weg: Gleichberechtigung kann nur – nicht ausschliesslich, aber auch - durch Steuergelder finanziert werden. Es braucht flexible Arbeitsmodelle, bezahlbare Kinderbetreuung, eine vernünftige Elternzeit. Nur dann haben Frauen – auch solche, die keine Kinder haben! – auf dem Arbeitsmarkt die gleichen Chancen.

«Eine Familie von einem einzigen Gehalt ernähren zu können, ist heute schon Luxus.»

«Zahl ich doch nicht für andere, die nicht so leben wie ich», sagen wir Rechthaberinnen und Rechthaber. Aber lasst euch mal was gesagt haben, ihr lieben Leute, die ihr jede Initiative, die halbwegs auf die Vereinbarung von Beruf und Familie abzielt, gegen die Wand fahrt: Demokratie bedeutet nicht nur, dass jede und jeder mitreden – und somit auch jede jeder dreinreden – darf, sondern beruht auch auf dem Geben-und-Nehmen-Prinzip.

Ich zahle für Strassen, auf denen ich nie fahre und finanziere ein Militär mit, das in meinen Augen viel zu viel Geld für sinnloses Zeug ausgibt. Ich zahle für Arbeitslose und Arbeitsunfähige, und ich finde das in Ordnung. Natürlich ist mir bewusst, dass das Volk bereits für meine und andere Kinder mitzahlt. Aber noch nicht genug.

Immerhin geht es hier um die Zukunft unseres Landes. Und die sieht nicht nur rosig aus: Eine Familie von einem einzigen Gehalt ernähren zu können, ist heute schon Luxus. Nur schon deshalb sind Strukturen, die etwas mehr Gleichberechtigung erlauben, unabdingbar. Sonst können sich nämlich Frauen und Männer irgendwann keine Kinder mehr leisten. Davon hätte niemand etwas – der Staat zuletzt!

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Von Sandra Casalini