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Notabene von Chris von Rohr

«Glanz und Trost»

Musiker, Produzent und Autor Chris von Rohr schreibt in seiner Kolumne, welch wichtige Bedeutung Rockkomplize Udo Lindenberg für ihn hat.

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Chris von Rohr
Beat Mumenthaler

Ja, es gibt sie, die Highlights im Leben, diese Lichter, die unseren langen, oft auch beschwerlichen Weg säumen. Kurz bevor das alte Jahr zu Ende ging, durfte ich mal wieder eins erleben. Ich legte, leicht angeschlagen, an diesem stockdunklen Dezemberabend die LP «Stärker als die Zeit» von meinem Rockkomplizen Udo Lindenberg auf. Der Text hat etwas, was mich immer wieder verzaubert und nach vorne bringt:

Ich nehm die Sonnenbrille ab, check den Moment / Wenn eine Seele die andere erkennt / Du spürst sofort, und das ist gut / Wir sind Familie, sind ein Clan, wir sind ein Blut.

Er singt das mit gebrochener Stimme, im Hintergrund ein grosses Orchester, Gänsehaut pur, man glaubt jedes Wort. Und wie ich das in meinem Wundertütenleben so pflege, folgte ich dem inneren Ruf und buchte am selben Abend das Hotel und am anderen Morgen den Flug nach Hamburg. Ich brauchte einfach wieder mal ne Dosis Udopium. In seiner bunten Panikfamilie sind Streuner, Träumer und Leidenschaftler willkommen.

Wir sitzen einander in der gediegenen Hippiebude, im Adlerhorst des Hotels Atlantic, gegenüber. Freude und Magie liegen in der Luft. Es breitet sich Wärme und Freude aus. Er macht mir einen Luxustee, dazu kredenzen wir ein Eierlikörchen. Wir sprechen über die neuen Songs, Malerei, «Steppenwolf», Rocktote, Politik, Planetenrettung, Liebe und Alter. Er wolle klar in den Klub der 100-Jährigen, sagt Udo.

Alter steht für Radikalität und Meisterschaft. So sollte es sein. Nicht Hängenlassen und Rückzug in die geistige Hängematte. Mit den Jahren, ein weiterer Vorzug, kriegt man ne geile Patina an die Stimme. Man kennts ja auch vom Kollegen Orpheus. Wenn der singt, weinen die Frauen, stellen die wilden Tiere das Jagen ein, die Bäume verneigen sich, und die Männer beenden die Kriege. Und wenn Sänger älter werden, dann sagen sie: Hinterm Mikrofon gehts weiter. Wohl noch einige Jahrzehnte. Nicht kürzertreten, sondern längere Schuhe anziehen.

Udo ist von Natur aus ein Schamane, ein Mutmacher und Freigeist

Seit drei Wochen Nummer 1 mit dem neuen Album in Deutschland, und nächstes Jahr sind grosse Arenashows und auch ein Film angesagt. Seine Botschaft, die er unermüdlich versprüht, ist ein Plädoyer für Weltoffenheit, Zusammenhalt und Frieden: Gitarren statt Knarren. Ja, der Raketenflug gleitet stabil. Legenden gehen nicht in Rente – sie bleiben leichtfüssig und sagen mit gebrochener Stimme, was gesagt werden muss:

Wir sind schlafende Riesen / Aber jetzt stehen wir auf / Lass sie ruhig sagen, dass wir Träumer sind / Am Ende werden wir gewinnen / Wir lassen diese Welt nicht untergehen / Komm wir ziehen in den Frieden.

In diesen Stunden wird mir klar, dass alle, die mit Udo erwachsen wurden und dabei jung geblieben sind, einen Verbündeten fürs Leben haben. Bei ihm gibt es keinen verkopften, moralisierenden und grantelnden Alterszynismus, sondern Offenheit, Humor, Neugier, kindliche Verspieltheit, aber auch politische Wachheit.

Schau in die Welt. Da gibts gerade reichlich Schieflage. Zu viele Gruselgestalten in den grossen Schaltzentralen, die als Ego-Deppen so narzisstische Kränkungen auf dem Rücken der Menschen austragen und Unheil, Gift und Elend streuen. Die sogenannten Volksvertreter reden reichlich undurchsichtiges Zeug. Keinen Klartext, dass die Leute auf der Strasse das verstehen. Vertrauen geht baden, hört keiner mehr hin. Politchinesisch. Floskeln, Fremdwörter und Worthülsen. Schlaue Schnacker, aber so spricht doch keiner in echt, und das Volk wandert im Nebel. Und dort, wo Politiker nicht weiterkommen, müssen dann eben Künstler Zeichen setzen und Bewegungen anschieben.

Wir sprechen auch über Toleranz, Meinungsvielfalt und die nötige Streitkultur.

Total wichtig! Lass die Toleranzen tanzen. Weltweit die verschiedensten Ansätze für die Welt von morgen. In der Ergänzung liegt die Kunst. Ein bisschen so wie New York City. Egal, wo du herkommst, lass uns zusammen die geilsten Dinger drehen.

Udo ist von Natur aus ein Schamane, ein Mutmacher und Freigeist. Seine Kreativität ist Glanz und Trost zugleich. Und das seit bald 50 Jahren! Mit der Leichtigkeit eines Stepptänzers und dem Herzen eines Löwen singt und malt er sich heute in die Herzen von Millionen. Er ist schlicht allerbeste Werbung für Menschlichkeit. Und das ist in diesen unberechenbaren Zeiten genau das, was wir brauchen.

Zum Abschied schenkt er mir zwei seiner Bilder, und wir tauschen Freundschaftsringe. «Bis bald, lieber Rohrman.»– «Ja, meine Nachtigall, ist mir immer ne grosse Freude.»

Musiktipp: Udo Lindenberg, «MTV unplugged 2».

Von Chris von Rohr am 17. Dezember 2018 - 13:16 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 11:44 Uhr