1. Home
  2. Family
  3. Alltag
  4. Expertin entwarnt besorgte Eltern wegen Maskenpflicht in Kitas: «Kinder nehmen über verschiedene Kanäle Kontakt auf»

Expertin über Maskenpflicht in Kitas

«Mimik ist nicht allein entscheidend»

Obwohl bekannt ist, wie sehr die Mimik kleinen Kindern beim Kommunizieren hilft, gilt neuerdings in Kantonen mit hohen Corona-Fallzahlen in vielen Kitas Maskenpflicht für die Erwachsenen. Müssen sich Eltern nun um die gesunde Entwicklung ihrer Kinder sorgen? Das haben wir Annika Butters vom Marie Meierhofer Institut für das Kind gefragt.

Artikel teilen

Mutter mit Schutzmaske und Baby

Muss man beim Betreuen von kleinen Kindern eine Hygienemaske tragen, ist es wichtiger denn je, aufmerksam auf deren Bedürfnisse einzugehen.

Getty Images

Nachdem in manchen Kitas eine Maskenpflicht für das Personal eingeführt worden ist, betonen Fachpersonen, wie wichtig für kleine Kinder beim Kommunizieren die Mimik des Gegenübers ist. Müssen sich die Eltern von Kindern in den betroffenen Kitas nun Sorgen machen?
Man muss die ganze Situation differenzierter anschauen. Säuglinge kommen mit der wunderbaren Fähigkeit auf die Welt, verschiedene Signale aus ihrer Umwelt zu deuten, um überleben zu können. Die Mimik ist ein wichtiger Faktor, den Kinder wahrnehmen, sie zeigt ihnen, wie ihr Gegenüber auf sie reagiert. Sie können aber auch schon früh gut über die Augen lesen, spüren vieles über Bewegungen, den Ton und die Intonation der Personen, die mit ihnen kommunizieren. Interessant sind ja auch die Unterschiede der verschiedenen Kommunikationssignale zwischen den Kulturen: Afrikanische Babys etwa haben viel weniger Blickkontakt zu ihren Bezugspersonen, da sie viel öfter im Tuch herumgetragen werden. Bei uns ist die Mimik ein besonders wichtiger Ausdruck. Bliebe sie über Jahre hinweg aus, wäre das aber eine andere Situation, als wenn sie wie jetzt über eine Zeit lang hinter Hygienemasken verdeckt ist. 

Zumal die Maskenpflicht in den besagten Kitas ja nur für die Erwachsenen gilt – die Mimik ihrer Gschpändli sehen die Kleinen ja weiterhin.
Richtig, zudem sind die Kinder ja nicht rund um die Uhr in der Kita. Wichtig ist, dass sie daneben genügend Austausch in ihren Familien haben. Viele Kinder sind widerstandsfähig und verschaffen sich über verschiedene Kanäle Kontakt mit ihren Mitmenschen.

Bei welchen Kindern muss man hingegen genau hinschauen?
Generell bei Kindern, die unter 24 Monate alt sind, aber auch bei besonders sensiblen Kindern oder solchen, die vier oder mehr Tage in Kitas betreut werden oder in ihrem privaten Umfeld wenig Anregung bekommen. Sie sind am ehesten gefährdet, unter der Maskenpflicht in den Kitas zu leiden. Sollte diese Schutzmassnahme über eine längere Zeit nötig sein, muss man genau hinschauen: Was macht das mit den Kindern? Zudem erachten wir es als sehr wichtig, dass es «Maskenpausen» gibt, in denen sich Betreuungspersonen einzeln mit jedem Kind auseinandersetzen und ihm ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenken.

In was für Situationen empfehlen sich solche Maskenpausen?
Zum Beispiel bei der Begrüssung und beim Abschied, wenn ein Kind traurig ist und Trost braucht, oder wenn sich ein Kind noch in der Eingewöhnung an die Kita befindet. Das ist jetzt, so kurz nach den Sommerferien, bei vielen der Fall. Dann ist es auch wichtig, dass die Interaktionen mit dem Kind auf nicht zu viele Personen verteilt werden, sich also möglichst immer die selbe Person um ein Kind kümmert.

Erzieherin in Kita verabschiedet Vater mit Kind

Wichtig sind in Kitas mit Maskenpflicht Zeiten ohne Mund-Nasen-Schutz, zum Beispiel beim Abschied.

Getty Images/Westend61

Könnte es im Zusammensein mit Kindern etwas nützen, bunte Masken zu tragen statt den «cleanen» Chirurgenmasken?
Ich plädiere auf jeden Fall für einen kreativen Umgang mit den Masken! Mit Kindern im Alter von über zwei Jahren könnte man auch mal eine Maske selber anmalen oder ihnen Masken für ihre Puppen geben. Wichtig ist, dass wir nicht erstarren hinter der Maske, sondern zum Kommunizieren alles brauchen, das wir sonst noch haben: die Augen, den Körper, unsere Bewegungen. Gerade mit kleinen Kindern sollten wir über möglichst viele Kanäle in Kontakt kommen.

Sie arbeiten oft mit Kitas zusammen und sind in stetem Austausch. Was fehlt den Kindern denn konkret? 
Wir bekommen total unterschiedliche Feedbacks. Es ist erstaunlich, wie gut vor allem grössere Kinder mit der Situation umgehen. Doch manche sind auch verunsichert. Das hat, wie gesagt, auch mit der Eingewöhnungsphase nach den Sommerferien zu tun. Hier ist es wichtig, die Maskenpausen gezielt zu nutzen. Gerade Kinder mit speziellen Bedürfnissen im Spracherwerb sind ebenfalls darauf angewiesen. Kinder lernen in ihrem Alltag, und Kita ist ein Teil ihres Alltags, deshalb brauchen sie hier Zeiten, in denen ihnen dieses Lernen bewusst ermöglicht wird.

Was empfehlen sie Eltern, deren Kinder in einer Kita mit Maskenpflicht betreut werden?
Ihre gemeinsame Familienzeit mehr denn je dafür zu nutzen, mit ihren Kindern in Kontakt zu kommen. Und sich in der Kita bei den Betreuungspersonen zu erkundigen, wie sie mit der Maskenpflicht umgehen. Die Kitas befinden sich gerade auf einer Gratwanderung: Sie stehen unter dem Druck, alles zu tun, um nicht schliessen zu müssen. Und manche Eltern haben Angst und unterstützen die Maskenpflicht, andere gehen auf die Barrikaden dagegen. Es ist wichtig, dass Eltern und Fachpersonen in einem guten Austausch sind. Denn die Kinder sind auf alle Personen angewiesen, die sie in ihrem Alltag betreuen.

Was ist die maximale Dauer für eine Maskenpflicht in Kitas, die nicht überschritten werden sollte?
Ich gehe davon aus, dass die Kinder fähig sind, diese Phase mit Maskenpflicht zu bewältigen, sofern sie im privaten Umfeld einen guten Austausch haben und ihre Bedürfnisse befriedigt werden. Die Problematik ist aber, dass dies sehr individuell ist. Kinder aus belasteten Familien mit wenig Interaktionen leiden stärker unter dieser Situation. Deshalb können wir nicht generell sagen, wie lange die Maskenpflicht in Kitas zumutbar ist, sondern müssen die Situation je nach Kind einschätzen und unbedingt je nach Fallzahlen immer wieder neu beurteilen.

Annika Butters arbeitet beim Marie Meierhofer Institut für das Kind, welches zusammen mit dem Verband Kinderbetreuung Schweiz Kibesuisse diese Hygienemassnahmen für Kitas in Kantonen mit hohen Corona-Fallzahlen empfiehlt.

Von Christa Hürlimann am 16. September 2020 - 13:40 Uhr