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Expertin weiss Rat

Wie wir Familien nach einer Fehlgeburt beistehen können

Vergangene Woche haben Chrissy Teigen und John Legend nach schweren Komplikationen in der Schwangerschaft ihr drittes Kind verloren. Wir haben eine Fachperson gefragt: Wie finden betroffene Eltern in den Alltag zurück? Und wie können Angehörige ihnen helfen?

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Trauernde Eltern in Babyzimmer

Trauernde Eltern im Babyzimmer: Ein Kind zu verlieren, ist das Schlimmste, was Eltern passieren kann. (Symbolbild)

Getty Images/Design Pics RF

Seit ihren herzzerreissenden Beiträgen vergangene Woche auf Social Media ist es still geworden auf den Social-Media-Kanälen von Chrissy Teigen, 34, und John Legend, 41. Und besonders uns Mütter und Väter graut beim Gedanken daran, was das Model und der Musiker nach dem Verlust ihres Kindes durchmachen müssen. Wir haben mit Jeannine Kipfer-Balmer darüber gesprochen. Sie ist Hebamme sowie Beraterin bei der Fachstelle kindsverlust.ch, dem Kompetenzzentrum für Familien, die ein Kind in der Schwangerschaft, Geburt oder ersten Lebenszeit verloren haben.

Frau Kipfer, erzählen sie bitte zuerst von ihrer Arbeit als Beraterin bei der Fachstelle Kindsverlust.
Wir bieten betroffenen Frauen, Familien, Angehörigen und begleitenden Fachpersonen kostenlose Beratungen per Telefon oder E-Mail an. Es rufen Frauen mit Kindsverlust in allen Stadien der Schwangerschaft an wie auch Väter, Grosseltern, Nachbarn und weitere Angehörige. Und auch werdende Eltern, die eine schwerwiegende pränatale Diagnose erhalten haben und sich nun in einem Prozess der Entscheidungsfindung befinden. Zunehmend kontaktieren uns Eltern, die ihr Kind im ersten Trimenon, also vor der zwölften Schwangerschaftswoche, verloren haben.

Was ist das Spezielle an einem Verlust im ersten Drittel der Schwangerschaft?
Da ist es oft noch ein Tabuthema, weil viele Frauen ja bis zur zwölften Woche nicht über ihre Schwangerschaft reden. Wenn ein Kind früh in der Schwangerschaft stirbt, ist die Frau traurig, und niemand weiss warum. Deshalb ermutigen wir von der Fachstelle kindsverlust.ch Frauen, mit nahe stehenden Menschen von Anfang an über ihre Schwangerschaft zu reden. Wir werten nicht, ab welchem Stadium in der Schwangerschaft der Verlust für die Eltern besonders schmerzhaft ist. Wir begleiten sie in ihrer Trauer, hören zu, informieren sie auch über rechtliche Aspekte, und suchen Fachpersonen in ihrer Nähe: Hebammen, Psychologen, Elternberaterinnen oder weitere geeignete Fachpersonen, die sie vor Ort persönlich weiter betreuen können. Ein Kind, das vor einem stirbt, ist das schlimmste, was Eltern passieren kann. Verlieren sie es schon in der Schwangerschaft, können sie es nicht einmal richtig kennenlernen.

Wenn Eltern sich in ihrer extremen Trauer an sie wenden, wie können sie da Erste Hilfe leisten?
Wir hören zu, sind präsent, schauen, was sie im Moment gerade bewegt, und was ein nächster möglicher Schritt sein könnte. Die Eltern sind froh, über ihr Kind zu reden, es beim Namen zu nennen. Das Kind lebt nicht mehr, aber sie sind trotzdem eine Familie. Das anzuerkennen, ist wichtig. Oft sind sie noch unter Schock, wenn sie anrufen, können kaum sprechen. Dann kann es helfen, sie auch mal nur durchatmen zu lassen,c etwas zu warten. Und dann zuzuhören: Was beschäftigt sie im Moment am meisten?

Und was sind das dann für Themen?
Das kommt darauf an, ob der Verlust ganz frisch oder schon etwas Zeit verstrichen ist. Haben sie ihr Kind vor zwei Monaten verloren, fragen sie oft, ob die starke Traurigkeit, die sie immer noch verspüren, normal sei. Und das ist sie – viele stehen dann noch immer unter Schock. Sie empfinden eine tiefe Liebe zu ihrem Kind, die sie ihm nicht physisch geben können. Deshalb ist es wichtig, diese Gefühle möglichst zum Ausdruck zu bringen.

In welcher Form könnten die Betroffenen das tun?
Etwa mit einem Brief an das Kind, mit dem Führen eines Tagebuchs – sich die Gefühle von der Seele zu schreiben, kann sehr befreiend sein. Wer kreativ ist, kann die Liebe zum Kind mit Malen oder Basteln zum Ausdruck bringen. Mit etwas, in das diese Liebe fliessen kann.

Falls das tote Kind Geschwister hat – wie soll man diese in den Verarbeitungsprozess miteinbeziehen?
Wir von der Fachstelle kindsverlust.ch finden es sehr wichtig, Geschwisterkinder möglichst früh miteinzubeziehen. Das gilt auch für die Schwangerschaft. Kinder können etwas viel besser zuordnen, je authentischer man ist. Sie sollen auch ein totes Baby sehen dürfen. Sie haben einen Bruder oder eine Schwester verloren, sind trauernde Geschwister. Viele Erwachsene haben das Gefühl, Kinder bei solchen Ereignissen schonen zu müssen. Aber Kinder leben so extrem im Moment und haben oftmals einen natürlicheren Umgang mit dem Tod und Sterben als wir Erwachsene. Betroffene Eltern erzählen uns, wie die Geschwisterkinder ihre Gefühle in einem Moment zum Ausdruck bringen, und dann wieder ihren Alltag leben.

Trauriger Bub mit Papa

Auch Kinder trauern um ein im Mutterbauch verstorbenes Geschwisterkind. Fachpersonen empfehlen, sie möglichst früh in den Verarbeitungsprozess miteinzubeziehen. (Symbolbild)

Getty Images/Westend61

Wie kann man Familien, die eine Fehlgeburt erlitten haben, beistehen und sie unterstützen?
Indem man Anteilnahme zeigt, zuhört, sie ausreden lässt, über das Kind spricht, es beim Namen nennt. In den meisten Fällen haben die toten Kinder Namen. Fragen sie die Familie, wie es ihnen geht, fühlen sie mit. Tun sie ihr Gutes, vielleicht bringen sie mal einen Znacht vorbei oder gehen mit dem Geschwisterkind spazieren. Und nehmen sie es nicht persönlich, wenn die Familie mal lieber allein sein will. Die Trauer hört nicht nach zwei, drei Wochen auf. Denken sie auch an den «Himmelsgeburtstag» des Kindes, zeigen sie der Familie, dass sie das Kind nicht vergessen, es ist ein Bestandteil der Familie, und wird es immer sein. Wir haben für Angehörige ein sehr gutes Merkblatt mit Infos darüber, was sich betroffene Familien von ihrem Umfeld wünschen, und was nicht als hilfreich empfunden wird.

Wie schaffen sie es, sich bei den Beratungen nicht selbst in diese extreme Trauer ziehen zu lassen?
Die Geschichten die wir bei der Arbeit für die Fachstelle kindsverlust.ch hören, berühren uns immer wieder sehr. Als Hebammen sind wir oft an existentiellen Lebensereignissen mit dabei und erleben dabei auch, dass der Tod zum Leben dazugehört. Wichtig für uns ist der Austausch untereinander, regelmässige Fall- und Teambesprechungen, Weiterbildungen sowie ein bewusster Ausgleich im privaten Umfeld.

 

Alle Infos zum Thema Fehlgeburten gibt es bei der Fachstelle kindsverlust.ch. Der kostenlose Beratungsdienst für Betroffene und Fachpersonen ist jeweils am Dienstag und Donnerstag von 8.30 Uhr bis 11.30 Uhr erreichbar unter Telefon 031 333 33 60 oder per Mail an fachstelle@kindsverlust.ch.

Von Christa Hürlimann am 8. Oktober 2020 - 17:39 Uhr