Was genau macht die Schlange? Sie zischt. «Ggzzssii», rufen die kleinen und grossen Yogis und strecken ihren Oberkörper nach oben. Und was macht der Hund? Der bellt. «Wuff, wuff», ertönt es aus den Mündern der beiden vierjährigen Sherin und Jael, während sie ihre Kniegelenke strecken und die Fersen in die Yogamatte stossen.
Und manchmal, da muss der Hund eben auch Pipi machen. Die Kinder und ihre Eltern heben abwechslungsweise ihre Beine nach oben und kichern fröhlich dabei. Doch schon verwandelt sich der Hund in Flip, den Frosch. Die gesamte Klasse, bestehend aus sieben Kindern, ihren Mamis und einem Papi, geht tief in die Hocke. Alle beugen sich nach vorne und legen die Hände flach auf den Boden.
Auch wenn die meisten der Kinder im Alter zwischen drei und zwölf Jahren ihre erste Yogastunde besuchen, machen sie vieles intuitiv richtig. Aber ist ja auch logo, dass die Schlange sich nach oben streckt oder die Schildkröte sich zusammenkauert. «Kinder verstehen Yoga instinktiv», sagt Yogalehrerin Janine Niedan, 46. Zusammen mit Shivani Dagan, 34, unterrichtet sie in der Berner Altstadt Kinder- und Familienyoga im Studio Yoga Luna.
Das stimmungsvolle Studio befindet sich in einem spätgotischen Bürgerhaus direkt am Münsterplatz, mit einer Fensterfront, die einen Ausblick auf das prächtige Berner Münster freigibt. Der Raum ist hell, erfüllt von Meditationsmusik und flackernden Teelichtern.
Sonntagnachmittag, willkommen beim Familienyoga! Zwar sind die meisten Eltern hier Yoga-geübt und praktizieren die jahrtausendealte indische Lehre schon seit Längerem, doch heute möchten sie Yoga mal mit ihren Kindern erleben.
Das jüngste, die kleine Rosalie, ist gerade mal drei Jahre alt. Und so versteht es sich von selbst, dass in dieser Yogastunde vor allem der Spass im Vordergrund steht. Und doch schaffen es Janine und Shivani, mit Kreativität und Spielerei die Grundlagen des klassischen Yoga zu vermitteln.
«Wir verwandeln Yogapositionen in Tiere, fantastische Wesen oder geometrische Formen», sagt Janine. Und beginnt im Kreis eine Geschichte vorzulesen. Die kleinen Yogis sollen sich vorstellen, dass sie auf Bärenjagd gehen. «Indem wir uns auf eine Fantasiereise begeben, erfahren wir unsere Kraft. Die Kinder schulen durch diese Körperarbeit ihre Wahrnehmung und Achtsamkeit», sagt Shivani.
Die ausgebildete Kinderyoga-Lehrerin stammt aus Tel Aviv. Darum wird die Stunde auch zweisprachig geführt: auf Deutsch und Englisch. «Inhale, exhale», sagt Shivani. Doch die Klasse versteht es auch ohne Übersetzung. Shivani hält nämlich einen grossen Plastikball in der Hand, den sie beim Einatmen fest auseinanderzieht.
So lernen die Kinder spielerisch «Pranayama», die yogischen Atemübungen, die darauf abzielen, durch Atmung Körper und Geist gesund zu halten. «Bereits einige bewusste tiefe Atemzüge können in Stresssituationen dafür sorgen, dass das Gefühl der Überforderung abnimmt», sagt Janine.
Denn in der digitalen Leistungsgesellschaft stossen bereits die Kleinsten an ihre Grenzen. Yoga bietet einen Gegenpol zur grassierenden Überforderung. So fördert der Wechsel von Anspannung und Entspannung die Durchblutung und steigert die körperlichen Abwehrkräfte. Die Muskeln werden stärker und elastischer. Vor allem aber fördern Meditations-, Atem- und Achtsamkeitsübungen die Konzentration. Darüber hinaus bekommen Kinder mehr Selbstvertrauen, wenn sie eine «Asana» meistern.
Asanas, so heissen nämlich die klassischen Yogastellungen. Der Baum, der Krieger, die Katze oder der Schmetterling: all diese Asanas steigern die Koordination. Und manchmal wird es sogar ziemlich akrobatisch! Auf ihrer Bärenjagd gelangen die Yogis etwa an einen Fluss, den es zu überqueren gilt. Die Klasse wagt eine Figur aus dem Acroyoga: der Flieger!
Die Eltern liegen rücklings auf der Matte und balancieren auf ihren ausgestreckten Füssen ihre Kinder an deren Hüften. Das braucht ziemlich Mut. Aber schon nach einer Stunde Yoga haben auch die Kleinsten volles Vertrauen in ihre Fähigkeiten und «fliegen» mit Hilfe ihrer Eltern über den «reissenden Fluss». Und so resümiert die Drittklässlerin Lara, 9, innerlich und äusserlich gestärkt nach dieser Erfahrung: «Macht einfach Spass.»