Das Bild, das auf dem Polizeiposten des Jupiter Police Department in Florida in der Nacht auf den 29. Mai 2017 entsteht, zeigt ein Gesicht mit geschwollenen Augen und weggetretenem Blick, der ins Nichts starrt. Es ist seitdem um die Welt gegangen.
Genauso wie das Video aus der Arrestzelle, wo ein Mann, müde und schleppend, barfuss und in Handschellen, die Fragen der Ordnungshüter zu beantworten versucht. Eine Streife hat ihn kurz vorher schlafend am Strassenrand in seinem Auto aufgegabelt. Verdacht: Trunkenheit am Steuer.
Der Vorwurf selbst ist strafrechtlich vergleichsweise harmlos und wird später einen Schuldspruch auf Fahrlässigkeit am Steuer ergeben. Mit einer Strafe auf ein Jahr Bewährung. Denn niemand ist zu Schaden gekommen. Ausser dem öffentlichen Image des Überführten, das den Verdacht nährt: Ist der steinreiche Golfprofi Eldrick Tiger Woods am Ende?
Glück pur: Woods feiert vergangenen Sonntag mit seiner Familie den 15. Major-Sieg. Drei fehlen zum Rekord.
2019 Getty ImagesWas für ein Kontrast zu dem Bild, das am vergangenen Sonntag, keine zwei Jahre später, denselben Mann im Augenblick seines für unmöglich gehaltenen Triumphs zeigt. Da steht er auf dem 18. Grün eines der exklusivsten Golfplätze der Welt, schreit sich die Kehle heiser, reisst die Arme hoch und umarmt ein paar Minuten später seine beiden Kinder Samantha, 12, und Charlie, 10, seine Mutter Tilda und Lebensgefährtin Erica.
Tiger Woods, 43, hat das vielleicht beeindruckendste Comeback der Sportgeschichte geschafft und das Masters gewonnen. Endlich darf er allen Emotionen freien Lauf lassen. «Meine Kinder an exakt jener Stelle in die Arme schliessen zu dürfen, an der vor 22 Jahren auch mein Vater mich in die Arme geschlossen hat, bedeutet mir alles!», sagt er mit Tränen in den Augen in die TV-Kamera.
Und natürlich nimmt die ganze Welt auch jetzt Anteil. «Es herrscht wieder Tiger-Mania», lautet eine der häufigsten Schlagzeilen tags darauf in Zeitungen rund um die Welt. Und sie verdichtet die Faszination der Massen für diesen Mann auf dessen schlichten Kern.
Déjà-vu: Am Ort, wo Tiger 2019 mit seinen Liebsten jubelt, umarmt ihn beim ersten Sieg 1997 Vater Earl.
Sports Illustrated/Getty ImagesDas geht im Grund seit 40 Jahren so, seit sein Vater Earl den Zweijährigen im Fernsehen als golfendes Wunderkind präsentiert, das die früh geschürten Erwartungen später vollauf bestätigt. 1997 gewinnt Tiger in Augusta sein erstes Masters und dominiert zehn Jahre lang die Turniere der Profis.
Er treibt die Einschaltquoten im Fernsehen hoch, sorgt für eine Verdoppelung des Preisgelds für die gesamte Zunft und erzielt – vor allem durch hoch dotierte Werbeverträge mit Weltfirmen wie Nike oder American Express – Einnahmen, die laut Schätzungen des Wirtschaftsmagazins «Forbes» bei über einer Milliarde Franken brutto liegen.
Schmerzen: In Jersey City bricht Tiger 2013 auf einer Turnierrunde zusammen. Der Rücken!
Sports Illustrated/Getty ImagesDer Sohn von Earl Woods, dem schwarzen ehemaligen Offizier der US-Armee, und der Thailänderin Kultida, wird zum Symbol einer Sportart, die durch ihn ihre exklusive, rein weisse Vergangenheit ablegen und sich neuen Zielgruppen zuwenden kann.
Wenn auch die Prognose des Vaters Ende der 90er-Jahre etwas sehr gewagt tönt: «Tiger wird mehr als irgendjemand sonst in der Geschichte den Lauf der Menschheit beeinflussen.»
Earl Woods sollte zu seinem Glück nicht mehr erleben, wie sein Sohn vom glanzvoll wirkenden Weg abkommt. Verheiratet mit einer attraktiven Schwedin und Vater zweier Kinder, wird Tiger 2009 als Sex-Maniac geoutet, der sich wahllos mit über hundert Frauen vergnügte.
Er geht in eine Spezialklinik für Sexsucht und ordnet notgedrungen sein Leben neu. Denn seine Frau Elin Nordegren, die ihn nach Bekanntwerden der Affären mit einem Golfschläger aus dem gemeinsamen Haus gejagt hat, besteht auf Scheidung. Und so, wie sich diverse Sponsoren von Woods abwenden, distanzieren sich viele Freunde vom einst Hochgelobten. Auch der Schweizer Tennisstar Roger Federer, der in Woods einen Kumpel auf Augenhöhe gefunden hatte, lässt sich nicht mehr mit dem gefallenen Golfstar blicken.
Freundschaft oder nur PR? Tiger besucht Tennisstar Roger Federer nach dessen US-Open-Sieg 2006 in der Player’s Lounge von Flushing Meadows.
2006 Getty ImagesEin bisschen Frieden scheint er 2013 gefunden zu haben, als er die Beziehung zur amerikanischen Ski-Schönheit Lindsey Vonn, 34, bekanntgibt. Ausgerechnet zu jener Frau, die ihn wenige Jahre zuvor wegen seiner Sexsucht öffentlich verspottet hat.
Das Ganze währt zwar nur zwei Jahre, hat aber immerhin einen Effekt: Es rückt das Image des Golfspielers gerade. Bloss muss dieser anschliessend den Kampf mit einem neuen Gegner aufnehmen: mit seinem geschundenen Körper.
Wegen schwerer Schmerzen beginnt Tiger starke Medikamente zu nehmen – und landet aufgrund der Nebenwirkungen in jener denkwürdigen Nacht 2017 unweit seines Luxusanwesens in Jupiter, Florida, in Gewahrsam der Polizei.
Promi-Paar: Tiger 2013 mit Lindsey Vonn an einer Gala. Mit dem Skistar ist er zwei Jahre lang liiert.
2013 Getty ImagesSeitdem ist ein kleines Wunder geschehen. Woods erlebt nach mehreren Operationen, darunter einer Wirbelkörperverblockung im unteren Rücken, einen zweiten Frühling in seiner Karriere. Ende 2017 bei der Rückkehr zum aktiven Sport noch im Ranglistencomputer auf dem 668. Platz, klettert er seitdem wieder nach oben.
Als er zum Schluss der letzten Saison gegen stärkste Konkurrenz die Tour Championship gewinnt, zeigt er, dass man wieder mit ihm rechnen muss. Aktueller Platz in der Rangliste: Nummer 6. Die Spitzenposition, die er jahrelang in Beschlag genommen hatte, ist in Sichtweite.
Nur wenige hätten seit Woods’ Rückkehr erwartet, dass seine körperliche Fitness, die er sich in stundenlangen Sessions im Fitnessraum antrainiert, und seine mentale Stärke für ein so strapaziöses Programm ausreichen wie das Masters. Für einen von diesen hat es sich ausbezahlt: Ein Amerikaner setzte in Las Vegas 85 000 Dollar auf den Tiger und gewann 1,2 Millionen – der höchste Einzelgewinn der Geschichte mit einer Golfwette.
Tiefstpunkt: Am 29. Mai 2017 verhaftet die Polizei Woods in Florida, nachdem sie ihn, unter Drogen und Alkohol stehend, im Auto aufgefunden hat. Der Mugshot geht anschliessend um die Welt.
(c) DukasAuch Tiger Woods hat sich den sportlichen Jackpot beschert. «Das hätte heute nicht drastischer ablaufen können», sagte er nach dem Sieg und grinste: «Jetzt weiss ich auch, warum mir die Haare ausgehen.» Tatsächlich verbirgt Woods unter seinem Käppi die deutlichen Zeichen einer Halbglatze auf dem Hinterkopf.
Seine neue Lebensgefährtin Erica Herman, 35, scheint diese Alterserscheinung nicht zu stören. Die beiden sind seit September 2017 ein glückliches Paar. Woods lernte die 33-Jährige kennen, als sie als Managerin sein Restaurant namens The Woods Jupiter leitete. Es ist symbolhaft: Tiger Woods ist der Hölle entkommen und dem Himmel wieder ganz nahe.