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Andreas Neeser

Der Sommerdichter

Andreas Neeser bleiben gerade mal SECHS WOCHEN im Jahr fürs Schreiben. Jetzt legt er sein neuestes Werk vor.

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Der Schriftsteller Andreas Neeser im Garten des Aargauer Literaturhauses in Lenzburg
Willy Spiller

Der Schriftsteller spiegelt sich im Dunkel des Teichs. Im Wasser schwimmt eine vom Wind gebrochene Lilie. Eine Idylle? Wer weiss. «Unsicherer Grund» heisst der jüngste Band des Aargauer Schriftstellers Andreas Neeser, 46. Sinnliche, poetische und hellwache Erzählungen. Doch dafür brauchte er mehrere Jahre. Im Gegensatz zu «No alles gliich wie morn», das er im letzten Sommer schrieb. «Ich muss mir die Zeit für meine Literatur abringen», erklärt der Ruedertaler.

Denn am 4. 4. 2004 punkt vier Uhr hat der studierte Germanist die Leitung des Aargauer Literaturhauses übernommen. Inzwischen ist das «Müllerhaus» zu einem Mekka des Wortes geworden. Neeser füllt die Räume mit Sprache. Lässt Junge in eigener Regie Kultur machen. Fördert das Schreiben und Lesen von den Kleinsten bis zu den Erwachsenen. Ein Job, den er mit Herzblut ausübt. Doch im Innersten ist er ein Dichter. Seinen Erstling, den Roman «Schattensprünge», schrieb Neeser 1995. Danach publizierte er mehrere Gedichtbände, ein Klangbuch zusammen mit einem Cellisten oder schrieb Texte für eine Produktion der Tanzcompagnie Flamencos en route.

Im letzten Sommer wagte er sich erstmals an ein Werk in Mundart. «Die Sprache meiner Kindheit drängte sich mir richtiggehend auf.» Neesers Ur-Vokabular beschwor Jugenderinnerungen herauf. «Chnuuschte», «chääre», «bäägge», «muule», «Rätschibääse», «Süffel», «Ploderi», «Schlötterlig». «Es sind Wörter, die man im Mund spürt, die Bilder schaffen.» Die Erzählungen in «No alles gliich wie morn» sind eindringlich. Der luftigleichte Rhythmus der Texte mischt sich mit der erdigen Chuscht der Mundart.

Neeser ist aber auch ein genauer Beobachter. In «Unsicherer Grund» schreibt der Autor von Zeitgenossen wie dem Büchersammler Honegger, der seine Mutter durch sein ganzes Leben schleppt. Über ihren Tod hinaus. Bis ihn eine Nachricht an der Türe eines Antiquariats wachrüttelt. Ihn daran erinnert, dass er verheiratet ist. Mit Ina, die seine Mutter pflegte und «danach» auf einen Neuanfang mit ihm hofft. Da gibt es aber auch den Immobilienmakler, den Stadtstreuner, den Klippenwanderer, den Fussballer. Alle sind sie auf der Suche. Wollen sich orientieren, dem Leben öffnen. Und halten sich fest an Fäden, die in die Vergangenheit führen. Doch: «In unserer Erinnerung gibt es schwarze Löcher», gibt Neeser zu bedenken. «Da befindet man sich schnell auf unsicherem Grund. Weiss nie, bricht man ein oder nicht.» Auch als Leser. Denn bewusst schafft der mehrfach ausgezeichnete Schriftsteller in seinen Texten Lücken. «Ich will dem Leser die Chance geben, diese mit eigenem Erlebten zu füllen.»

Ab August ist Andreas Neesers Kopf wieder frei fürs eigene Schaffen: Die Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr ehrt den Autor mit einem Stipendium in Berlin. Sechs Monate lang. Eine Sommerpause, die für einmal bis in den Winter dauert. Und in der ein zweiter Roman entstehen soll.

Von Isolde Schaffter-Wieland am 26. Juni 2010 - 14:42 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 19:44 Uhr