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Unterwegs mit Susanne Hochuli

Hühner und Nerds

Susanne Hochuli, 53, war acht Jahre Aargauer Regierungsrätin. Jetzt ist sie Präsidentin von Greenpeace Schweiz und oberste Patientenschützerin. Mit zwei Flüchtlingsfamilien lebt sie auf dem eigenen Hof in Reitnau AG. In ihrer Kolumne in der «Schweizer Illustrierten» sinniert sie über den Hühner-Hype.

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Huhn
Getty Images

Jeden Morgen komme ich mir altbacken vor, wenn ich den Hühnerstall aufsuche. Anderen mag ich sogar subversiv erscheinen, da ich mir ein Kopftuch umbinde – tunlichst darauf bedacht, keine Haarsträhne hervorlugen zu lassen. Weder vom Schmutz- noch vom Religionsaspekt her wäre der Schutz meiner Haarpracht nötig: Meine Hühner lobpreisen zwar jedes gelegte Ei, wirken daneben aber eher ungläubig. Und reinlich sind sie. Aber ich bin heikel. Deshalb entferne ich täglich jeden Hühnerschiss und streue frisches Stroh. Den Auslauf ins Freie nötige ich den Tieren täglich ab, auch wenn sie klagend gackernd durch den Schnee eiern, um die Salatblätter, Rüeblischeiben und Randenwürfel aufzupicken, die ich ihnen mit Lockrufen ausstreue: «Chom, bibibi, chom, bibibi!»

Dicke Handschuhe gehören wie das Kopftuch zu meiner Ausrüstung im Hühnerstall

Meine Hühner danken mir die Fürsorge nicht. Sie picken nach meinen Händen, wenn ich ihnen die Eier unter den Federn hervorklaube. Dicke Handschuhe gehören wie das Kopftuch zu meiner Ausrüstung im Hühnerstall.

Nach dem, was ich sehe und vor allem nicht sehe, ist der Hahn impotent. Diesen Makel kaschiert er mit einer immensen Bemutterung seiner Hennen und einer Brutalität mir gegenüber, die ihresgleichen sucht. Die Hühner nehmen ihn, wie er ist: Als einen Gockel, dem sexuelle Abenteuer ein Fremdwort sind, dessen Nächstenliebe aber nicht mal mit Leckerbissen zu untergraben ist.

Jedes Krümelchen, jedes Körnchen, jedes Vitaminteilchen kündigt er mit lautem Gurren an, lässt seinen Hennen den Vorrang beim Verspeisen der Köstlichkeiten und pickt selber nur auf, was übrig bleibt. Seinen Frust baut er danach an mir mit Schnabel und Sporen ab. Ihm unbewaffnet zu begegnen, getraue ich mich schon länger nicht mehr.

Im Silicon Valley sind Hühner im eigenen Garten im Trend

Wundern Sie sich nicht, dass ich so ausführlich über das Leben im Hühnerhof schreibe. Ich nahm den Trend sozusagen vorweg, als Hühnerhaltung bei uns noch als bieder galt. Dass sie nun en vogue ist, beweist das Silicon Valley. Dort gelten Hühner im eigenen Garten als der neuste Chic.

Nein, es ist kein Witz: Eine renommierte Tageszeitung schrieb in der Rubrik Wirtschaft über den neuen Hühner-Hype im Silicon Valley. Und zeigte erst noch, wie Clevere mit der Entspannung durch Hühner Geld verdienen können. Viel Geld.

Hühner gegen Burnout

Krähende Güggel werden in hippen Villenvierteln nicht geduldet. Aber die Hühner! Sie halten gestresste Mitarbeitende von Google, Facebook und Apple vom Saufen, von Burnout und Selbstmord ab. Wer jahrein, jahraus nur in den Bildschirm glotzt, Algorithmen erfindet, Hardware hämmert und Software ausbrütet, neue iPhones ausdenkt und darüber sinniert, wo all die Daten all der User von all den Apps gesammelt, vernetzt und benutzt werden können, ja so ein Mensch braucht nach Feierabend seine Hühner.

Hühner wissen Nerds zu nehmen. Dumm sind sie nicht, nur kümmern sie sich herzlich wenig um den Rummel, der uns Menschen die Musse nimmt.

PS: Am Tag, da ich diese Worte schreibe, verschwindet eines der Hühner auf nicht nachvollziehbare Weise. Nur wenige Federn bleiben übrig. Den Güggel und mich stimmt dieser Verlust traurig.

Weitere Beiträge von Susanne Hochuli finden Sie hier.

 
 
Von Susanne Hochuli am 18. Februar 2019 - 14:45 Uhr, aktualisiert 18. Februar 2019 - 20:24 Uhr