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«Senkrecht» mit Natascha Knecht

«Mir passiert schon nichts»

Natascha Knecht, 48, Journalistin und Alpinistin, Buchautorin und Bloggerin erzählt von ihren Erfahrungen beim Klettern und wie sie dem Tod entronnen ist.

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Natascha Knecht am Eisklettern in Pontresina

Natascha Knecht, 48, ist Journalistin und Alpinistin.

bernard van dierendonck

Apropos bröckelnde Berge: Wie es der Zufall will, habe ich voriges Wochenende selber einen Steinschlag abbekommen. Beim alpinen Klettern in einer wunderschönen 300-Meter-Felswand im Schächental im Kanton Uri.

Ein einzelner Stein, etwa in der Grösse eines Tennisballs, kam von hoch oben geflogen und traf mich mit voller Wucht am rechten Oberarm. Es tat im Moment so weh, dass mir zwei Minuten schwarz vor Augen war. Jetzt ist der Arm violettschwarz gefärbt. Aber Schmerzen hatte ich bereits am Tag darauf keine mehr. Ich kann nur dankbar sein, dass mich der Stein nicht schlimmer getroffen hat. Etwa mitten ins Gesicht. Nase und Zähne wären nicht mehr vorhanden.

«Im Gebirge ist es da am gefährlichsten, wo man sich sicher fühlt»

Schuld war in diesem Fall übrigens nicht der Klimawandel oder Permafrost. Ganz normale Erosion hatte den Stein abgetragen und auf einem schmalen Felsband zwischendeponiert. Dummerweise führten genau dort zwei Bergdohlen einen Kampf aus und stiessen den Klumpen – schwups – im Wirbel ihres Gefechts auf mich runter.

Was habe ich daraus gelernt? Auch Bergdohlen können eine alpine Gefahr darstellen. Ich hatte Glück.

Wenn sich im Gebirge Unglücke ereignen, wie in diesem Sommer in gehäufter Zahl, ist das oft dem viel zitierten Restrisiko geschuldet. Zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Grosses Pech gehabt. Wie zum Beispiel der Bergführer, der im Juli am Matterhorn mit seinem Gast abstürzte, weil er einer fix verankerten Sicherungsstange vertraut hatte, die dann samt Felsblock ausbrach. Es hätte auch die Seilschaft vor oder hinter ihnen treffen können.

«In heissen Sommern sterben alleine in diesem ‹Todeskorridor› zwanzig Menschen im Steinschlag»

Ja, der Bergtod ist unerbittlich. Er hascht nach jedem, wenn er hierzu Gelegenheit bekommt. Wer sich in alpines Gelände begibt, weiss das – oder sollte das eigentlich wissen. Doch in den Hochalpen ist es wie überall: 

Es hat immer mehr Leute. Der Alpinismus boomt. Besonders an den Viertausendern.

Beobachte ich das emsige Treiben in dünner Luft, bin ich manchmal nicht sicher, ob sich alle Bergsteiger der Gefahren bewusst sind. Die Einstellung «mir passiert schon nichts» oder «das geht schon» ist erstaunlich weitverbreitet.

Ein krasses Bespiel ist der Montblanc, der höchste Alpengipfel. Er zieht noch viel mehr Leute an als das Matterhorn – und er bröckelt seit Jahren. Auf der Normalroute müssen die Bergsteiger in 3340 Metern Höhe ein Couloir queren. Es sind nur wenige Schritte.

Aber seit dort der Gletscher weg und jeweils Ende Juni auch der Schnee geschmolzen ist, trommeln praktisch permanent tödliche Geschosse herab. In heissen Sommern sterben alleine in diesem «Todeskorridor» zwanzig Menschen im Steinschlag. Fast alle an derselben Stelle. Trotzdem steigen Tausende auf dieser Route auf den Montblanc.

Wir können uns nun empören – über das Verhalten anderer, über den Permafrost, den Klimawandel. Oder etwas tun. Und lernen, mit den neuen Risiken im Gebirge umzugehen. Die Touren anzupassen. Ich werde künftig in Steilwänden sicher auch besser auf Bergdohlen achten.

Von Natascha Knecht am 16. September 2019 - 16:42 Uhr