Da, wo die Schweiz am internationalsten ist und endet, im Dreiländereck im Basler Rheinhafen, steht zwischen einer lärmigen Metallverwertungsanlage und einem lauschigen Pier für Ausflugsschiffe ein mächtiger grüner Klotz. Seit 20 Jahren ist in diesem umgebauten Werftgebäude Onorio Mansutti, 85, im Dachgeschoss zu Hause. Seine Leidenschaft für die Kunst wird schon im Treppenhaus sichtbar: An den Betonwänden hängt ein Bild neben dem anderen. Im dritten Stock öffnet der Fotograf, ganz in Weiss und barfuss, die Tür und bittet herein, «in meine Ein-Zimmer-Mansarde ohne Tapete», meint er schmunzelnd. Ein langer Gang, wiederum voll behängt mit Bildern, mündet in einen Loft von beeindruckender Grösse. Im Wohnzimmer könnte man locker Tennis spielen, stünden da nicht der lange Tisch, das türkise Sofa und die Eames Lounge Chairs. Die Panoramafenster von der Decke bis zum Boden bieten eine atemberaubende Aussicht auf den Rhein und das dahinter liegende Elsass. Die Decke ziert ein Druck von Michelangelos Schöpfungsgemälde aus der Sixtinischen Kapelle.
Noch faszinierender sind die drei Wände. Hier ersetzen Bilder und Plastiken die fehlende Tapete. Von Armand bis Tinguely sind namhafte Schweizer und internationale Künstler der Gegenwart vertreten. «Meine Leidenschaft für die Kunst entwickelte ich in der Lehre zum Typografen. Da wurden viele Kunstbücher und Ausstellungskataloge gedruckt, die mich faszinierten. Ich klebte förmlich am Radioapparat, wenn der Direktor des Kunstmuseums seine wöchentlichen Vorträge über berühmte Gemälde hielt.»
In den Basler Museen ist Mansutti damals Stammgast – und bleibt es bis heute. «Zweimal wöchentlich bade ich da meine Augen in Schönheit.» Nach der Lehre fährt er mit der Vespa nach Paris, lernt dort Yves Klein kennen, Tinguely, all die Künstler der Group Zéro. «Die waren damals revolutionär», schwärmt Mansutti. «Sie eröffneten mir eine neue Welt. Ich stammte ja aus einer mausarmen Arbeiterfamilie.»
Aus Zufall zur Fotografie
Mansuttis Vater wandert in den 30er-Jahren von Udine ein, im wahrsten Sinn: zu Fuss! Die vierköpfige Familie wohnt lange in Allschwil BL – zusammen in einem Zimmer. Oft gibts tagelang nur Polenta zu essen. Zu mehr reicht der Hilfsarbeiterlohn des Vaters nicht. «In der Schule wurde ich als Tschinggeli gehänselt», erinnert er sich. Später, als der Starfotograf das noble «Donati» zu seinem Esszimmer gemacht hat, bestellt er da stets Polenta – «noch heute mein Lieblingsessen».
Zur Fotografie kommt Mansutti eher durch Zufall. Man habe ihm eine Kamera gegeben, er habe fotografiert, und die Bilder gefielen. In den frühen Siebzigern macht er viel Werbung. «Da verdiente man Geld wie Heu, der Champagner floss in Strömen!» Drei Jahre arbeitet er für den «Playboy», macht Fotobücher mit Gunter Sachs, hat die schönsten Frauen vor der Linse, geniesst das Jetset-Leben.
Seine Weltsicht ändert sich schlagartig 1974 in Rio. Mansutti ist für ein Bikini-Shooting in Brasilien, als er beim Verlassen eines Gourmetrestaurants Kinder sieht, die in Abfallkübeln nach Essbarem suchen. Mansutti, schwer geschockt, beschliesst, Kindern aus der Armut zu verhelfen, ihnen eine Ausbildung zu finanzieren. Einer der Ersten, die davon profitieren, ist Marcellino. Er ermöglicht dem Sohn einer Putzfrau eine Ausbildung zum Linienpiloten.
Die Zeitsprung-Bilder mit dem kleinen Buben in Latzhosen und dem stolzen Linienpiloten in Uniform sind die einzigen Fotos, die Mansutti aus der Vergangenheit in seiner privaten Bildersammlung aufgehängt hat.
Ein früher Netzwerker
Marcellino ist nur eines der vielen Kinder, die von Mansuttis Engagement profitieren. 1974 gründet der Fotograf die Stiftung Kinder in Brasilien. In den 50 Jahren ihres Bestehens finanziert diese 30 000 Kindern eine Ausbildung.
Zur Geldbeschaffung lässt sich Mansutti so einiges einfallen: Er lädt Tout-Bâle zu Kunstauktionen ins «Atlantis», die Musikkneipe am Klosterberg, die er 1975 gekauft hatte. «Da kam mal in zwei Stunden eine halbe Million zusammen.» Allein ein Bild von Tinguely, das dieser spontan in den Deckel einer Pralinéschachtel gezeichnet hat, erzielt 32 000 Franken. «Der Käufer hat es mir später zurückgegeben, weil mein Name draufsteht. Es hängt heute in meiner Sammlung», erzählt Mansutti. Auch mit den jährlichen Klosterbergfesten kommen enorme Summen zusammen. «Wir schenkten Caipirinha aus, als noch niemand den Drink kannte!» Auch seine Beziehungen zum Daig, der Basler Geldaristokratie, bringen viel Geld in die Stiftungskasse. «Mansutti war ein Netzwerker, ehe es den Begriff überhaupt gab», sagt -minu, legendärer Kolumnist der «Basler Zeitung». Private Essen an -minus Tafel spielen bei Auktionen bis zu 20 000 Franken ein. Zum Thema Geld sinniert Mansutti: «Es hat mich persönlich nie interessiert, kam rein und ging wieder raus. Nur Gelder für die Stiftung habe ich mit viel Aufwand aufgetrieben und mit Sorgfalt verwaltet. Dafür habe ich auch mal als Zampano auf dem Tisch getanzt.»
Sitzt Onorio Mansutti heute in seinem Lieblingssessel, ziehen draussen die Schiffe vorbei und vor seinem geistigen Auge ein aufregendes Leben im Dienst der Schönheit und der zahllosen Kinder, die ihm viel verdanken.