1. Home
  2. Family
  3. Alltag
  4. Dagmar Rösler und Marc König über die Auswirkungen von Corona-Lockdown auf die Schule

Auswirkungen des Lockdowns auf die Schule

«Die digitalen Möglichkeiten werden den Unterricht verändern»

Durch das Distance Learning während des Corona-Lockdowns erhielten die Schulen Einblick in neue Formen des Lehrens. Dies wird den Präsenzunterricht auf Dauer verändern, wie uns zwei Pädagogen erzählen.

Artikel teilen

Bub lernt Mathe am Laptop

Durch das Distance Learning während des Corona-Lockdowns lernten Schulkinder viel Neues – zum Beispiel während einer Online-Mathestunde am Laptop.

Getty Images

Seit Anfang dieser Woche werden nun auch Gymnasiasten und Berufsschülerinnen wieder an ihren Schulen unterrichtet – nach fast drei Monaten Distance Learning zu Hause. Der Unterricht findet bis zu den Sommerferien in Halbklassen statt und wann immer möglich unter Einhaltung von zwei Metern Abstand.

Auch inhaltlich könnte es Änderungen geben, wie Marc König, Präsident der Konferenz der Schweizerischen Gymnasialrektorinnen und Gymnasialrektoren, in den Nachrichten auf Radio SRF verkündete: «Manche Schülerinnen und Schüler haben es geschätzt, zu Hause im eigenen Rhythmus selbständig arbeiten zu können und über längere Zeit fokussiert an einer Sache dranzubleiben. Diese Arbeitsweise werden wir womöglich in anderer Form weiterführen können.»

Auf Anfrage von schweizer-illustrierte.ch ergänzt König: «Allein schon die Möglichkeiten der digitalen Medien werden sich mit Sicherheit auf den Unterricht auswirken, während des Lockdowns konnten wir sie ja breit ausprobieren. Die Lehrpersonen werden Elemente des Online-Fernunterrichts wie die Austauschplattformen weiterhin nutzen, zum Beispiel mal eine Videokonferenz machen und die Schüler selbständig etwas erarbeiten lassen.»

Auch an der Volksschule will man den «Drive» aufnehmen aus der Zeit des Fernunterrichts, wie Dagmar Rösler, Zentralpräsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, im Interview sagt:

Werden nun also auch die Lehrpersonen an der Volksschule mehr auf digitale Hilfsmittel setzen?
Wir haben in dieser Zeit viel gelernt und gesehen, was möglich ist und was nicht. Doch die Volksschule nun vollständig auf digital umzustellen, wäre nicht möglich und auch nicht zielführend. Allein schon wegen des extremen Altersspektrums. Unterschiedliche Altersgruppen erfordern auch unterschiedliche Gewichtungen und Unterrichtsstrategien. Für die Kinder ist es wichtig, Erfahrungen in verschiedenen Bereichen zu machen. Und während des Fernunterrichts hat sich gezeigt, wie wichtig Schule auch für das soziale Lernen ist.

Dann haben Sie die digitalen Erfahrungen während des Fernunterrichts der Volksschule fast eher vom Gegenteil überzeugt?
Nicht unbedingt, aber diese Zeit hat uns gezeigt, wie wichtig das reale Erleben und Aufeinandertreffen ist. Der Fernunterricht mag den Anfang von digitalisierterem Unterricht gemacht haben, aber Lehrerinnen und Lehrer müssen einen Weg finden, diese neuen digitalen mit herkömmlichen Lernformen verbinden zu können.

Wie können Lehrpersonen dies im Schulalltag ermöglichen?
Indem sie den Schülerinnen und Schülern breit gefasste Aufgaben geben, sodass sie diese mit ihrer eigenen Kreativität lösen können. Mit den bewährten Methoden, aber auch neuen Hilfsmitteln. Das eine darf das andere nicht ausschliessen.

«Wir müssen einen Weg finden, die neuen digitalen mit herkömmlichen Lernformen verbinden zu können.»

Wie könnte so eine Aufgabe aussehen?
Zum Beispiel so: «Baue ein Fahrzeug, das fünf Meter weit alleine fahren kann.» Dafür hat das Kind verschiedenste Möglichkeiten – es muss nicht schön basteln können, sondern Ideen entwickeln, wie es das Problem angehen kann. Auch auf dem Computer ist so etwas möglich: «Erstelle ein Programm, in dem ein Frosch über eine befahrene Strasse hüpft.» Auf diese Weise muss das Kind mit kreativen Ideen ein Problem lösen. Mal mit handwerklichem Geschick, aber auch mit digitalen Mitteln. Man kann das auch verbinden: indem man zum Beispiel in der Natur Pflanzen sucht und sie später mittels einer App bestimmt.

Welche neuen Instrumente und Methoden aus dem Fernunterricht wollen Sie im Präsenzunterricht an der Schule weiter anwenden?
Austauschplattformen werden weiterhin verwendet werden, etwa indem Kinder einen Link für eine Lern-App erhalten. Die Schulen stehen am Anfang einer digitalen Transformation. Diese bietet uns eine Möglichkeit, etwas zu bearbeiten und auszutauschen – eine von vielen verschiedenen guten Arten, etwas zu machen. 

Sie plädieren also dafür, die neuen Möglichkeiten zu nutzen, aber nicht überzubewerten?
Ja genau! Es kommt auch darauf an, was für Kompetenzen wir brauchen für künftige Berufe. Viele kreative Schulfächer wurden in den vergangenen Jahren abgebaut. Doch Erfahrungen zu machen mit Händen und allen Sinnen bleibt zentral. Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Zeichnen auf einem Blatt Papier müssen weiterhin einen wichtigen Wert haben in der Gesellschaft. 

«Erfahrungen zu machen mit Händen und allen Sinnen bleibt zentral.»

Gibt es nebst den Gedanken um die digitalen Aspekte weitere Erkenntnisse aus der Zeit des Fernunterrichts?
Lehrerinnen und Lehrer merken, dass viele Kinder selbständiger geworden sind, weil sie schlicht mussten. Und manche Kinder erkannten: «Es sind nicht nur immer die anderen schuld, wenn etwas nicht funktioniert, ich habe selber grossen Anteil daran.» Es wurde auch sichtbar, wie wichtig die Beziehungsarbeit ist. Lehrerinnen und Lehrer haben viel Zeit investiert, per Video Call mit jedem Kind einzeln zu reden. Dadurch sind viele Kinder aufgeblüht, weil es mal nur um sie ging. Diese 1:1-Gespräche sollten weiterhin Platz haben – auch wenn sie im Klassenzimmer mit 22 anderen Kindern natürlich nicht immer ganz einfach zu bewerkstelligen sind.

Von Christa Hürlimann am 10. Juni 2020 - 07:09 Uhr