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Karin Keller-Sutter und Viola Amherd

Bundesratswahlen: Das intime Tagebuch

Das gab es noch nie! Der Mittwoch brachte der Schweiz mit Karin Keller-Sutter und Viola Amherd gleich zwei neue Bundesrätinnen. Das Protokoll eines Tages voller Küsse, Käse und Kameras. Und einem Apéro zum Schluss.

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Bundesratswahlen 2018

7.05 Uhr: Anspannung im Bauch von Viola Amherd

Viola Amherd, 56, kommt durch das dunkle Käfiggässchen zum Bundeshaus – quasi durch den Hintereingang. Links eine Handtasche, rechts ihre Vertraute Brigitte Hauser-Süss, 64. Kurz bleibt sie für ein Bild stehen, auf dem Gesicht ein scheues Lächeln, im Bauch ein Klumpen Anspannung. «Heute kann ich Glück gebrauchen», sagt sie – und lässt sich dann bis zum Bundeshaus nicht mehr aufhalten.

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Gleich geht es los: Viola Amherd frühmorgens vor dem Bundeshaus.

07:10 Uhr: Heidi Z'graggen ist frühmorgens optimistisch

Während Amherd unbeobachtet am Medientross vorbeikommt, lässt sich ihre Konkurrentin Heidi Z’graggen beim Café Fédéral im Stockdunklen breitwillig ins Gesicht blitzen und sagt: «Natürlich bin ich optimistisch für die Wahl heute.» Sie ist in Begleitung ihres Lebenspartners Bruno Dobler – die beiden führen eine Fernbeziehung.  Er wohnt in Eglisau ZH, sie in Erstfeld UR. Gemeinsame Auftritte in der Öffentlichkeit sind bei der Politikerin und dem ZKB-Bankrat selten – doch selbstverständlich begleitet er seine Partnerin an diesem wichtigen Tag.

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Da strahlt sie noch: Heidi Z'graggen mit dem Urner Landammann Roger Nager und Weibel Karl Kempf.

07:15 Uhr: Karin Keller-Sutter hat gut geschlafen

Sie ist weg, noch bevor man sie hat kommen sehen: Die Topfavoritin der FDP, Karin Keller-Sutter, 54. Erst kurz vor dem Bundeshaus-Eingang gerät sie in den Journalisten-Pulk. Auf die Frage, ob sie gut geschlafen habe, antwortet sie: «Wie immer, danke.»  Danach geniesst sie einen Moment der Ruhe vor dem Fraktionszimmer der FDP. Ganz alleine steht die Topfavoritin da, als sie die Fotografin sieht, huscht ein Lächeln übers Gesicht.

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Gut geschlafen? «Ja, wie immer», antwortet Karin Keller-Sutter knapp und verschwindet im Bundeshaus.

08.27 Uhr: Johann Schneider Ammann ist freiwillig komisch

Dass dieser Mann unfreiwillig komisch sein kann, wissen wir seit seiner Rede zum Tag der Kranken - Stichwort: «Rire c’est bon pour la santé.» In seiner Abtrittsrede ist Bundesrat Johann Schneider-Ammann nun auch gewollt lustig: «Wenn Sie mich fragen, was mein Lieblingsmöbel ist, käme mir bestimmt kein Rednerpult in den Sinn», meint er selbstironisch - und alle Parlamentarier lachen. Dann gibt er gleich noch einen obendrauf: «U i danke minere Familie. Mini Frou sitzt uf dr Tribüni, mini Ching müesse schaffe, damit dr Vatter cha Politik mache.» Erneut Gelächter.

Johann Schneider-Ammann Bundesratswahlen 2018

Johann Schneider-Ammann bekommt zum Abschied aus dem Bundesrat einen Blumenstrauss.

Keystone

09.20 Uhr: Wer wird Nachfolgerin von Doris Leuthard?

Der Moment der Entscheidung ist gekommen. Wer wird Nachfolgerin von Bundesrätin Doris Leuthard? Ein Raunen geht durch die Reihen der Parlamentarier, als Nationalratspräsidentin Marina Carobbio auf italienisch ansetzt: «L'Assemblea federale ha eletto con 148 voti...» - gewählt ist mit 148 Stimmen: «Viola Amherd.» Jubel! Niemand hätte gedacht, dass es die Walliserin gleich im ersten Wahlgang schafft. Amherd schaut nach rechts, nach links - und küsst schliesslich als erste ihre Luzerner Parteikollegin Ida Glanzmann. In der Galerié des Alpes jubeln ihre Schulfreundinnen Ingrid Zenklusen und Nicole Bovin Bayard. «Viola wird es super machen. Sie war schon als 16-Jährige so fleissig und intelligent.»

Bundesratswahlen Viola Amherd und Karin Keller-Sutter

Gewählt im ersten Wahlgang: Viola Amherd.

Keystone

09.55 Uhr: Ein knappes Dutzend Kameras für Karin Keller-Sutter

Geht es bei Keller-Sutter auch so schnell, wie bei Amherd?  Ein knappes Dutzend Fotografen und Kameraleute haben ihre Linsen auf die St. Gallerin gerichtet. Und werden nicht enttäuscht! Keller-Sutter ist mit 154 Stimmen im ersten Durchgang gewählt. In der Galerié des Alpes fallen sich Göttibub Oliver Sutter, 37, und Neffe Silvan, 35 in die Arme. «Ich ha meeega freud!», sagt Berufsschullehrer Oliver. Er habe einen sehr guten Draht zu seinem Gotti, sie besuche ihn auch hin und wieder in St. Gallen. «Dafür wird sie jetzt wohl etwas weniger Zeit haben.»

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Karin Keller-Sutter im Moment ihrer Wahl.

10.01 Uhr: 

Karin Keller-Sutter hält ihre erste Rede als Bundesrätin: «Mit meiner Wahl beenden Sie ein dornenvolles Kapitel der freisinnigen Frauen», bedankt sie sich beim Parlament - und spielt damit auf den unfreiwilligen Rücktritt von Elisabeth Kopp an. «Nach fast dreissig Jahren Absenz in der Landesregierung darf ich die Aufgabe als Bundesrätin übernehmen. Ich glaube, dass wir damit zur Normalität übergehen können.» Später sagt sie: «Der Moment der Wahl war ein komisches Gefühl, ich war fast wie in Trance.»

Karin Keller-Sutter Bundesratswahlen 2018

Karin Keller-Sutter hält ihre erste Rede als Bundesrätin.

Keystone

10.06 Uhr: Zum ersten Mal zwei Frauen an einem Tag

Jetzt noch kurz die beiden Bundesrätinnen vereidigen, bevor es zum ersten Apéro des Tages in der Eingangshalle des Bundeshauses geht! Die Frischgewählten sind beide Katholikinnen, beide recken drei Finger in Richtung der Bundeshauskuppel und sprechen: «Ich schwöre es!» Eine Premiere in der 170-jährigen Geschichte der modernen Schweiz: Noch nie zuvor wurden zwei Frauen gleichzeitig neu in den Bundesrat gewählt.

Bundesratswahlen Viola Amherd und Karin Keller-Sutter

«Ich schwöre es!» Karin Keller-Sutter und Viola Amherd leisten ihren Eid.

Keystone

10.12 Uhr: Walter Thurnherr zieht einen Lätsch

Was ist denn Walter Thurnherr über die Leber gekrochen? Während die sieben Bundesräte auf ihrem ersten Gruppenbild wie die Maikäfer strahlen, hält sich der Bundeskanzler als einziger abseits - und macht einen Lätsch. Sofort gibt es Gerüchte: Bereut es Thurnherr plötzlich doch, dass er sich frühzeitig aus dem Rennen um den freien CVP-Sitz nahm?

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Das erste Gruppenbild des neu zusammen gesetzten Bundesrates.

10:38 Uhr: Auftritt von Tamy Glauser und Dominique Rinderknecht

Was machen denn ein Top-Model und eine Miss Schweiz an der Bundesratswahl? Politik-Luft schnuppern natürlich! Tamy Glauser, 33, und Dominique Rinderknecht, 29, schweben mehr die grosse Treppe in der Eingangshalle hinab, als dass sie schreiten. Die Grüne Partei hat das bekannteste Frauen-Paar der Schweiz ins Bundeshaus eingeladen. Wird eine von ihnen bald selbst im Parlament Platz nehmen? «Wir schauen gerade an, ob wir für den Nationalrat kandidieren wollen», meint Tamy. Und Dominique ergänzt vielsagend: «Sag nie nie.»

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Mit Tamy Glauser und Dominique Rinderknecht weht ein Hauch Glamour durchs Bundeshaus.

11:39 Uhr: «Viola, Viola, Viola!»

Viola Amherd tritt auf den Bundesplatz, ein Meer aus Walliser-Fahnen und ein Chor, der schreit: «Viola! Viola! Viola!» Wenn die Erleichterung eine Person wäre – sie hiesse Viola Amherd. Da steht sie, umringt von Fans und Journalisten, sie schüttelt Hände, küsst Wangen, und immer wieder dieser Blick, der sagt: Jetzt ist alles gut.

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Viola Amherd geniesst das Bad in der Menge auf dem Bundesplatz.

11:49 Uhr: Karin Keller-Sutter gibt sich volksnah

Nun holt auch Karin Keller-Sutter den Applaus des Volkes ab. Sie gibt sich – auf ihre Art – nahbar, dankt mit leiser Stimme, umarmt Freunde und Bekannte. Und doch verraten ihre Gesichtszüge, die Anspannung ist noch nicht ganz weg.

Bundesratswahlen 2018

Bei Karin Keller-Sutter ist die Anspannung noch nicht ganz verschwunden.

12:22 Uhr: Ein Familienbild für Viola Amherd

Endlich darf Viola Amherd die Familie sehen! Am Fusse der drei Eidgenossen fällt sie in die Arme ihrer Nichte, mit der sie eine enge Beziehung pflegt: «Das ist ein sehr emotionaler Moment», sagt Lia Amherd, 33. Auch sie ist Mitglied der CVP. Violas Gotte Denise Wasmer, 73, ist ebenfalls nach Bern gekommen: «Wir stehen uns sehr nahe», erzählt sie. Einziger Wermutstropfen: Violas 14 Jahre ältere Schwester Myriam kann an diesem Tag leider nicht dabei sein.

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Viola Amherd mit ihrer Nichte und ihrer Gotte.

12:39 Uhr: Karin Keller-Sutter fällt ihrem Mann um den Hals

Nun kann Karin Keller-Sutter ihrem Mann Morten, 54, um den Hals fallen. Der zurückhaltende Gerichtsmediziner strahlt und auch die drei älteren Brüder der frisch gewählten Bundesrätin gratulieren «Käterli», wie sie sie früher genannt haben. «Es ist wunderbar gelaufen», freut sich Rolf Sutter, 66. Er glaube, dass seine Schwester noch nicht ganz realisiere, was heute passiert sei. «Sie braucht jetzt sicher auch mal Ruhe.» Sie würden sich aber jetzt schon auf ein baldiges Geschwistertreffen freuen. Zuerst gibts aber am Apéro unter der Bundeshauskuppel St. Galler Sammetsuppe, Rehspeck aus Nidwalden, Seelisberger Käse aus Uri und einen Petit Arvine aus dem Wallis - eine Spezialität aus den Kantonen der Bundesratskandidaten.

Bundesratswahlen Viola Amherd und Karin Keller-Sutter

Eine Umarmung von Morten für seine Frau Karin Keller-Sutter.

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13:00 Uhr: Heidi Z'graggen schleicht sich davon

Wann ist der beste Moment zum Abhauen? Genau – wenn die ganze Aufmerksamkeit bei den Siegerinnen ist. Heidi Z’graggen schleicht sich davon, als die neugewählten Bundesrätinnen ihren Triumph feiern. Am Arm ihres Lebenspartners Bruno Dobler schreitet sie Richtung Bahnhof, die Mundwinkel gegen unten, das Paar diskutiert  – ein Moment der Nähe, ein Moment, in dem Z’graggen einfach ganz Mensch ist.

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Heidi Z'graggen und ihr Lebenspartner verlassen den Bundesplatz.

16:02 Uhr: Zu dritt zum Fest

Die beiden FDP-Bundesratskollegen Ignazio Cassis, 57, und Johann Schneider-Ammann, 66, begleiten Karin Keller-Sutter ins Restaurant Zum Äusseren Stand, wo die Partei ihre neue Bundesrätin unter tosendem Applaus empfängt. «Ich ha u huere freud», sagt Präsidentin Petra Gössi. Cassis und Schneider-Ammann stossen zusammen auf Keller-Sutter an, der Tessiner mit Weisswein, der Berner mit Bier. «Ich habe acht Jahre durchgearbeitet, hatte kein freies Wochenende mehr und war nie krank – jetzt ist es Zeit, den Stab abzugeben», sagt Schneider-Ammann. Cassis freut sich derweil auf seine neue Kollegin – und auf drei Frauen im Bundesrat. «Das ist fast wie früher zu Hause mit drei Schwestern!»

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Johann Schneider-Ammann, Karin Keller-Sutter und Ignazio Cassis auf dem Weg zur Feier des Tages.

16:30 Uhr: Für «as Apéro» ist es nie zu spät.

Im Hotel Bellevue neigt sich das Fraktionsessen der CVP dem Ende zu, auf silbernen Tablets werden Weihnachtsgüetzi serviert. Doris Leuthard, Ruth Metzler, Gerhard Pfister –  alle sind da. Nur eine fehlt: die frischgewählte Bundesrätin. Nach der Pressekonferenz ist Viola Amherd abgetaucht. Im Bellevue rechnet man nicht mehr mit ihr. Doch dann kommt sie doch noch! Zwar sind die Güetzi schon abgeräumt. Aber für «as Apéro» ist es nie zu spät.

Viola Amherd Bundesratswahlen 2018

Doris Leuthard und Viola Amherd: Die alte und die neue CVP-Bundesrätin im Bellevue.

Kurt Reichenbach
Jessica Pfister
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Von Jessica Pfister am 5. Dezember 2018 - 19:22 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 11:49 Uhr