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Notabene Chris von Rohr

Seerose an der Aare

Musiker, Produzent und Autor Chris von Rohr, 64, schreibt in seiner neuesten Kolumne über seine Heimatstadt Solothurn und wieso Strassen und Plätze aber nicht nach einheimischen Musikern benannt werden.

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Chris von Rohr Notabene-Autor
Daniel Rihs

Lasst mich über meine Heimatstadt Solothurn schreiben. Immerhin wohne ich seit über 60 Jahren hier und habe das eine und andere kommen und gehen sehen. Wie immer werde ich versuchen, die Balance zwischen Erfreulichem und weniger Genehmem zu finden, mit den Worten des Altmeisters Huang-Po: «Gestatte den Ereignissen des Alltags nicht, dich zu erdrücken, aber entziehe dich ihnen auch nicht.»

Und dass mir keine Missverständnisse aufkommen: Ich liebe dieses Städtchen und kann es allen Reisenden nur empfehlen – gerade im Sommer. Ohne Übertreibung darf ich sagen: Ich wohne an einem schönen Ort. Die pittoreske Seerose an der Aare ist umgeben vom Jura, gesunden Wäldern und prachtvoller Natur. Wir haben gute Restaurants, eine wunderbare Zentralbibliothek, einen grossartigen Wochenmarkt, die St. Ursenkathedrale, die Verena-Schlucht, den Weissenstein, das Kunstmuseum, die Solothurner Filmtage, über 100 Arztpraxen, freundliche Verkäuferinnen, coole Polizisten und die Kulturfabrik «Kofmehl».

Das alles hilft über das oft etwas raue Wetter hinweg. Meine Grossmutter begegnete meinem Wetterblues immer mit der frohen Botschaft: «Bueb, wenn du dieses Klima überstehst, kannst du überall in der Welt leben.» Wie immer hatte sie recht!

Das katholische Städtchen, in dem ständig irgendwelche Kirchenglocken bimmeln, nennt sich auch Ambassadorenstadt, weil hier einst der Botschaftersitz des französischen Königshauses war und manche Party geschmissen wurde. In der schönsten Barockstadt der Schweiz flanierten und soupierten die Herren Casanova, Hesse, Goethe. Und Napoleon Bonaparte hat im Hotel Krone bis dato eine Rechnung für ein Glas Wasser offen – Coke gabs damals noch nicht.

Und heute? Solothurn leidet seit längerer Zeit unter einer Schockstarre, einem Herzstillstand. Wachstum gibts nur bei Steuern und Abgaben oder bei unverschämten Lohnerhöhungen von Verwaltungsleitern und Pensionskassenchefs.

Stadt und Kanton haben sich finanziell noch nicht vom Regionalbankenskandal erholt, wo Hunderte von Millionen verbrannt wurden. Dieses Geld fehlt in Schul-, Familien- und Wirtschaftsförderung. Erstaunt es nach alldem, dass Solothurn nicht gerade als Steuerparadies gilt? Ebenfalls stossend: politische Jobs werden oft nach Parteibuch statt nach Fähigkeitsausweis vergeben. Das hemmt eine gesunde Entwicklung.

In Solothurn wird dir nix geschenkt

Sorgen macht mir, bei allem Respekt fürs Geleistete, auch unser Stadtpräsident. Seit bald einem Vierteljahrhundert klebt er an diesem Amt. Eigentlich wäre es ein 100%-Job. Aber er ist auch noch Nationalrat (ein 50%-Pensum) und mit 31 (!) Mandaten Oberämtlisammler der Schweiz. Es gibt niemanden auf dieser Welt, der so viele Aufgaben gleichzeitig gut erledigen kann. So erstaunt es wenig, dass auch innovative Leuchtturmprojekte wie das Kurhaus Weissenstein und vor allem die Wasserstadt an der Aare nicht unterstützt, sondern mit negativer behördlicher Grundhaltung gebremst, verschlafen oder durch fragwürdige Expertisen bekämpft werden. Auch die wertvolle Steinerschule wird hier, anders als in Bern, nicht unterstützt. «Investiert» wird anderswo.

Uns Krokus-Musiker hat dieses Solothurn immer zu einem Gegenentwurf gezwungen. Da wird dir nix geschenkt. Blumen gibts keine, Plätze oder Wege wie in Interlaken und Lugano, die nach einheimischen Musikern benannt werden, erst recht nicht. Hier läuft es eher nüchtern und herb. In diesem Neid- und -Nebel-Klima entsteht aber auch eine gewisse Dringlichkeit, und es gedeihen gute Songs und Texte. Prickelnde Ablenkung gibts wenig.

Ich werde also noch etwas bleiben und will auch meine Tochter in diese Welt hineinwachsen sehen. Vieles ist uns hier vertraut und ans Herz gewachsen. Die Strassen, alte Lindenbäume, Häuser und gewisse Menschen mit ihren Geschichten. Unsere Wurzeln sind hier. Dazu kommt: Vielleicht lässt sich ja, trotz der Botschaft im trümmligen Solothurner Lied «s isch immer eso gsi, s isch immer eso gsi», ein klein bisschen was ändern. Dieser Flecken und seine Menschen hätten es verdient, und ich bin sicher, die beste Zeit steht Solothurn noch bevor. Zuerst wird es aber wohl eher härter werden – doch das sind wir hier gewohnt.

Wir ähneln allesamt dem Gjätt in meinem Garten. So oft ich es ausrupfe, ein paar Tage später grinst es mich wieder an und scheint zu säuseln: Hallo, Meister! Hier bin ich wieder!

Von Chris von Rohr am 2. August 2016 - 11:52 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 14:59 Uhr