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«Senkrecht» mit Natascha Knecht

Pimp my Naturerlebnis

Natascha Knecht, 46, Journalistin und Alpinistin, Buchautorin und Bloggerin schreibt über die Bergwelt, die zur Erlebniswelt geworden ist.

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Thomas Senf

Wer heute als Wirt einen Wurstsalat anbietet, tut gut daran, dies in einem mega-originellen Ambiente zu tun. In einem stilecht nachgebauten Kuhstall in der Stadt etwa. Serviert von leichtgeschürzten Sennerinnen und begleitet von Alphornbläsern. Man bezeichnet das als Erlebnisgastronomie, an der kaum ein Restaurant vorbeizukommen glaubt, weil es die Konkurrenz auch tut.

Ähnliches geschieht mit unserer Bergwelt. Das Naturerlebnis alleine genügt nicht mehr - es braucht Robinson-Spielplätze, Hüpfburgen und Trottinett-Pisten in alpinen Höhen. Kaum ein Wandergebiet, das keine Sommer-Rodelbahn, Drehgondel oder Hängebrücke anbietet. Nach Meinung der Tourismusmanager kennt der Erlebnishunger der Bergtouristen keine Grenzen. Überall muss dem Erlebnis mit Erlebnissen nachgeholfen werden. Gekocht, gebaut, verunstaltet wird alles, was sich als Erlebnis und Event verkaufen lässt.

Dem guten alten Wanderer, der einst still und selbstgenügsam wegen der Schönheit der Natur durch die Berge schritt, bleibt nichts anderes übrig, als sich der Moderne anzupassen. Künstliche Aussichtsplattformen mit atemberaubenden Tiefblicken in gähnende Abgründe scheinen ihm angeblich attraktiver als ein naturbelassener Gipfel ohne Gipfelkreuz. Das Naturabenteuer, so haben die Touristiker beschlossen, muss in unserer schnelllebigen Zeit kurz, aber trotzdem «erlebnissatt» sein.

«Erlebnissatt» ist ein Wort, das von der Outdoor-Industrie kreiert wurde. Denn auch sie hat gemerkt, dass es beim Freiluftsport noch viel Luft nach oben gibt. Konnten wir früher minimalistisch und in roten Socken loswandern, sind wir nun ohne dreilagige Funktionskleidung, revolutionäre Karbonstöcke und ultra-leichten Rucksack nicht mehr überlebensfähig. Nicht oberhalb von 1000 Metern über Meeresspiegel. Ja, nicht einmal auf Meereshöhe. Das zeigt etwa das Beispiel Camping.

Die Zelte sind nicht einfach Zelte. Man kann Sofa und TV reinstellen



In vergangenen Zeiten hiess das «Zelten» und stand für Isomatten, nasse Schlafsäcke bei Regenwetter und Essen aus der Büchse. Damals passte die gesamte Ausrüstung in einen Veloanhänger, sicher aber in den Kofferraum. Doch diese Art von Naturerlebnis ist überholt. Heute macht man «Glamping», eine Kombination von Glamour und Camping. Die Zelte sind nicht einfach Zelte, sondern Konstrukte mit mehreren Schlaf- und Aufenthaltskabinen. Man kann richtige Betten reinstellen, Sofa, TV und einen Kühlschrank. Der Strom kommt aus dem portablen Generator. Dumm nur, dass diese Komfortausrüstung nicht in den Kofferraum passt. Jetzt braucht es einen hochgelegten Kleintransporter mit Allradantrieb.

An die Open-Air-Konzerte im Sommer gehen die jungen Wilden nicht mehr wegen der Musik, sondern wegen der Schlafsäcke. Diese bestehen neu aus wasserfester, hydrophober Daune, in der sie ungestört «mindestens 1000 Minuten» in einer Pfütze den Alkoholrausch ausschlafen können – und trocken bleiben. Derweil unternehmen die beruhigten Eltern einen Ausflug ins Grüne. Anlass ist der neu erworbene, solarbetriebene Grill, der es mit der Küche eines Sternekochs aufnehmen kann.

Wegen der Berge, Seen, Wälder geht heute kein zeitgemässer Mensch in die Natur. Bräteln an einer Feuerstelle in einem abgelegenen Seitental? Ohne künstliches Vogelgezwitscher ab Tonband? Das wäre wie der Wurstsalat ohne Zusatzstimulation. Langweilig.

Von Natascha Knecht (alt) am 3. Mai 2016 - 14:33 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 15:09 Uhr