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  4. Baby schütteln ist gefährlich: Experte hilft verzweifelten Eltern

Babys darf man nicht schütteln!

Wie Eltern es schaffen, die Nerven zu behalten

Schreiende Babys und Kleinkinder können Eltern und Betreuer an ihre Grenzen bringen. Ein Experte vom Elternnotruf verrät, wie es klappt, aus brenzligen Situationen wieder rauszukommen, ohne Gewalt anzuwenden.

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schüttelbaby

Wenn das Baby nicht aufhört zu schreien, können Eltern die Nerven verlieren.

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Die neusten Zahlen des Zürcher Kinderspitals machen betroffen: 2019 wurden 544 Kinder mit Verdacht auf Misshandlungen behandelt. Dies sind 16 mehr als noch 2018. In 387 Fällen bestätigten sich die Vermutungen. Besonders auffallend ist laut der Medienmitteilung des «Kispi», dass es wieder mehr Verdachtsfälle von sogenannten «Schüttelbabys» gab. Insgesamt waren es zehn Verdachtsfälle, fünf davon konnten bestätigt werden. 2018 waren es deren noch zwei.

Als Eltern wissen wir, dass Gewalt in der Erziehung nichts verloren hat. Ganz besonders ist uns bewusst, dass wir Säuglinge nicht schütteln dürfen, denn in zwei Drittel der Fälle tragen die Kinder bleibende Hirnschäden davon, im schlimmsten Fall kann es sogar zum Tod führen. Warum passiert es trotzdem? Wir haben mit Peter Sumpf, Geschäftsleiter des Elternnotrufs darüber gesprochen.

Stressed mother and her baby.

Es gibt Strategien, die Eltern helfen können, wenn sie an die Grenzen ihrer Kräfte kommen.

Getty Images

Herr Sumpf, wir wissen, dass man Babys auf keinen Fall schütteln darf. Was treibt Eltern dennoch dazu?
Die Ursache ist sehr einfach: Mütter, Väter oder andere Betreuungspersonen finden sich in einem grossen Stressmoment wieder. Sie sind verzweifelt und sehen keinen Ausweg aus der Situation. Vielleicht schreit das Baby und nichts was man tut, kann es beruhigen. Diese Situation kennen wohl alle Eltern. Die Frage ist, wie reagiere ich in der Situation mit meinem Kind, ohne über meine Grenzen zu gehen und allenfalls die Kontrolle über meine Reaktionen zu verlieren.

Was raten Sie Eltern, die nicht weiter wissen und kurz davor sind, das Kind zu schütteln, in der Hoffnung, dass es dann aufhört zu weinen?
In unseren Telefonberatungen stellen wir oft fest, dass der Fokus der Eltern in solchen Situationen ausschliesslich auf dem Kind und dem fieberhaften Suchen nach einer Technik, welche es beruhigen könnte, liegt. Wir helfen ihnen dabei, die Aufmerksamkeit vom Kind auf sich zu lenken, regelmässig zu atmen oder mit beiden Füssen bewusst den Boden zu spüren. So können sie sich im Idealfall selbst beruhigen. Erstaunlich oft beruhigen sich dann im Hintergrund auch die Kinder.

Und was können Eltern tun, wenn auch das nicht hilft?
Sie können sich vom Kind entfernen, also kurz den Raum verlassen. Keine Angst, dies wird keine traumatischen Auswirkungen auf das Baby haben. Diese Distanz hilft, wenn man kurz vor dem Zugreifen ist. Und wenn es geht, sollten sie nicht alleine bleiben. Ist jemand anwesend? Oder kann man jemanden anrufen? Zum Beispiel den Elternnotruf. Wir erleben immer wieder, dass ein solcher Anruf die Wirkung hat, dass sich die überforderten Eltern nicht mehr allein fühlen. Er bricht die Situation auf.

«Die Last der Kindererziehung muss auf breiteren Schultern getragen werden.»

Peter Sumpf, Geschäftsleiter des Elternnotrufs

Spielt das Gefühl des Alleinseins eine zentrale Rolle in brenzligen Situationen mit Kindern?
Ja, das zeigt unsere Erfahrung. Ich rate Betroffenen, sich Unterstützung zu holen, sei es bei Familie, Freunden, Bekannten oder Nachbarn. Eltern müssen lernen, ihre Kinder auch mal abzugeben, die Last der Kindererziehung muss auf breiteren Schultern getragen werden. Und wenn es absolut niemanden gibt, der hilft – der Gang ins (Kinder)-Spital steht allen offen, um in der Situation nicht allein zu bleiben.

Gibt es noch weitere Faktoren, die solche schwierigen Momente begünstigen?
Viele Eltern denken, dass alle anderen es wunderbar meistern und nur sie versagen. Oder sie vergleichen sich mit ihren eigenen Müttern, die scheinbar locker vier Kinder erzogen, während sie selbst mit einem überfordert sind. Es würde bestimmt helfen, wenn ehrlicher übers Elternsein geredet würde. Natürlich, es ist eine wunderbare und sinnstiftende Sache, Kinder zu haben. Aber man sollte nicht erschrecken, wenn es auch anstrengend wird.

Zur Person

peter sumpf
ZVG

Peter Sumpf ist diplomierter Sozialarbeiter, Paar- und Familienberater und Geschäftsleiter des Elternnotrufs. 

Die Beratungsstelle ist 24 Stunden am Tag erreichbar und bietet professionelle Hilfe von Fachpersonen für Eltern, Familien und Bezugspersonen.

Telefon: 0848 35 45 55 (Festnetz-Ortstarif)
Mail: 24h@elternnotruf.ch
www.elternnotruf.ch

Von Edita Dizdar am 26. Januar 2020 - 17:09 Uhr