Er war fünfmaliger NBA-Champion, 18-maliger NBA-All-Star, skorte mehr Punkte als Michael Jordan: vor vier Jahren beendete Lakers-Star Kobe Bryant eine der grössten Basketball-Karrieren aller Zeiten.
Die «Black Mamba», so sein Spitzname, machte nach über 1300 Einsätzen allein im regulären Teil des Spielplans und weiteren 220 Playoff-Begegnungen Schluss.
Einmal müsse schliesslich fertig sein, sagte der Mann, der zwanzig Jahre lang im globalen Rahmen so etwas wie das Gesicht der NBA war, fünfmal die Meisterschaft gewann, achtzehnmal im All-Star-Team der Western Conference und bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 und in London 2012 jeweils in der Goldmedaillen-Mannschaft der Amerikaner stand, damals. «Ich habe damit meinen Frieden geschlossen».
Die Leidenschaft für den Sport hat Kobe Bryant von seinem Vater. Dieser zog mit der Familie durch Europa – und machte auch in Basel halt, wo Kobe zur Schule ging, wie die «Tageswoche» aus Anlass von Bryants Rücktritt vor vier Jahren schrieb.
Wie kams? Nachdem Joe Bryant acht Jahre in der NBA bei den Philadelphia 76ers gespielt und an der Seite des legendären Julius «Dr. J.» Erving die NBA-Finals erreicht hatte, suchte Kobes Vater den Weg nach Italien. In den Jahren 1984 bis 1991 zog Joe «Jelly Bean» Bryant mit seinen basketballerischen Talenten von Rieti über Kalabrien und Pistoia nach Reggio nell’Emilia. Danach gings für die Familie mehrere Hundert Kilometer nach Norden. Vater Bryant schloss sich dem FC Mulhouse Basket an.
Die Familie: Das waren nebst Joe dessen Ehefrau Pam und die drei Kinder Sharia, Shaya – und Kobe. Weil die Kinder aber zu alt waren, um in sämtlichen Fächern auf Französisch einzusteigen, und vielleicht auch deswegen, weil eine Heimkehr in die USA bereits im Hinterkopf war, sollten Sharia, Shaya und Kobe in dieser Zeit eine englischsprachige Schule besuchen. Diese fanden die Bryants in Bottmingen. Die International School Basel mietete sich zu Beginn der 1990er-Jahre im Schulhaus Burggarten in Bottmingen ein.
Für Kobe bedeutete das einen fast zweistündigen Schulweg. Lloyd Hacker begann damals seine berufliche Laufbahn als Science-Lehrer an der International School Basel. Und noch heute wird er von seinen Schülern gefragt, ob es wirklich stimme, dass er Kobe unterrichtet habe. Tatsächlich erinnert sich der Lehrer nur noch vage an Kobe. «Ich habe ihn nur ein bis zwei Monate unterrichtet – und das vor 25 Jahren», erzählte Hacker 2016, «aber ich kann mich erinnern, dass er ein angenehmer Mensch war, ein ‹gentle giant›.»
Was nach der Heimkehr der Bryants in die USA kam, ist den Basketball-Fans bestens bekannt. Nachdem er den NBA-Scouts an der Lower Marion High School in Pennsylvania aufgefallen war, wurde Kobe als jüngster Spieler aller Zeiten und als erster Spieler direkt von der High School in die NBA gedraftet. Ab 1996 an war er dann ausschliesslich für die Los Angeles Lakers im Einsatz, die ihm dafür im Laufe der Zeit für seine Dienste mehr als 320 Millionen Dollar überwiesen.
Ein ruhmloses Kapitel schrieb der Sportler 2005, als es zu einem Vergewaltigungsprozess in Colorado kam, der sein Eingeständnis zutage förderte, dass er – obwohl verheiratet – auf Reisen seinen Starbonus gegenüber jüngeren weiblichen Hotelangestellten ausspielte. Der Fall wurde allerdings nie bis ins letzte Detail aufgeklärt, weil die Klägerin im Laufe des Verfahrens lieber eine aussergerichtliche Einigung und einen stattlichen Schadenersatzbetrag von Bryant akzeptierte.
Weshalb in seinem Persönlichkeitsprofil der Skandal heute allenfalls als kleiner Punkt unter ferner liefen auftaucht. Genauso wie der Vorwurf seines ehemaligen Trainers Phil Jackson, wonach der Basketballer Bryant zu eigensinnig und deshalb nicht trainierbar war. Jackson verglich ihn gern mit einem anderen Alpha-Typen, mit dem er es vorher bei den Chicago Bulls zu tun gehabt hatte. Mit Michael Jordan, der jedoch sehr viel einsichtiger war und sich von seinem Coach überzeugen liess, dass man in diesem rasanten Mannschaftsspiel nur dann Titel gewinnen kann, wenn man seinen Mitspielern etwas zutraut und nicht ständig versucht, ausschliesslich sich selbst zu inszenieren.
Keiner konnte die beiden vergleichen. «Michael war stärker, hatte breitere Schultern und eine kräftigere Statur», schrieb Jackson in seinen Memoiren, der als erfolgreichster Coach in der Geschichte der NBA heute bei den New York Knicks als Manager arbeitet. Ausserdem habe Jordan Führungsqualitäten besessen, mit denen er «auf meisterliche Weise das emotionale Klima einer Mannschaft einfach nur durch seine Anwesenheit kontrolliert» habe. Bryant hingegen fehlte dieses Gen und tickte anders. «Er wollte der grösste Basketballer aller Zeiten werden. Und er war sicher, dass er ganz genau wusste, was er tun musste, um das zu schaffen. Weshalb sollte er da irgendjemandem auch nur zuhören?»
Besonders einer wie dieser athletische und artistische Typ, der stets wusste, wie ganz gewöhnliche Basketballanhänger die Sportnachrichten im Fernsehen konsumierten. Dort zeigt man am liebsten spektakuläre Einzelleistungen – die sogenannten Highlights. Und Bryant lieferte derlei jahrelang fast jeden Abend: beim weiten Flug zum runden roten Ring über die Köpfe der wehrlosen Verteidiger hinweg. Oder bei Zirkuseinlagen wie Korblegern mit anderthalbfacher Schraube, bei denen der Ball noch von einer Hand in die andere wechselt, ehe er endgültig im Netz versinkt.
Dieser monatelange Abgang zeigt übrigens überdeutlich, dass im amerikanischen Sport die Betonung längst nicht mehr auf «Sport» und schon gar auf «Mannschaft» liegt. Es geht hauptsächlich um eine neue Form der Heldenverehrung. Bestärkt von Bryants Gedankengut («Ich habe Abende, an denen ich in die Halle komme und denke: Mein Rücken tut weh, meine Füsse tun weh, meine Knie tun weh. Das bringe ich nicht mehr. Ich will einfach meine Ruhe haben. Aber davor kapitulierst du nicht. Das akzeptierst du und wächst über dich hinaus.») und unterfüttert von Aussagen wie der seines Trainers Byron Scott: «Er ist der Letzte einer aussterbenden Sorte. Er gibt jeden Abend alles.»
Und manchmal sogar noch mehr. Wie etwa in jener Zeit, als er die Rivalität mit seinem Mannschaftskollegen Shaquille O’Neal als eine kleine Profilneurose auslebte, die zum Stil eines egozentrischen Solisten passte. Bryant gewann übrigens damals den internen Wettbewerb und ekelte den überragenden Center aus dem Team. Auch weil er ihm vorwarf, nicht die richtige Arbeitseinstellung zu haben. Im Rückblick sagt O’Neal heute: «Für ihn ging es immer darum, mal auf die grosse Statistiktafel zu schauen und zu sagen: ‹Da bin ich. Bla, bla, bla. Und Michael Jordan ist unter mir.›»
So ganz nebenbei verkörperte Bryant dabei einen Typ, wie man ihn häufiger im amerikanischen Spitzensport findet. Der Athlet, der ganz genau weiss, wie man die Aussendarstellung am besten vorantreibt: wenn die eigenen Auftritte und Deklamationen eine Mischung aus Überheblichkeit und Selbstironie ausstrahlen. So wie in den Zeilen, mit denen Bryant seinen Abschied ankündigte: «Lieber Basketball. Ich bin so weit und kann dich loslassen. Ich will, dass du das weisst, damit wir beide jeden Augenblick geniessen können, den wir noch zusammen haben.»
Begleitet war das Ganze von einem Gedicht – 52 Zeilen, keine metrische Regelmässigkeit, keine Reime –, mit dem sich allen Ernstes gleich anschliessend sogar Lyrik-Experten beschäftigten. Dabei sollte man Bryants schreiberische Ambitionen wohl eher aus dem psychologischen Blickwinkel betrachten. Eine «obsessive Persönlichkeit» käme in den Zeilen durch, merkte etwa die «New York Times» an, und nicht ein begnadeter Zeilenschmied.
Es fehlt wohl an Erfahrung. Abgesehen von einem kurzen Flirt mit 21 als Musiker mit dem Hip-Hop-Genre, als er den Song «K.O.B.E» veröffentlichte, hat der vielsprachige Basketballstar, der gern auf Italienisch parliert – nur wenige Belege in Sachen Literatur hinterlassen. Anregende Bücher, die Ex-Trainer Jackson seinen Spielern zu schenken pflegte, landeten meistens auf dem Stapel «ungelesen». Weshalb man sich nicht wunderte, dass etwa einer Lyrikern wie Jane Yeh auffiel, wie klischeelastig das Gedicht ausgefallen war. «Er benutzt Denken, Körper, Geist, Herz. Das sind in der Poesie absolute No-Gos.»
Den meisten seiner Anhänger war das allerdings egal: Für sie zählte schon immer nur eine Form der Kreativität. Die auf dem Platz. Und so werden sie Kobe Bryant nun auch nach seinem Tod in Erinnerung behalten: Als Basketball-Genie.