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  4. Masern: Diesen Vorwurf müssen sich Impfgegner gefallen lassen

Schon wieder mehr Masernfälle!

Mit diesen Vorwürfen kämpfen Impfgegner

Die Weltgesundheitsorganisation WHO schlägt Alarm: Erneut haben sich die Masern in einigen Ländern stärker verbreitet. Die Krankheit ist hoch ansteckend und kann bleibende Schäden verursachen. Trotzdem entscheiden sich manche Eltern gegen diese und weitere Impfungen bei ihren Kindern. Die Expertin vom Ostschweizer Kinderspital warnt vor unvorsichtigem Verhalten.

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soll ich mein Kind gegen Masern impfen

Kleiner Piks mit grosser Wirkung: Wer sich impfen lässt, trägt zur Gesundheit in der ganzen Bevölkerung bei.

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Es beginnt mit Schnupfen, Husten und einer Entzündung der Augen, gefolgt von Fieber und roten Flecken im Gesicht und auf dem ganzen Körper. «Wer Masern hat, ist etwa eine Woche lang wirklich fest, fest krank», sagt Dr. med. Anita Niederer-Loher, Oberärztin mbF Infektiologie/ Spitalhygiene am Ostschweizer Kinderspital und Kantonsspital St. Gallen.

Die Krankheit kann bei uns allen, vor allem aber bei Säuglingen oder kranken Personen mit einem geschwächten Immunsystem zu schweren Komplikationen, bleibenden Schäden und sogar zum Tod führen. «Die Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Verlaufs liegt bei 1:1000 bis 1:3000», sagt Anita Niederer. Und weil die Viren ganz einfach über die Luft in Form von feinen Tröpfchen aus Nase und Mund übertragen werden, sind die Masern eine der ansteckendsten Infektionskrankheiten.

Besonders gefährlich für die Jüngsten

Je jünger die Patientin oder der Patient, desto gefährlicher ist eine Masernerkrankung. Die Expertin rät Eltern deshalb dringend, ihre Kinder zu impfen. Gemäss dem Schweizer Impfplan bekommen Babys im Alter von neun Monaten die erste Masernimpfung, es handelt sich dabei um die Kombinationsimpfung Masern/Mumps/Röteln. Nach zwei Dosen sind etwa 98 Prozent der Geimpften immun gegen die Krankheit.

Trotzdem entscheiden sich Eltern vermehrt dagegen, ihre Kinder gegen Masern zu impfen und verzichten auch auf die weiteren in der Schweiz empfohlenen Impfungen (siehe Impfplan unten). Wie konnte es so weit kommen? «Die Impfungen sind Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden», erklärt die Expertin. «Masern oder Kinderlähmung zum Beispiel sehen wir nicht mehr im Alltag, wir sind uns nicht mehr bewusst, welches Leiden sie bedeuten, weil die Bevölkerung lange gut durchgeimpft war und die Krankheiten dadurch stark zurückgegangen sind.»

Weinender Bub mit Masern

«Wer Masern hat, ist etwa eine Woche lang wirklich fest, fest krank», sagt die Expertin vom Ostschweizer Kinderspital und Kantonsspital St. Gallen – und rät deshalb dringend zur Impfung. 

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Im ersten Halbjahr mehr Masernfälle als in den ganzen Vorjahren

So gab es in den vergangenen Jahren in der Schweiz meistens nur noch etwa 20 bis 100 Masern-Fälle pro Jahr. Doch 2019 sind bis jetzt schon über 200 Fälle registriert, davon verliefen zwei tödlich. «Die Masernerkrankungen sind typischerweise im Sommer etwas weniger häufig als in den Wintermonaten. Aber die vergangene Wintersaison zeigte sowohl in der Schweiz als auch in Europa und weltweit, dass Masern ein wichtiges Thema sind, und dass man sich selbst und alle Personen in der nahen Umgebung mit der Impfung eben gut davor schützen kann und soll.» Das Bundesamt für Gesundheit hat sich zum Ziel gesetzt, die Masern in der Schweiz zu eliminieren.

Auch weltweit gibt es aktuell vermehrt Masernausbrüche. In Europa ist die Krankheit neu wieder in Ländern verbreitet, die zuvor als masernfrei galten: Grossbritannien, Albanien, Tschechien und Griechenland. «Die Masernviren verbreiten sich dann, wenn zu wenig Leute geimpft sind», erklärt Anita Niederer. Dabei könnte man die Krankheit eliminieren, denn der Mensch sei der einzige Träger dieser Viren. Ein Masernpatient kann 17 andere Personen anstecken. «Ich vergleiche es gern mit dem Domino-Spiel», sagt Anita Niederer: «Je mehr stabile Steine wir haben, also geimpfte Personen, desto kleiner ist das Risiko, dass ein umfallender Stein, sprich ein Patient, eine Kettenreaktion auslöst.»

Was ist eine Impfung?

Eine Impfung ist eine vorbeugende Massnahme. Sie ahmt die natürliche Infektion nach. Dadurch bereitet sich das körpereigene Abwehrsystem vor. Bei einer späteren Infektion kann es mit dem gleichen Erreger sofort wirksam reagieren: Er wird rasch unschädlich gemacht, und es entwickeln sich nur wenige oder keine Krankheitssymptome. www.bag.admin.ch

Verständnis für die Ängste der Eltern

Dennoch hat Anita Niederer Verständnis für die Bedenken von Eltern, wie sie am Beispiel von Polio (Kinderlähmung) erklärt: «Unsere Grosseltern hatten noch Polio-Kranke in der Klasse. Sie sahen die Folgen mit ihren eigenen Augen und waren froh um den Schutz davor», sagt die Ärztin. «Heute haben wir als einzig sichtbare Auswirkung nur noch die möglichen Nebenwirkungen der Impfung, wie  Fieber, vermehrtes Schreien oder Schmerzen», sagt die Ärztin. «Bei Polio denken wir an Afrika. Es scheint uns weit weg von unserem Alltag. Doch die heutige Welt ist mobil, wir bewegen uns in beide Richtungen.»

Auch andere Bakterien, die uns im Alltag kaum noch begegnen, existieren nach wie vor. Das Diphterie-Bakterium etwa, gegen das man sich ebenfalls vorbeugend impfen kann, verursacht Hauterkrankungen, Kehlkopf-Entzündungen, Atemnot und kann im schlimmsten Fall zum Tod führen.

Bloss nicht in Grosis Zeiten zurückfallen

Weil sich die Erreger durch die Globalisierung heute viel schneller verteilen, seien die Impfungen wichtiger denn je, sagt Anita Niederer. «Zwar erleidet nur einer von 100 Polio-Infizierten eine Lähmung, die meisten haben bloss Schnupfen – doch ansteckend sind sie dann trotzdem», erklärt die Expertin – «und ich möchte nicht nochmals in die Zeit unserer Grosseltern zurückkehren, um zu merken, wovor wir uns schützen müssen …»

Auch Medienberichte, welche Impfungen mit Autismus in Zusammenhang brächten, schürten Unsicherheiten. «Viele wissenschaftliche Studien haben aber ganz klar und eindeutig gezeigt, dass dies nicht stimmt.»

In der Schweiz könne man sich auf den regelmässig aktualisierten Impfplan des Bundesamts für Gesundheit BAG verlassen. Bei dessen Erarbeitung wurde alles miteinbezogen: Die Verbreitung und Schwere der Krankheiten, die Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität der Impfungen. «Der Impfausweis ist kein Garantieschein, aber er bietet den optimal möglichen Schutz vor den entsprechenden Krankheiten. Was empfohlen wird, macht Sinn.»

Der neue Schweizer Impfplan

Der neu überarbeitete Schweizer Impfplan.

Dr. med. Anita Niederer
Globalisierung macht Impfen noch wichtiger

Bei uns in der Schweiz haben wir vielleicht das Gefühl, eine Impfung sei nicht unbedingt nötig. Womöglich kennen wir sogar Familien, die nicht geimpft sind und trotzdem nicht krank wurden. «Doch wir müssen grösser denken», sagt Oberärztin Anita Niederer. «Wir haben eine breitere Verantwortung, nicht nur für uns selbst und unsere Familien. Dies gilt besonders auch für Reisende. Die Schweiz ist ein gutes Exportland für Masern. In Ländern mit beschränkten Ressourcen kann eine Erkrankung noch viel schlimmere Folgen haben als bei uns.»

Doch auch bei uns in der Schweiz gibt es besonders gefährdete Menschen: «Für mich ist eine Masernerkrankung möglicherweise nicht so dramatisch, doch der Säugling im Babytreff, das Nachbarskind mit Leukämie oder andere Personen mit einer Immunschwäche sind auf den indirekten Schutz durch die anderen dringend angewiesen. Wir tragen auch eine soziale Verantwortung.» Oder einfacher gesagt: Es ist egoistisch, wenn man die empfohlenen Impfungen nicht macht. 

Stellt euch vor: Ihr habt ein viermonatiges Baby, und das Kind in der Wohnung nebenan hat Masern. Fändet ihr es dann auch okay, dass die Nachbarsfamilie einfach so für sich entschieden hat, auf die Masernimpfung zu verzichten – und damit euch und euer Baby gefährdet?

Weitere Informationen zu den in der Schweiz empfohlenen Impfungen auf der Website des Bundesamtes für Gesundheit BAG: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/gesund-leben/gesundheitsfoerderung-und-praevention/impfungen-prophylaxe.html

Von Christa Hürlimann am 29. August 2019 - 11:00 Uhr