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«Senkrecht» mit Natascha Knecht

Meine kurze Karriere als «Influencerin»

Natascha Knecht hat sich als Influencerin versucht. Schliesslich kann man damit bis zu 100'000 Franken verdienen, pro Monat. In ihrer «Schweizer Illustrierte»-Kolumne erzählt die 47-jährige Journalistin, Alpinistin, Buchautorin und Bloggerin, wie es war, ihr Leben auf Instagram.

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Natascha Knecht Journalistin Outdoor Blog Schweizer Illustrierte
Thomas Senf

Viele Trends ziehen an mir vorbei, ohne dass ich von ihnen etwas mitbekomme. Ich bin einfach zu oft in den Bergen und zu wenig im Internet, um über jede Mode informiert zu sein. Doch jüngst wird so häufig über die «Influencer» berichtet, dass sogar ich von diesem Hype mitbekommen habe.

Anfangs wusste ich nicht, was ein Influencer ist. Ich dachte, es habe mit der Influenza zu tun, der Grippe. Dann lernte ich aber: Influencer sind Leute, die nichts anderes machen, als sich selber zu fotografieren. Etwa beim Haareföhnen oder Kaffeetrinken.

Die Selfies posten sie auf Instagram – und verdienen damit unglaubliche Summen. Bis zu 100'000 Franken – pro Monat! Kein Witz! Und das Beste daran: Jeder kann Influencer werden. Auch Sie und ich!

Hashtags haben genauso wenig mit Haschisch zu tun wie Influencer mit der Influenza

Einzige Voraussetzung: Wir müssen auf Instagram mindestens 10'000 Fans haben. Dann schicken uns Firmen gratis Produkte zu, Luxushotels laden uns in die Ferien ein. Als Gegenleistung verlangen sie, dass wir für ihre Produkte Schleichwerbung betreiben. Also den Haarföhn «beiläufig» ins nächste Selfie platzieren und auf Instagram vorgaukeln: «Er ist das Geheimnis meiner Wahnsinnsfrisur.» Wenn unsere Fans das Bild fleissig liken, dürfen wir den Haarföhn nicht nur behalten, die Firma überweist uns auch noch Geld.

Wie cool ist das denn!? Begeistert entschloss ich mich, auch Influencerin zu werden. Als Journalistin arbeite ich bekanntlich in einer unsicheren Branche, den Zeitungen geht es nicht so gut. Da ist es schlau, sich frühzeitig ein zweites Standbein aufzubauen. Ausserdem kann ich mehr bieten, als mich beim Haareföhnen zu fotografieren.

Als Bergsteigerin wäre ich fähig, Gipfel-Selfies auf 4000 Metern zu machen und für die Ausrüstung zu werben, die mir Outdoor-Firmen gratis zuschicken: Kleidung, Helm, Eisschrauben, Rucksack. Vielleicht ruft der Chef von Tesla an und bietet mir an, künftig mit einer umweltfreundlichen E-Limousine in die Berge zu fahren. Als Influencerin ist alles möglich!

Auf Instagram tummeln sich fast eine Milliarde Nutzer. Jeder Zweite möchte – wie ich – Influencer werden.

Mein einziges Problem: Ich hatte bis anhin keinen Instagram-Account und keine Ahnung, wie dieses soziale Netzwerk funktioniert. Darum meldete ich mich vorsichtshalber erst mal unter einem Fantasienamen an. Und siehe da: Am nächsten Tag hatte ich 12 Fans, obschon mein Profil noch komplett leer war.

Enthusiastisch postete ich mein erstes Bild – versehen mit 30 Hashtags. Denn ich hatte recherchiert und herausgefunden, dass Hashtags genauso wenig mit Haschisch zu tun haben wie Influencer mit der Influenza. Hashtags sind Wörter, denen das Rautezeichen vorangestellt wird. Sie generieren eine grössere Reichweite. Zum Beispiel: #ichliebeberge.

Jedenfalls hatte mein Bild innert 28 Minuten 11 Likes, und 5 weitere Fans folgten mir. Das läuft ja wie geschmiert, der Anruf vom Tesla-Chef ist nicht mehr weit, dachte ich. Doch als ich eine Woche später wieder reinschaute, war ich schockiert: Mir folgte noch ein Fan. Die anderen 16 hatten mich abgehängt – zur Strafe, weil ich ihnen nicht gefolgt bin und ihre Bilder nicht geliked habe.

Da begriff ich: Auf Instagram tummeln sich fast eine Milliarde Nutzer. Jeder Zweite möchte – wie ich – Influencer werden. Wer zu den Top-Verdienern gehören will, muss sich an seltsame Regeln
halten und rund um die Uhr posten, liken, heucheln. Wie irre ist das denn? Lieber verbringe meine Freizeit offline in den Bergen – und lasse den Influencer-Hype an mir vorbeiziehen.

Von Natascha Knecht (alt) am 25. September 2017 - 17:15 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 13:07 Uhr