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Besuch beim Berner Glaskünstler Simon Berger

Das Spiel mit der Zerbrechlichkeit

Ein Porträt von Kamala Harris machte Glaskünstler Simon Berger zum internationalen Überflieger – auch in den sozialen Medien, wo ihm Millionen folgen. Das Ziel des Berners sind aber die grossen Museen dieser Welt.

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Simon Berger, Glaskünstler

Materialwechsel: Vor acht Jahren findet der gelernte Schreiner zur Kunst mit Glas. Sein Traum: «Ich möchte mal ein Haus bauen.»

Kurt Reichenbach

Wüsste man es nicht besser, könnte man denken, Simon Berger (48) arbeite auf dem Bau. Er trägt eine schwere Arbeitshose, die Knie mit Schonern verstärkt, Pamir über den Ohren, Hammer in der Hand. So entsteht seine Kunst: Er hämmert auf eine Glasscheibe ein, so präzise, dass sich genau wie gewünscht Sprünge bilden. Ein Gesicht entsteht. Zwischen 100 und 12'000 feine Schläge braucht er für ein Bild. Viel Vorbereitung und Konzentration gehören dazu und immer auch Misserfolge. Davon zeugt die Mulde vor dem Atelier. «Manchmal kommt das Bild da rein, manchmal in den Rahmen», sagt Berger trocken.

Seit 2016 macht der gelernte Schreiner Kunst mit Glas und Hammer, spielt mit Zerbrechlichkeit und Transparenz des Materials. Der Hammer wird in seinen Händen zum filigranen Hilfsmittel. Er arbeitet mit Verbundglas, das er selbst zuschneidet – «die Fabrik schneidet nicht so schön». Berger ist ein Perfektionist. Seine Porträts zeigen fast stets universelle weibliche Gesichter, die er mithilfe von künstlicher Intelligenz generiert. Durch die Zersplitterung wird deren Schönheit aufgelöst.

Simon Berger, Glaskünstler

In den Räumen der ehemaligen Wollzentrale in Niederönz BE hat Berger einen Lagerraum mit Material für nächste Projekte und eine kleine Schreinerei eingerichtet.

Kurt Reichenbach

Vom Tagträumer zum Macher

Während Simon Berger die letzten Werke für seine aktuelle Ausstellung fertigstellt, kommt Florian Paul Koenig (33) ins Atelier in Niederönz BE. «Ich habe dir schon einen Kaffee gemacht», begrüsst Berger seinen Manager. Die beiden arbeiten seit drei Jahren zusammen, seit dem Moment, als ein Auftrag aus den USA Simon Berger international bekannt macht: 2021 erstellt er für das National Women’s History Museum ein gläsernes Porträt der US-Vizepräsidentin Kamala Harris. Simon Berger kann die Anfragen aus aller Welt zu jener Zeit nicht mehr selbst beantworten und ruft Florian Paul Koenig an. Dieser ist Gründer der Künstleragentur NOA contemporary und unterstützt Kunstschaffende bei ihrer strategischen Positionierung. «Ich habe Florian gesagt: ‹Mach einfach.› Ich war überfordert mit der Aufmerksamkeit», erzählt Simon Berger. Auch Koenig erinnert sich an die gemeinsamen Anfänge: «Ich habe sofort gemerkt, dass Simon ein Macher ist. Wie ein Sportler, der für Olympia trainiert, will er so weit wie möglich kommen.» Seitdem planen sie Bergers Karriere, telefonieren täglich. Berger habe das Talent, die richtigen Leute ins Team zu holen, sagt Florian Paul Koenig. Und: «Er will ihre Meinungen auch hören, das unterscheidet ihn von anderen.»

Simon Berger, Glaskünstler

«Mach es einfach»: Simon Berger mag den Slogan auf seinem T-Shirt: «Er passt zu mir, ich bin ein Macher», sagt er.

Kurt Reichenbach

Art Basel Miami, USA. Bangkok, Thailand. Santo Domingo, Dominikanische Republik. Simon Berger zeigt seine Kunst auf der ganzen Welt. «Die meisten Anfragen kommen aus dem Ausland», sagt Manager Koenig. Trotzdem legt er Wert darauf, in seiner Heimat vertreten zu sein. So wie mit dem haushohen Kunstwerk auf der Fassade des Oberstufenschulhauses Herzogenbuchsee, wo er einst selbst die Schulbank gedrückt hat. Ist er gern zur Schule gegangen? Sein «Nein» kommt in Sekundenschnelle. «Ich war ein Tagträumer.» Für das Gesicht auf der Glasfront hat er mehrere Scheiben zusammengesetzt, fast 500 Kilo schwer ist das Gesamtwerk. Eine versöhnliche Arbeit: «Ich hatte freie Hand bei der Gestaltung. Sie sagten mir, ich sei die Geschichte hinter dem Kunstwerk, weil ich meinen Weg gegangen bin.» Das Werk mit dem Namen «Lebe deinen Traum» soll Schülerinnen und Schüler zum Glauben an sich selbst motivieren.

Simon Berger, Glaskünstler, SI Story 2024 Kamala Harris am Lincoln Memorial.

Bergers Porträt von US-Vizepräsidentin Kamala Harris steht 2021 drei Tage lang am Lincoln Memorial in Washington (USA) – und machte ihn auf einen Schlag bekannt.

ZVG

Tiefe Wurzeln, grosse Ziele

Simon Bergers Kunst ist international, sein privater Radius klein: Er wohnt und arbeitet unter ein- und demselben Dach. In Sichtweite davon ist er aufgewachsen. Geheiratet hat er seine Jugendliebe Nadja (41). Zusammen haben sie Töchterchen Lia (3). Berger hat regelmässig Zwölf-Stunden-Tage, sagt, er gebe alles für seine Kunst. Doch: «Jeden Abend esse ich Znacht mit der Familie, und am Sonntagnachmittag bin ich bei Lia und Nadja. Das ist mir heilig.»

Zwischen Kunst und Familie bleibt wenig Freizeit, doch wenn, dann findet sie in seinem Mikrokosmos statt: In einem Lagerraum finden seine Bubenträume Platz. In einer Reihe stehen zehn alte Töffli, «eines hat meinen Jahrgang, eines ist ein altes Pöstler-Töffli». Will er den Kopf lüften, tüftelt er an ihnen herum. In einem Gestell warten ferngesteuerte Autos, teilweise ebenfalls von ihm selbst «zwäg gemacht». Kurze Momente, in denen Simon Berger abtaucht. Ehe er sich gleich wieder voll auf den Kunst-Olymp konzentriert. «Im Louvre in Paris oder im Museum of Modern Art in New York würde ich gern ausstellen», sagt er.

Allerdings müssen sich auch solch renommierte Häuser hinten anstellen: Simon Bergers Agenda ist bis Ende 2025 voll. Momentan kann man seine Kunst für einmal in der Schweiz bestaunen: «Lasting Moment» gibts bis 15. September 2024 in der Galerie Laurent Marthaler Contemporary in Montreux VD.

Simon Berger, Glaskünstler

Wenn die Karrieregestaltung auch Spass macht: Berger fordert seinen Manager Florian Paul Koenig (l.) zum Rennen mit ferngesteuerten Autos heraus.

Kurt Reichenbach
Simon Berger, Glaskünstler

Einst ein verträumter Schüler, ist er seinen Weg unbeirrt gegangen: Simon Berger (l.) erklärt sein Kunstwerk an der Oberstufenschule Herzogenbuchsee.

Kurt Reichenbach
Von Manuela Donati am 28. Juli 2024 - 12:00 Uhr