«No Billag?» ist bei Orell Füssli an der Zürcher Bahnhofstrasse omnipräsent. Das gleichnamige Buch von SRF Aushängeschild Roger Schawinski füllt mehrere Regale. Olivier Kessler, 31, nimmt es in die Hand, schmunzelt. «Natürlich habe ich es gelesen.» Ein ganzes Kapitel hat ihm Schawinski gewidmet. Überschrift: «Olivier Kessler: Eine bessere Welt». – «Darauf bilde ich mir nichts ein», sagt dieser. «Wir haben als Team die 150 000 Unterschriften erreicht. Ich wollte mich nie in den Vordergrund stellen.»
Bei der Geburtsstunde der «No Billag» im November 2013 ist Kessler, der mit seinem akkurat getrimmten Bart älter wirkt, als er ist, nicht dabei. Damals kommt eine Gruppe von Jungliberalen und jungen SVPlern beim gemeinsamen Bier auf die Idee, die Radiound TV-Gebühren abzuschaffen. Ein Jahr später stösst Kessler dazu. «Ich spürte schon länger, dass die Billag für viele ein Ärgernis ist.»
Für ihn ist klar: «Nicht der Staat soll über den Medienkonsum bestimmen. Die Bürger sollen frei entscheiden, was sie sehen und hören wollen!» Durch seine Auftritte in der SRF-Politsendung «Arena» wird Kessler schnell zum Kopf der Initiative.
«Ich bin ein Fan von Ihnen! Sie haben das Monster SRF in die Knie gezwungen!», sagt ein Mann mittleren Alters und steckt Kessler das «No Billag?»-Buch in die Hand. «Können Sie mir hier unterschreiben!» Kessler strahlt, bedankt sich mit Händedruck. Der «Radikale», wie ihn der «Tagesanzeiger» 2015 nennt, tritt auf wie der perfekte Schwiegersohn: höflich, eloquent, charmant.
Seiner Frau, mit der er seit zwei Jahren verheiratet ist und im aargauischen Oberlunkhofen lebt, schenkt er regelmässig Blumen. «Das hält die Liebe frisch und zeigt ihr, wie sehr ich sie schätze.» Gerade jetzt, wo sein Privatleben zu kurz komme. Kessler arbeitet 100 Prozent als Vizedirektor des Liberalen Institutes in Zürich. Bei der Denkfabrik für «freiheitliche Ideen» verfasst er unter anderem Beiträge für das hauseigene Magazin und erarbeitet Studien. «Das Engagement für die ‹No Billag› ist ehrenamtlich. Dafür arbeite ich oft bis in die Nacht»
Kessler wuchs als älterer von zwei Brüdern in Wollerau SZ am Zürichsee auf. Sein Vater – heute pensioniert – arbeitete auf der Bank. Seine Mutter kümmerte sich in der Gemeinde um ältere Menschen. Politisiert worden ist Olivier aber nicht am Stubentisch. «Klar haben wir mal die ‹Arena› geschaut, aber sonst war Politik kein Thema.»
Er habe viel gelesen, etwa Bücher über den Zweiten Weltkrieg oder die ehemalige Sowjetunion. Diese festigten seine Überzeugung: «Der Sozialismus, egal, ob ein brauner oder roter, ist schlecht für die Gesellschaft.» Was zähle, seien individuelle Freiheit und Menschenrechte.
Politisch geprägt hat Kessler auch ein Erlebnis an seinem 14. Geburtstag. Er und Freunde werden von Jugendlichen angerempelt. «Sie fragten, ob wir Schweizer sind. Als wir Ja sagten, schlugen sie zu.» Zu einer Anzeige kommt es nicht. «Als wir der Polizei die Angreifer als Männer mit ausländischem Akzent beschrieben, hiess es: Das ist rassistisch.»
Kessler tritt der SVP bei, wird Generalsekretär in seinem Heimatkanton. Sacha Reichmuth, Geschäftsleiter der SP Wollerau erinnert sich: «Kessler schrieb fast jede Woche einen Leserbrief an die Lokalzeitung. Diese waren scharfzüngig und ultrarechts.» Beeindruckt vom «jungen Burscht» war hingegen der heutige Schwyzer SVP-Ständerat Peter Föhn: «Kessler hatte früh das Gespür, wo es politisch hingeht.»
Während des Studiums International Affairs & Governance an der Uni St. Gallen reist Kessler durch die Welt: Iran, China, USA. Auf eigene Faust oder in einer Reisegruppe. «Die Erfahrungen haben mich die Schweiz noch mehr schätzen gelehrt.»
So viel Staat wie nötig, so viel Freiheit wie möglich
Nach seinem Master heuert er als Chefredaktor der konservativen Zeitung «Schweizerzeit» an. Obwohl das Engagement wegen Differenzen mit Herausgeber und SVP-Urgestein Ulrich Schlüer nach zwei Jahren endet, zieht Kessler ein positives Fazit. Dank der Zeitung habe er Bücher von liberalen Denkern wie Roland Baader entdeckt. Dieser predigt: So viel Staat wie nötig, so viel Freiheit wie möglich. Sich selber sieht Kessler denn auch als «liberalen Überzeugungstäter».
Ich schaue SRF! Für die ‹Arena› oder Fussball-Länderspiele würde ich auch zahlen
Aus der SVP ist Kessler inzwischen ausgetreten. Er kritisiert die Subventionen für die Bauern als «verstaatlichte Lebensmittelversorgung». Der Markt werde es auch bei einem Ja zu «No Billag» richten. «Es gibt genug Möglichkeiten, Sendungen, die beim Publikum beliebt sind, zu finanzieren – per Sponsoring, Werbung oder Abo.» Zu Hause in Oberlunkhofen schaut Kessler Dokus oder Netflix-Serien wie «House of Cards». «Ich konsumiere auch SRF – etwa Fussball-Länderspiele oder die ‹Arena›.» Für diese Formate würde er auch zahlen.
Abschalten könne er aber besser in der Natur, beim Kühestreicheln auf Spaziergängen mit seiner Frau oder beim Lesen von Sachbüchern wie aktuell über das Thema Glück. Für die Abstimmung vom 4. März brauche er keins. «Dass die ganze Schweiz über Sinn und Unsinn der Billag-Zwangsgebühr diskutiert, ist für uns schon ein kleiner Sieg.»