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Nicola Spirig über Trauer, Glück und Tokio

«Es ist ein wahnsinnig trauriges Ereignis»

Ein Tag im Zoo! Triathletin Nicola Spirig und ihre Familie geniessen die Zeit zu fünft. Die 37-Jährige ist auf dem Weg zu einer dritten Olympiamedaille – und spricht offen über Kompromisse und ihre Fehlgeburt.

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Yannis und Malea wollen beide unbedingt das Händchen von Alexis halten, als die Familie vom Eingang in Richtung Streichelzoo schlendert. Die beiden sind die grössten Fans ihres jüngsten Bruders, der sechs Monate alt ist. «Bei Alexis’ Bettchen vorbeizugehen, ist jeweils das Erste und Letzte, was die beiden am Tag machen», sagt Papa Reto Hug, 44, «es ist extrem herzig.»

Ein seltener Familien-Nachmittag zu fünft im Zoo Zürich. Denn das erfolgreiche Triathlon-Paar – Olympiasiegerin Nicola Spirig und Europameister Hug – hat ein ehrgeiziges Ziel vor Augen: In neun Monaten will die dreifache Mutter an den Olympischen Spielen in Tokio ihre dritte Medaille gewinnen. Das hats noch nie gegeben.

Nicola Spirig hat Lust auf Wettkampf

Dass es diesen Plan überhaupt gibt, ist nicht selbstverständlich. In jeder Schwangerschaft hat die 37-Jährige gesagt: Mal schauen, wie es nach der Geburt ist. «Kann ich mich noch motivieren, obwohl sich die Prioritäten verschieben? Und kann ich es überhaupt organisieren, passt es für die Familie?» Spirigs Körper erholte sich jeweils sehr gut, jedes Mal erreichte sie wieder Weltklasse-Niveau. Die Lust auf Wettkämpfe und der Ehrgeiz verschwanden ebenfalls nicht. Und die Organisation klappt auch.

Reto Hug ist verantwortlich für die Kindertriathlon-Serie «Kids Cup by Nicola Spirig», er koordiniert die Einsätze ihrer Stiftung in den Schulen und plant das Familienleben. Drei Tage in der Woche ist mittlerweile auch Kindermädchen Marina mit von der Partie. Sie war etwa im Trainingslager in St. Moritz dabei, als Nicola den kleinen Alexis noch stillte und Hug mit den beiden älteren Kindern zu Hause in Bachenbülach ZH blieb. Mittlerweile hat Spirig abgestillt.

SI_Nicola Spirig und Family

Der sechs Monate alte Alexis ist ein zufriedenes Baby. Vor allem, wenn ringsum etwas läuft.

Ellin Anderegg

Olympia hat seinen Preis: dreimal trainieren pro Tag! Zwar kürzer als früher, dafür «qualitativ extrem gut». «Ich war vorher schon effizient, aber jetzt müssen die Trainings immer 100 Prozent sein.» Einen längerfristigen Trainingsplan hat sie nicht mehr, Trainer Brett Sutton passt die Einheiten Tag für Tag den Begebenheiten an. Denn die Familie hat Priorität – ist diese krank, muss man die Intensität runterschrauben. Zu kurz kommt die Erholung, eigentlich ein sehr wichtiger Teil im Leben einer Profisportlerin: Statt ihre Beine hochzulagern, spielt Spirig zwischen den Trainings nun Lego mit den Kindern.

Diese sind mittlerweile im Zoolino angekommen. Zwar sind die Lieblingstiere des sechsjährigen Yannis Papageien und jene der zweijährigen Malea die Löwen. Doch ein Geissli striegeln oder ein Pony füttern – das ist geradeso toll. «Yannis ist der vorbildliche grosse Bruder», sagt Hug, «er ist zuverlässig und würde alles tun für seine Geschwister.» Malea hingegen sei ein kleines Schlitzohr – «sie hat mich voll im Griff, wenn sie mich mit ihren Augen anschaut», so Hug, und sie eifert ihrem grossen Vorbild Yannis in allem nach. Und Alexis schliesslich ist bisher ein sehr entspanntes Baby. Er ist vor allem zufrieden, wenn es lärmig ist und etwas läuft um ihn herum.

«Das dritte Kind war uns wichtiger als die Planung mit Tokio.»

Nicola Spirig
Spirig läuft «nicht in der Komfortzone»

Dass Spirig gut ein Jahr vor den Olympischen Spielen nochmals ein Baby bekommt, war eigentlich nicht so geplant. Ein drittes Kind wollte das Paar schon, und Spirig wurde Anfang 2018 auch schwanger. Sie passte ihr Training an und berief im Frühling eine Pressekonferenz ein, um nach den kritischen ersten drei Monaten ihre Schwangerschaft und damit ihren Verzicht auf die Saison zu verkünden. Doch dann verlor sie das ungeborene Kind. «Ein wahnsinnig trauriges Ereignis, und es braucht Zeit, um es als Paar zu verarbeiten.»

Die Pressekonferenz führte Spirig dennoch durch, verkündete statt der Schwangerschaft, dass die EM in Glasgow ihr Saisonhöhepunkt sei. «Das war sehr schwierig. In den Tagen davor führten wir intensive Gespräche.» Spirig wusste, dass sie zuerst drei Monate Zeit zum Verarbeiten braucht, ihr der Sport aber auch dabei helfen kann. Auch war ihr und Hug rasch klar, dass sie weiterhin ein drittes Kind wollen. «Das war uns wichtiger als die Planung mit Tokio.»

Nun funktioniert aber alles so gut, dass Spirig bereits die Qualifikation für die Spiele in der Tasche hat. Viel schneller als gedacht startet sie beim WM-Serie-Rennen in Hamburg, drei Monate nach der Geburt, obwohl sie «nicht in der Komfortzone» läuft und vor und nach dem Einsatz das Stillen organisieren muss. Doch sie wird Achte. Und bereits für Olympia qualifiziert zu sein, bedeutet eine Erleichterung, vor allem für die Planung. Diesen Herbst reist Spirig alleine für eine Woche nach Südkorea und Japan, um den optimalen Ort für die Akklimatisierung vor den Spielen nächstes Jahr zu finden und noch ein, zwei Rennen zu bestreiten. Drei Wochen Vorlauf wird sie nächsten Sommer benötigen, nicht nur wegen des Jetlags, sondern auch wegen der Hitze, die dann in der Metropole herrschen wird. Die Familie möchte sie dort die drei Wochen vor dem Rennen am 28. Juli dabeihaben.

SI_Nicola Spirig und Family

Familie Spirig bestaunt im Zürich Zoo die Elefanten.

Ellin Anderegg
«Alles was kommt, ist ein Bonus»

Als Symbol auf dem Weg zu einer erhofften sensationellen dritten Olympiamedaille hat Spirig von ihrem Sponsor Gazenergie eine zweite Tier-Patenschaft im Zoo Zürich erhalten: Neben dem Tapir Paz ist sie nun Gotte eines Weissnackenkranichs. Eine japanische Legende lautet folgendermassen: Faltet ein Mensch zeit seines Lebens 1000 Origami-Kraniche, hat er bei den Göttern einen Wunsch frei.

Beim anspruchsvollen Basteln auf dem Zoo-Picknicktisch wird schnell klar: Ganz 1000 werdens bei der Familie Hug-Spirig so schnell nicht werden. Aber das ist auch nicht so schlimm. «Mein grösster Wunsch ist bereits in Erfüllung gegangen. Alles, was noch kommt, ist ein Bonus», sagt die studierte Juristin. Sie habe sehr viel erreicht im Sport, sich mit ihren Projekten wie ihrer Stiftung, aber auch neben dem Triathlon ein Leben aufbauen können. Und vor allem drei gesunde Kinder. «Natürlich ist Tokio im Moment sehr wichtig für mich.» Aber in sechs Jahren spiele es wohl keine Rolle mehr, ob sie zwei oder drei Olympiamedaillen gewonnen habe. «Es wird mein Leben nicht verändern. Und es ist sehr, sehr schön, wenn man das sagen kann.»

«Glace, Glace!», ruft Yannis und hüpft zum Kiosk beim Zoo-Ausgang. Seit ein paar Wochen ist er eingeschult – sein Lieblingsfach ist Musik. Daneben liebt auch er den Sport: Er schwimmt, ist in der Jugi und macht Wing-Tsun, eine Kampfkunst. An den Spielen 2016 in Rio hat er seiner Mama beim Gewinn der Silbermedaille zugeschaut, aber während des Rennens noch am Strand gesändelet. Nächstes Jahr, mit sieben Jahren, wird er den Triathlon wohl sehr bewusst verfolgen. Und vielleicht erreicht sein Mami in Tokio etwas, das noch nie eine Frau vor ihr geschafft hat: drei Olympiamedaillen zu gewinnen – als dreifache Mutter.

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Von Eva Breitenstein am 18. Oktober 2019 - 18:11 Uhr