Am Sonntag ist Muttertag. Ein Tag voller Blumen, Kuchen, Schokolade und Lachen, will man der Werbung Glauben schenken. In der Realität sieht es aber vielerorts anders aus. Für manche Frauen ist der Muttertag eine Belastung, denn sie leiden unter Muttertagstrauer. Dieser tief empfundene Kummer kann viele Ursachen haben und trifft nicht etwa wenige Frauen – sondern viele um uns herum.
Was ist das für ein Gefühl, woher kommt es und wie können wir Menschen unterstützen, die unter Muttertagstrauer leiden? Wir beleuchten diesen neuen Begriff, der im englischen Sprachraum als «Mother's Day Grief» gerade sein Debut gibt.
Klar ist, dass Frauen, die ein Kind, und Menschen, die ihre Mutter verloren haben, am Muttertag von der Gesellschaft in besonders schmerzlichem Ausmass an den Verlust erinnert werden. Feiertage, die im Zeichen der Familie stehen, haben es an sich, solche Verluste zu betonen.
Doch nicht nur Mütter mit Sternenkindern erleben Muttertagstrauer. Sie trifft auch Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch, die gerne Mutter wären, und an diesem Tag noch mehr als sonst mit der vermeintlichen Lücke konfrontiert sind, die dieser offene Traum in ihre Lebensplanung reisst.
Muttertagstrauer trifft sogar Mütter. Mütter, die es bereuen, Kinder gezeugt zu haben (Stichwort: Regretting Motherhood). Oder Mütter, deren Verhältnis zu ihren vielleicht schon erwachsenen Kindern schwierig ist. Oder Mütter, die unter einem Kontaktabbruch seitens der erwachsenen Kinder leiden. Die sich eigentlich Harmonie oder Wertschätzung wünschen würden – und sich vielleicht nicht erklären können, warum die Kinder ihnen dies vorenthalten. Auch Mütter, die sich sehnlich wünschen, Grossmutter zu werden oder als Grossmutter eingebunden zu sein – und die darauf verzichten müssen.
Nicht zuletzt trifft Muttertagstrauer auch viele Alleinerziehende. Nicht alle, aber einige. Man kann vom Muttertag halten, was man will, Tatsache ist, dass er einem immer das perfekte Familienbild vor die Nase hält. Und damit den Traum, der geplatzt ist. Das Ziel, das man nicht erreicht hat.
Es fühlt sich an diesem Tag an, als wäre das eigene Versagen greifbar. Während im Freundeskreis gefühlt alle anderen Mütter im Bett brunchen und ihre Social-Media-Kanäle mit Fotos von Blumensträussen vollpflastern, die ihnen von dankbaren Partnern überreicht worden sind, ist man (sofern die Kinder bei einem sind) gezwungen, auszuhalten, dass einem auch an diesem Tag niemand etwas abnimmt.
Oder aber, und das kann noch belastender sein: Dass niemand mit einem die Freude über die Mutterschaft und die Kinder teilt. Das scheint für viele Mütter und Väter ohne Partnerin oder Partner eine der grössten Herausforderungen im Alleinerziehenden-Alltag zu sein.
Da die Muttertagstrauer Frauen mit unterschiedlichen Hintergründen trifft, gibt es keine allgemein gültige Empfehlung, wie wir diesen Tag für Betroffene erleichtern können. Dennoch teilen wir gerne ein paar Gedanken dazu – vielleicht ist eine Idee für euch dabei!
Annäherung ins Auge fassen: Wenn Kinder mit ihren Eltern gebrochen haben oder eine schwierige Beziehung pflegen, ist der Weg zurück zu einem gesunden Umgang oft steinig und mit Arbeit von beiden Seiten verbunden. Allerdings kann er sich lohnen. In unserem Interview «Was wir gewinnen, wenn wir unseren Eltern vergeben» erklärt Familienberaterin Anna von Senger dass Kinder davon profitieren, nach einer schwierigen Kindheit Versöhnung oder Vergebung anzustreben. «Für eine Versöhnung braucht es zwei Parteien. Um bei der Familie zu bleiben, würden im Idealfall die Eltern ihre Fehler eingestehen, Reue zeigen und das Kind würde ihnen verzeihen. So kann im besten Fall ein Neuanfang entstehen. Für Vergebung brauche ich kein Gegenüber. Das ist manchmal die bessere Lösung, wenn eine Aussprache mit den Eltern nicht möglich ist – beispielsweise, weil man weitere Verletzungen befürchtet. Vergebung ist einseitige Sache: ein Akzeptieren dessen, was passiert ist, die eigene Geschichte zu integrieren und loszulassen, unabhängig vom Gegenüber.» Belohnt werde man mit «Seelenfrieden und die Freiheit, das weitere Leben selber gestalten können und nicht in der Vergangenheit gefangen sein. Das ist erlösend.»
Gemeinsam trauern: Der Muttertag holt nicht nur die Trauer um den Verlust der eigenen Mutter oder eines Kindes hervor, er bietet auch einen Raum, diese Trauer gemeinsam auszuhalten und zu bewältigen. In unserem Interview «Wie wir Eltern beistehen können, die ein Kind verloren haben», sagt Petra Zürcher vom Verein Regenbogen Schweiz, für Betroffene sei die Trauer niemals abgeschlossen. «Man hat zwar die verschiedenen Trauerphasen durchlaufen, von der Ohnmacht über erlösende oder auch erdrückende Tränen bis hin zur Wut und wieder zurück. Man lernt mit der Zeit, damit zu leben. Die Trauer bricht aber immer wieder aus. Vor allem an Triggertagen wie Geburtstag, Todestag und Weihnachten.» Oder eben der Muttertag. Es helfe, auch nach Jahren Verständnis und Anteilnahme zu zeigen. «Manchmal ist eine Umarmung besser als viele Worte. Kleine Gesten, etwa Blumen auf dem Grab, oder eine Kerze oder ein Stein, sind besonders schön. Auch Jahre später noch.»
Wertschätzung zeigen – auch ohne Mutterschaft: Lasst uns an diesem Tag unseren Freundinnen ohne Kinder eine liebe Karte schreiben, in der wir festhalten, was wir an ihnen schätzen, warum wir froh sind, sie in unerem Leben zu wissen.