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Im Planwagen durchs Weinland

Pferde anspannen, Seele entspannen

Suchten die ersten Siedler in Amerika im Planwagen noch eine neue Heimat, ist heute das Fahren mit Ross und Kutsche ein grosser Plausch für Familien. Drei Tage zwischen Wild-West-Romantik und Schweizer Landidylle. 

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Das musst du noch etwas fester ziehen», sagt Claudia Stöckli, 43, mit Blick auf das Halfter von Pferd Zitadelle zu ihrem Mann Christian, 45. Insgesamt drei Tage wird das Paar aus Wangen ZH mit seinen Töchtern im Planwagen zwischen verschiedenen Bauernhöfen im Zürcher Weinland unterwegs sein. Geschlafen wird im Mehrbettzimmer oder im Stroh, Lagerfeuerromantik inklusive. Trotz gestrigem Theoriekurs: Ein Pferd vor einen Wagen zu spannen, ist schon eine komplexe Sache. Doch die 15-jährige Zitadelle bleibt geduldig und sieht den Stöcklis beim Hantieren mit Trense, Reimen und Zügel zu.

Das Pferd weiss genau, wo es lang geht

Besonders freut sich Nesthäkchen Elin, 5, auf den Ausflug. Sie ist ein echter Rössli-Fan. Los gehts beim Pferdehof Tiefenau in Schlatt TG. Hier wohnen 50 Pferde und ein frecher Truthahn. Jakob Möckli, der aufgestellte Chef des Hofs, zieht dem Pferd nun einen gehäkelten Ohrenschutz gegen die Fliegen über. «Eine Burka für Pferde», sagt er lachend. Sogar mit Antibrumm wird die schöne Zitadelle eingesprüht. Nicht ohne Stolz fahren die Stöcklis ihr Gespann vom Hof.

Es geht bergab, zum Glück hat der Wagen eine Bremse. Ziel heute: Marthalen ZH, etwa zehn Kilometer entfernt. Die Stöcklis haben sich eine leichte Route ausgeguckt. Claudia führt das Pferd am Strick. Elin und Lilly, 6, sitzen mit ihrem Vater auf dem Bock. «Ja, das finde ich gut. Ich kann hier hocken, und die Frau muss arbeiten», scherzt er und verliest sich glatt auf der Karte. Kurz hinter einer Kreuzung im Wald merkt die Familie ihren Fehler. Rückwärtsgang? Zitadelle macht keine Anstalten. Richtig so. Die Stöcklis müssen geradeaus weiter, dann eine Landstrasse überqueren. Im Wald ist es frisch und kühl. «Kinder, tief atmen», ruft Claudia. Christian stimmt ein Lied an. Als Nächstes muss das Gespann eine Spitzkehre fahren, und das bergab. Claudia holt weit aus, der 250 Kilogramm schwere Wagen bleibt in der Spur.

«Im Bremsen bin ich spitze, aber Karte lesen kann ich nicht»

Mama Claudia

Zeit, zu wechseln, und Christian geht voraus. «Im Bremsen bin ich spitze, aber Karte lesen kann ich nicht», stellt Claudia nach fünf Minuten fest. Links herum oder doch nicht? Dieses Planwagenfahren könnte auch eine gute Paartherapie sein, vermutet Claudia lachend. Die Fahrt geht weiter durch Wiesen, Felder, an Bauernhäusern vorbei. «Ein Bier wäre jetzt nicht schlecht», schnauft Christian. Wenn es einen Biergott gibt, muss er in diesem Moment zugehört haben. Denn im nächsten Dörfchen steht ein Bierbrunnen. Wahrhaftig mit Gläsern, Zapfhahn und Kässeli. «Brr, Zitadelle.» Die kleine Pause finden alle gut, sogar das Pferd schaut neugierig beim Ausschenken zu.

Kraft tanken, morgen gehts weiter...

Als sie weiterfahren, entdecken die Kinder ein Kälbchen auf der Weide. «Es ist gerade erst geboren», staunt Lilly. Nächstes Zwischenziel: ein kleiner See. Nebenan können sie Zitadelle abschirren und auf einer Koppel grasen lassen. Zwischen Fröschen und Schilf picknickt die Familie. Den letzten Teil der Etappe bis Marthalen schaffen sie zügig. Erwin und Helen Corrodi erwarten sie bereits in ihrem 305 Jahre alten Bauernhaus, vor dem Alpakas grasen. Bei ihnen bekommt nicht nur Zitadelle ein Nachtlager auf Stroh, sondern auch die Familie.

Sofort breiten die Mädchen ihre Schlafsäcke aus, hüpfen umher. Dann eilen sie in den Stall, Wasser fürs Pferd nachfüllen. Zitadelle wird gekrault, gestriegelt und umsorgt. Und was hat ihnen heute am besten gefallen? Elin überlegt: «Dass es auf der Kutsche so schön geschaukelt hat.» Nach dem Abendessen fällt sie ins Stroh. Kraft tanken, denn morgen geht es schon weiter: mit Stöcklis über Stock und Stein.

Von Christa Hürlimann am 12. September 2016 - 05:30 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 14:53 Uhr