Mein Ex hat sich vor zehn Monaten von mir getrennt. Traditionell haben wir die letzten Jahre Silvester bei seinen Freunden verbracht. Meine Kinder wollen wieder so feiern. Doch ich habe überhaupt keine Lust, ihn zu sehen. Was meinst du, soll ich ihnen zuliebe trotzdem mitmachen? — Zoé
Liebe Zoe
Es ist die Wunschvorstellung vieler Scheidungskinder. Ein Familienfest à la damals, mit Mami und Papi an einem Tisch. Eine meiner Freundinnen hat das tatsächlich geschafft. Weihnachten feiern alle zusammen: Der Ex-Mann, die gemeinsamen Kinder und der Sohn aus zweiter Ehe, die neuen Partner und sogar die Grosseltern. Ihr Rezept: «Das Ego beiseite stellen, den Kindern und Grosseltern zuliebe.» Es sei jedoch gerade zu Beginn knallhart und eine grosse Herausforderung. Eine, die sich mit der Zeit jedoch auszahle. Nun geniesst ihre ganze Familie das Fest.
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Die Realität ist leider oft eine andere und weitaus weniger harmonisch. Ich denke nicht, dass das gemeinsame Feiern in deiner Situation ideal wäre. Du schreibst zu deutlich, dass du keine Lust dazu hast. Es bringt deinen Kindern nichts, wenn du mitkommst, aber traurig an deinem Platz sitzt oder dich gar mit dem Ex streitest. Für Kinder ist es belastend, wenn sie spüren, dass ihre Eltern unglücklich sind. Auch ist es für die Gastgeber nicht gerade eine angenehme Situation.
«Es ist wichtig, dass Eltern nach einer Trennung zu ihrer Entscheidung sowie deren Konsequenzen stehen»
Martina Rissi, Familientherapeutin
Familientherapeutin Martina Rissi sagt denn auch: «Es ist wichtig, dass Eltern nach einer Trennung zu ihrer Entscheidung sowie deren Konsequenzen stehen. Das bedeutet in den meisten Fällen: Sie feiern keine Feste mehr zusammen – weder Geburtstage noch Silvester. Vor allem, wenn die Trennung frisch ist.» Es sei jedoch verständlich, dass dies den Nachwuchs traurig mache. Doch: «Klarheit gibt Sicherheit. Es bringt nichts, sich der Verantwortung zu entziehen, aus Angst zu enttäuschen. So belügt man nicht nur sich selber, sondern auch die Kinder.»
Gerade wenn die Trennung frisch ist, braucht es einen klaren Schnitt. In der Regel vergehen Jahre, bis die Eltern wieder gemeinsam feiern können oder auch mögen. Wenn das überhaupt jemals denkbar ist. «Das Familienfest setzt voraus, dass beide Elternteile die Scheidung verarbeitet, sich selbst und dem anderen vergeben und vielleicht sogar einen neuen Partner haben», so Rissi. Ansonsten sei die Gefahr gross, dass es erneut zu Streitereien komme.
Liebe Zoé, vermutlich würden sich deine Kinder auch unnötig Hoffnungen machen. Gerade wenn sie noch klein sind und es geniessen, die Eltern gemeinsam um sich zu haben. Als Kind hätte ich wohl so gedacht. Noch heute glaube ich bis zum Ende an das Gute und hoffe auch dann noch, wenn der Zug längst abgefahren ist. Als Eltern kommt man aber nicht darum herum, Klarheit zu schaffen. Was ist im nächsten Jahr? Was die Jahre darauf? Deine Kinder werden wieder stürmen und gemeinsam feiern wollen.
Teilst du ihnen deine Bedürfnisse hingegen ehrlich mit und machst ihnen klar, dass es für dich nicht stimmt, sie aber unbedingt gehen dürfen, wenn sie wollen, erreichst du damit wohl, dass sie durch den Besuch auf andere Gedanken kommen und ihren Kummer vergessen. Zumindest für einige Stunden.
Ich wünsche dir viel Kraft und en guete Rutsch!
Herzlichst,
Romina
Unsere Expertin für Familienfragen
Nie waren Eltern so gut informiert wie heute. Und nie war es schwieriger, im Dschungel aus Ratgebern und Internetforen den besten Weg für den eigenen Nachwuchs zu finden. Unsere Familien-Expertin Romina Brunner hilft, Ordnung zu schaffen. Regelmässig berät die zweifache Mutter und Journalistin die SI-Family-Community zu Themen und Fragen aus dem Familienalltag.