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  4. Basejumperin Géraldine Fasnacht: Die Extremsportlerin im Porträt

Basejumperin

Hier kommt «Supergirl» geflogen

Sie ruft Kopfschütteln hervor oder Staunen. Géraldine Fasnacht stürzt sich von Berggipfeln und fliegt wie eine Fledermaus durch die Luft. Todessehnsüchtig? Nein! Verrückt? Vielleicht. Die «Schweizer Illustrierte» hat die Extremsportlerin besucht.

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Sie wagt, wovon der Mensch seit je träumt: Fliegen wie ein Vogel. Vor wenigen Wochen stürzt sich Géraldine Fasnacht, 33, vom Gipfel der 3842 Meter hohen Aiguille du Midi in den französischen Alpen, breitet Arme und Beine aus - und fliegt. Zwei Minuten lang mit einer Geschwindigkeit von bis zu 160 Stundenkilometern fast sechs Kilometer hinüber nach Chamonix. «Ein unglaubliches Gefühl», sagt sie. Ihr Wingsuit, in dem sie einer Fledermaus ähnelt, hat Flächen aus Stoff zwischen Armen und Beinen, die von Luft durchströmt werden und wie Flügel wirken. So kann Géraldine Fasnacht die vertikale Fallgeschwindigkeit teilweise in eine horizontale Flugbewegung umwandeln. Den Langstreckenrekord unter Wingsuit-Basejumpern hält Jhonathan Florez mit 26 Kilometern. Der Kolumbianer sprang dafür aus elf Kilometern Höhe aus einem Flugzeug ab.

Weltweit gibt es eine Handvoll Frauen, die wie Géraldine Fasnacht Alpinismus mit Basejumpen kombinieren. Seit zwölf Jahren besteigt die Walliserin Gipfel rund um den Globus - und nimmt anschliessend den schnellsten Weg ins Tal. Sogar in der Antarktis ist sie schon gesprungen - als erste Frau überhaupt. Ihre bisherige Bilanz: 2500 Absprünge, davon 1200 aus Flugzeugen, Helis oder Ballons, der Rest von Berggipfeln.

In einer Familie aufgewachsen, die die ganze Zeit in den Bergen verbringt, beginnt Géraldine als Zweijährige mit Skifahren. Ihre Liebe zu den Bergen paart sich bald mit Abenteuerlust - und so kurvt sie auf ihrem Snowboard Hänge hinab, bei deren Anblick den meisten das Blut in den Adern gefriert. Géraldine gehört als 20-Jährige zu den weltbesten Extrem-Snowboarderinnen, gewinnt dreimal das berühmte Xtreme Verbier, mehrere Etappen der Freeride-World-Tour und sichert sich insgesamt 23 Podestplätze.

Und nun auch noch Basejumpen. Dass ihr Sport umstritten ist, weiss Fasnacht. Seit 2001 kamen in der Schweiz 50 Basejumper ums Leben - viele im Lauterbrunnental BE. Sie kennt die Zahlen. Ihr erster Ehemann, der Walliser Bergführer Sébastien Gay, starb Ende 2006 vor ihren Augen. Das Paar war beim Speedflying, einer Mischung aus Gleitschirmfliegen und Skifahren, als Sébastien gegen eine Felswand prallte. «Ich verschanzte mich wochenlang zu Hause und wollte nie mehr fliegen», erinnert sie sich. Bis ihre Mutter vor ihrer Haustür steht und befiehlt: «Dusch und geh raus!» Géraldine geht spazieren und fasst einen Entschluss. «Es ist unsere Wahl, ob wir lachen oder weinen wollen. Ich entschied mich, wieder zu lachen.» Vor zwei Jahren heiratete sie ein zweites Mal: den französischen Eiskletterer und Basejumper Sam Beaugey.

Es ist auch auf der Strasse gefährlich

Es ist schwer nachvollziehbar, warum sich eine Frau wie Fasnacht von Klippen oder aus Helikoptern stürzt. Sie kann es nur so erklären: «Ich bin ein Kind der Berge, das ist meine Passion.» Das Wort Passion fällt oft, wenn sie über ihren Sport spricht. Fasnacht verlor vor Jahren auch ihren kleinen Bruder. Er starb mit acht - bei einem Verkehrsunfall. «Es ist auch auf der Strasse gefährlich», sagt sie.

Wenn sich Géraldine Fasnacht auf einen Sprung vorbereitet, dann tut sie dies mit Akribie und höchster Sorgfalt. Stunden-, manchmal tagelang studiert sie «ihren» Berg, vermisst ihn mit GPS und Laserpointer, beobachtet das Wetter und informiert sich über anstehende Wolken- und Nebelfelder. «Wenn ich nur den kleinsten Zweifel habe, springe ich nicht - auch wenn ich einen siebenstündigen, anstrengenden Aufstieg hinter mir habe.» - «Géraldine agiert mit Köpfchen, nicht kopflos», sagt Stephan Siegrist. Der Extrembergsteiger schätzt die Basejumperin als «sehr aufgestellte, lustige und herzliche Person». Der Zermatter Bergführer Samuel Anthamatten ergänzt: «Géraldine ist professionell und selbstkritisch.»

Und sie lebt von ihrem Beruf. Seit 13 Jahren wird sie als einzige Sportlerin überhaupt vom Sportbekleidungshersteller Columbia unterstützt. Zudem coacht sie die Freeride-Nachwuchstalente Estelle Balet und Gaspard Piccot. Und sie hält Vorträge und Seminare - zum Thema Risk-Management. Da kennt sich Géraldine aus.

Von René Haenig am 23. November 2013 - 05:43 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 18:04 Uhr