1. Home
  2. Content
  3. Tanz mit dem Schicksal

Suly Reyes überlebt Brustkrebs

Tanz mit dem Schicksal

«Sie haben Krebs im fortgeschrittenen Stadium. Man kann leider nicht mehr viel machen.» Worte, welche Suly Reyes nicht einfach so akzeptierte. 16 Chemotherapien später steht die passionierte Flamenco-Tänzerin auf der Pink-Ribbon-Bühne.

Artikel teilen

Suly Reyes, Brustkrebs, Pink Ribbon, 2020

«Beim Tanzen fühlte ich mich nicht krank», sagt Suly Reyes über die Zeit während ihrer Krebserkrankung.

Joseph Khakshouri

Als Flamenco-Tänzerin Suly Reyes, 47, zusammen mit ihrem Sohn Anthony, 15, die diesjährige Pink Ribbon Music Gala eröffnet, ist einer im Publikum besonders gerührt: Sulys Mann Osvaldo Aventaggiato, 53. «Für mich brach eine Welt zusammen», sagt er über jenen Tag, als seine Frau die Diagnose Brustkrebs erhält. «Ich habe es nicht immer gezeigt, aber ich hatte oft Angst um sie.» Für Suly selbst ist hingegen von Anfang an klar: «Es wird alles gut. Ich weiss das einfach!»

Knoten unterhalb der Achselhöhle

Sommer 2014. Suly Reyes, Pädagogin in einem Kinderheim, entdeckt einen Knoten unterhalb der Achselhöhle. Sie geht zur Frauenärztin, diese tastet die Brust ab, sagt, da sei nichts. «Das kam mir schon seltsam vor. Aber ich dachte, wenn sie das sagt, wird es schon stimmen. Zudem war die Verhärtung ja nicht in der Brust, da denkt man nicht unbedingt an Krebs.» Ein halbes Jahr später ist der Knoten immer noch da. Suly geht diesmal gleich ins Spital. Einige Tage später die Diagnose: Brustkrebs – so weit fortgeschritten, dass wohl nicht mehr viel zu machen sei.

 

 

«Es folgen insgesamt 16 Chemo­therapien und 30 Bestrahlungen. Manchmal ist Suly Reyes so schwach, dass sie nicht einmal einen Joghurtlöffel halten kann.»

Suly Reyes

«Ich dachte: Komisch. Woher wollen die denn das wissen?», meint Suly. Für sie ist von Anfang an klar: Aufgeben ist keine Option. Ihren Kindern – der Jüngste ist gerade mal vier Jahre alt – verspricht die fünffache Mutter: «Ihr werdet mich nicht so schnell los. Unkraut verdirbt nicht.» Auch der folgenden Amputation der linken Brust begegnet sie mit dem ihr eigenen Galgenhumor: «Ich hatte ein BH-Körbchen D und dachte, da müsste doch auf der Waage mindestens ein Kilo weg sein. Aber nein – ich habe kein einziges Gramm verloren!» 

Irokesenschnitt für die ganze Familie

Mit der Brust werden 23 befallene Lymphknoten herausoperiert. Die Ableger neben dem Herz und am Schlüsselbein können nicht operiert werden. Es folgen insgesamt 16 Chemotherapien und 30 Bestrahlungen. Die letzte im Juli 2015. Manchmal ist Suly Reyes so schwach, dass sie nicht einmal einen Joghurtlöffel halten kann. Dann helfen Verwandte und Nachbarn. Sie kochen, räumen auf, organisieren auch mal einen Kindergeburtstag. Manchmal grinst Suly dem Krebs einfach ins Gesicht. Zum Beispiel, als ihr die hüftlangen Haare ausfallen. «Da konnte ich endlich ausprobieren, wie ich mit Irokesenschnitt aussehe.» Kurze Zeit später laufen ihr Mann und die vier Söhne ebenfalls mit einem solchen herum. 

Suly Reyes, Brustkrebs, Pink Ribbon, 2020

Osvaldo (l.) mit den Kindern Sarah, 22, Wyatt Che, 10, sowie Anthony, 15 (r.), mit Juan Enrique, 13, zu Hause in Winterthur. Johnny, 25, fehlt. Alle fünf Kinder tanzen ebenfalls begeistert Flamenco. 

Joseph Khakshouri

Noch etwas ist für die passionierte Flamenco-Tänzerin vom ersten Tag an klar: Sie tanzt nicht gegen dieses Schicksal – sondern mit ihm. Als ihr Haare, Augenbrauen, Wimpern ausfallen, geht sie unter die Leute. Reist ohne Perücke im Zug. Wenn sie angesprochen wird, erzählt sie von ihrer Krankheit. Wann immer sich Suly aufraffen kann, fährt sie von ihrem Wohnort Winterthur in die Tanzschule nach Embrach. Manchmal tanzt sie mit, manchmal schaut sie einfach zu. «Das hat mir gutgetan», sagt sie. Und: «Beim Tanzen fühlte ich mich nicht krank.»

Nie mit dem Schicksal gehadert

Mit der gleichen Offenheit begegnen die Kinder der Krankheit ihrer Mutter. Anhand eines Bilderbuches erklärt Suly den kleineren, was sie hat und was mit ihr geschieht. Die Kinder reden darüber, auch in der Schule und im Kindergarten. «Das war für uns alle gut», sagt Suly.

«Es gibt einen Grund, warum es mich ge­troffen hat.»

Suly Reyes

Ob sie wirklich nie mit ihrem Schicksal gehadert hat? «Keinen einzigen Tag!» Denn so sicher, wie sie ist, dass alles gut kommt, so sicher weiss sie: «Es gibt einen Grund, warum es mich getroffen hat.» Suly Reyes startet einen Blog, in dem sie von ihren Erlebnissen erzählt. Immer öfter melden sich Leute mit Fragen. «Vielleicht ist das meine Aufgabe. Hätte es damals jemanden gegeben, der mir bewusst gemacht hätte, dass auch ein Knoten unterhalb der Achselhöhle Brustkrebs sein kann, hätte man vielleicht eine Amputation verhindern können.»

Noch nicht geheilt

Brustkrebs. So weit fortgeschritten, dass man wohl nicht mehr viel machen kann. Suly Reyes lebt. Kürzlich wird ein Knoten in ihrer rechten Brust entdeckt. Laut Biopsie ist er unbedenklich. Nächste Woche muss sie noch einmal zur Mammografie. Als geheilt gilt sie noch nicht. Angst hat sie keine. Man muss dem Schicksal die Hand reichen, damit es gut kommt. Und mit ihm tanzen. Das weiss niemand so gut wie Suly Reyes. Und sie wusste es von Anfang an. 

Familienbloggerin Sandra C.
Sandra CasaliniMehr erfahren
Von Sandra Casalini am 2. Oktober 2020 - 15:10 Uhr