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Adipositas: Alexandra Baumann joggt & bloggt für ein bewegtes Leben

«Ich kämpfe gegen meinen inneren Schweinehund!»

Wenn Alexandra Baumann durch den Wald joggt, gibt es immer irgendwelche Kommentare - positive und negative. Trotz starkem Übergewicht bewegt sie sich regelmässig und sagt: «Das erste Mal in Sportkleidung vor die Tür brauchte extreme Überwindung!»

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Alexandra Baumann

Die Pizza auf dem Sofa hat Alexandra Baumann gegen Hanteln getauscht - und bloggt darüber.

Marcel Nöcker

Die schrägen Seitenblicke der Leute sind für sie unangenehmer als jeder Muskelkater. An ihn hat sich Alexandra Baumann langsam gewöhnt, wenn sie einen Sieben-Kilometer-Lauf hinter sich hat. Er geht irgendwann vorbei. Die Vorurteile hingegen begleiten sie Tag für Tag. «Wenn man übergewichtig ist, trauen einem die Leute viel weniger zu. Gerade wenn es um Sport geht», sagt die 36-Jährige aus Langnau am Albis. Sie möchte sich selbst und allen anderen beweisen: «Jeder kann sich bewegen, egal, wie schwer man ist.»


Alexandra Baumann ist der beste Beweis dafür. Vor zwei Jahren hat sie die Pizza auf dem Sofa gegen Lauftrainings im Wald getauscht. «Das erste Mal brauchte extreme Überwindung.» Nur schon in Sportkleidung vor die Tür gehen, wo einen jeder sehen kann, war eine Herausforderung. «Ich dachte, alle schauen mich an.» Getraut hat sie sich damals nur, weil ihre Freundin Karma Rongpo mitmachte. Die beiden Frauen haben sich das Ziel gesetzt, den Sihltaler-Lauf zu meistern. Um die Vorbereitungszeit von drei Monaten durchzuhalten, starteten sie den Blog «Run Couchpotatoes Run». «Der Druck erhöhte sich dadurch, und ich konnte nicht so einfach aufgeben», sagt die Journalistin und Texterin.

Im Februar 2012 war es dann tatsächlich so weit: der erste Lauf - fünf Kilometer Anstrengung. Alexandra Baumann geniesst die spezielle Atmosphäre auf dem Gelände, spürt aber einmal mehr die vielen Blicke. «Erst wenn ich jeweils an der Startlinie stehe, merken die Leute, dass ich nicht einfach nur Zuschauer bin», sagt sie und lacht. Obwohl sie schon nach einem Kilometer Seitenstechen bekommt - «ich machte den typischen Anfängerfehler und wollte mit dem Feld mithalten» -, hält sie durch und schafft es, die Ziellinie innerhalb einer Stunde zu durchlaufen.


Ihr Blog hat schon bald eine treue Leserschaft. Viele feuern sie an, manche werden von ihr inspiriert und fangen selber mit Sport an. «Das ist eigentlich das Ziel des Blogs», sagt Alexandra Baumann. Sie beschliesst weiterzumachen. Obwohl sie sich gelegentlich überwinden muss, so viel Persönliches preiszugeben. Denn neben ihren Erfolgen schreibt sie auch von ihren Ängsten oder ihrem Frust. Zum Beispiel, dass an manchen Läufen nicht einmal ein passendes T-Shirt zur Verfügung gestellt wird, weil die Veranstalter behaupten, in dieser Grösse sei das unmöglich. Oder dass man ihr sogar einmal die Markierungen vor der Nase entfernte, weil sie die Letzte war.

Was Alexandra allerdings nach wie vor für sich behält, ist ihr Gewicht. «Nicht einmal meine Mutter weiss es», sagt sie. «Es gibt nebst meinem Arzt nur ganz wenige Personen, die das wissen. Es soll auf dem Blog auch nicht um meine Kilos gehen. Sondern darum, wie sich die Bewegung positiv auf mein Leben auswirkt.» Klar ist: Für einen gesunden Bodymassindex müsste sie um die Hälfte ihres jetzigen Gewichts abnehmen. Seit sie Sport treibt, fühlt sie sich viel besser - mental und körperlich. Die Tabletten gegen den Bluthochdruck konnte sie absetzen, und auch die Blutwerte regulierten sich innerhalb kürzester Zeit, sodass die bereits vorliegende Vorstufe zu Diabetes kein Thema mehr ist.


Trotzdem: «Ich bin relativ brutal auf die Welt gekommen. Auf der Waage passierte nichts, obwohl ich viel mehr Sport machte als vorher.» Deshalb hat Alexandra Baumann vor einem Monat auch noch die Ernährung umgestellt: Das Ziel wären drei selber zubereitete Mahlzeiten am Tag, keine Snacks zwischendurch und keine Kohlehydrate am Abend. «Im Moment geht es. Ob es wirklich funktioniert, sehe ich dann erst in ein paar Monaten.» Eine Operation kommt für Alexandra Baumann zurzeit nicht infrage. «Ich habe nicht das Gefühl, dass ich schon alles probiert habe. Und ich habe auch Angst vor dem Eingriff.» Für sie ist es ganz wichtig, mental etwas zu verändern. Darum motiviert Alexandra sich jeden Tag aufs Neue. An ihrem Wohnzimmerschrank hängen die Startnummern von etlichen Läufen, im Badezimmer muntert sie die Postkarte mit dem Spruch «Ein neues Leben kannst du nicht anfangen - aber täglich einen neuen Tag» auf, und am Kühlschrank posiert ein kurviges Model im roten Abendkleid.

Seit einem Monat wird Alexandra Baumann von einem Fitnessinstruktor unterstützt. Er leitet auch die wöchentlichen Sportkurse von «Run Couchpotatoes Run». In Fitnesscentern fühlt sich Alexandra nicht wohl, «das muss ich mir nicht geben». Lieber trainiert sie mit Gleichgesinnten draussen an der frischen Luft. Zwar gibts auch dort Kommentare: Die positiven kommen meist von Joggern oder Bikern, die an ihnen vorbeidüsen. Die negativen von Personen, die auf einem Bänkli sitzen und ein Schoggistängeli essen.

Sportkurs von «Run Couchpotatoes Run»
Jeden Samstag trainiert die kleine Gruppe (max. acht Teilnehmer) unter fachlicher Anleitung in Zürich – im Sommer draussen, im Winter drinnen. Interessierte sind herzlich willkommen.
Infos: www.runcouchpotatoesrun.com

Von Lisa Merz am 4. Dezember 2014 - 04:00 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 16:41 Uhr