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Zum Tod von Chester Bennington

Über Suizid reden ist wichtig – nicht sterben ist wichtiger

Am Donnerstag, 20. Juli, nahm sich Chester Bennington, † 41, das Leben. Viele sind schockiert, denn der Sänger schien seine psychischen Erkrankungen in den Griff bekommen zu haben. Unsere Redaktorin fragt sich: Was bringt es, wenn Stars nur über jene Probleme sprechen, die sie vermeintlich überwunden haben?

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Chester Benningtion, Sänger der Band Linkin Park, nahm sich am 20. Juli 2017 das Leben

Chester Bennington wie man ihn meistens sah. Auf der Bühne. Tief in seiner Musik. Als brülle er all seinen Schmerz ins Mikro.

Getty Images

Chester Bennington redete viel und offen über seine Traumata: Seine Familie zerbrach früh, die Mutter verliess ihn, er wurde Opfer von sexuellem Missbrauch, kämpfte mit Depressionen und Abhängigkeit. 

Ein Kampf, den er nun verlor. 

Kranker Kopf, genialer Songwriter

Benningtons Geister waren die Masterminds hinter dem Sound von Linkin Park. Gemeinsam mit Mike Shinoda schrieb er in den 90er und 00er Jahren einen Grossteil der Songs auf den Alben «Meteora» und «Hybrid Theory». 

Mit Textzeilen wie: «Ich habe es so sehr probiert und so weit gebracht. Aber am Ende ist das alles egal», fasste der Sänger seine Dunkelheit in Worte.

Das Publikum liebt den zerstörerischen Schmerz psychisch kranker Künstler

Jeder, der Chester Bennington je live gesehen hat, würde nie daran zweifeln, dass er jedes Wort meinte und durchlebte.

Wie ein Besessener nahm er die Bühne ein, brüllte seinen Schmerz verzweifelt ins Publikum. Das ihm dafür zujubelte. Das einem Kranken applaudierte. 

Suizid kommt selten wirklich überraschend

Als gestern, am Donnerstag, bekannt wurde, dass der 41-Jährige Suizid begangen hat, standen erneut viele unter Schock. Wie schon bei Chris Cornell, † 51, Robin Williams, † 63 oder Kurt Cobain, † 27. 

All diese Künstler gingen offen mit ihren Geistern um. Bei allen schien es, als seien sie wieder gesund. Denn sie alle sprachen öffentlich in der Vergangenheitsform über ihre Krankheiten. «Hatte», «konnte», «war». Und trotzdem begingen sie alle Selbstmord.

«Ich wollte nichts mehr fühlen»

In einem Interview aus dem Jahr 2015 im Magazin «Rock Sound» beschrieb Chester Bennington seine dunklen Zeiten so«Ich hasste mein Leben. Ich wollte keine Gefühle mehr haben, ein Soziopat sein. Nichts mehr tun, mich nicht darum kümmern, wie sich andere Menschen fühlen. Ich wollte nichts fühlen!» 

Warum gerade jetzt?

Und da ist es wieder — das Präteritum. Der Blick zurück auf dunkle Zeiten, die so mancher Künstler vermeintlich hinter sich gelassen hat. 

Eine Vergangenheitsform, die uns Fans glücklich macht. Denn wer gesund ist, wer sich nicht umbringt, kann neue Alben produzieren. Wir wähnen uns in einer Wattewolke, in der unser Star keine Probleme mehr hat: «Er hat schliesslich darüber geredet, das neue Album ist draussen, er geht auf Tour, es geht ihm gut.»

Suizid ist einfacher als Zähneputzen

Leider ist es genau der Zeitpunkt, der uns Sorge bereiten müsste. Denn Suizid braucht Energie. Dunkle Energie. Menschen, die in einer tiefen Depression stecken, können oft nicht einmal aufstehen und sich die Zähne putzen. 

Und genau darum passiert es nur allzu häufig, dass jemand, der auf dem Weg der Besserung scheint, seinem Leben unerwartet ein Ende setzt. Denn die Besserung der Depression bedeutet, dass der Kranke mehr Energie hat. Auch mehr Energie, um aus dem Leben scheiden zu können.

Aufklären ist wichtig, nicht sterben ist wichtiger

Bennington, Cornell oder auch Robin Williams sind dem Tod das ein oder andere Mal von der Schippe gesprungen, sie alle haben schon vorher versucht, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Darüber sprachen sie offen. Und es ist gut und wichtig, dass Prominente ihre Vorbildfunktion nutzen und ihre psychischen Krankheiten thematisieren.

Es ist aber noch viel wichtiger, dass sie nicht sterben. Sich früh genug Hilfe holen und über den langen Weg zur psychischen Gesundheit öffentlich sprechen. Laut und deutlich. 

Denn nur lebend können sie Vorbild für den Kampf gegen die bösen Geister im Kopf bleiben. Wie Robin Williams so schön sagte:

Selbstmord ist die endgültige Lösung für ein temporäres Problem.

Hier erhalten Sie Hilfe:

SI online berichtet üblicherweise nicht über Suizide, um Nachahmereffekte zu vermeiden — es sei denn, ein Fall erhält durch besondere Umstände besondere Aufmerksamkeit.
Sind Sie selbst psychisch erkrankt oder hegen Selbstmordgedanken? Wenden Sie sich umgehend an die Dargebotene Hand.
Ein Gespräch hilft oft weiter! Rufen Sie jederzeit anonym die Nummer 143 an oder informieren Sie sich hier: https://www.143.ch/

Von Berit-Silja Gründlers am 21. Juli 2017 - 16:25 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 13:42 Uhr