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Bernhard Russi zur Skigebiets-Debatte

«Der Gast wird mehr Platz haben»

Er ist der Inbegriff des Schweizer Skisports. Doch wegen Corona akzeptiert Bernhard Russi auch Einschränkungen. Wie er die Zukunft des Skisports sieht, weshalb Stille Druck erzeugen kann – und wieso er sich impfen lässt.

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Bernhard Russi

Bernhard Russi in seiner Skibeiz «Wachthuus» im Skigebiet Andermatt Gütsch, die er im Dezember 2019 eröffnet hat.

Kurt Reichenbach

Knapp 2300 Meter über Meer. Die Terrasse des «Wachthuus»in Gütsch oberhalb von Andermatt UR liegt tief unter dem Schnee begraben, drinnen herrscht geschäftiges Chaos: Am Wochenende geht die Saison los – wie diese aussehen wird, ist noch ungewiss. Bernhard Russi, 72, der die Pistenbeiz vor einem Jahr eröffnet hat, macht sich Gedanken zum Corona-Winter.

Bernhard Russi, wie wäre für Sie ein Winter ohne Skifahren?
Wie ohne Sauerstoff. Nein, ich muss präzisieren: Einen Winter ohne Schnee würde ich so empfinden. Das Skifahren ist relativ, da gibts für mich auch noch andere Aktionen. Aber ich könnte mir nicht vorstellen, je einen Winter aufzugeben und nach Australien zu gehen.

Wie stehen Sie zur Entscheidung, dass man in der Schweiz weiter Ski fahren darf diesen Winter?
Meine grundsätzliche Einstellung: Wir haben diese Pandemie. Und wir haben Leute, die die Sache verstehen, und solche, die Entscheide fällen und die Verantwortung haben. Und da möchte ich mich überhaupt nicht einmischen. Was soll ich mir Gedanken machen über Dinge, für die es Leute gibt, die viel mehr wissen als ich? Entsprechend befolge ich die Regeln so gut wie möglich. Zurück zur Frage: Grundsätzlich glaube ich, dass es keine bessere Medizin gibt, als wenn man den Menschen die Möglichkeit gibt, in die Natur rauszugehen und sich dort zu bewegen. Solange unsere Konzepte «verheben», und das ist entscheidend, können wir es so machen. Aber: Wir dürfen nicht glauben, dass es ein Gratiswettbewerb ist. Es kann sich von heute auf morgen drastisch ändern – was ich auch wie-der verstehen würde. Andermatt ist nahe bei Italien, wir sollten uns daran erinnern, wie wir gebibbert haben, als wir die Bilder sahen, wo die Leute vor den Spitälern deponiert wurden, weil sie keinen Platz mehr hatten.

Macht Corona Ihnen Angst?
Wie soll ich sagen …? Ich bin in dieser Beziehung schon ein wenig Fatalist. Ich habe weniger Angst um mich als um die Tatsache, dass dieses verdammte Ruder nicht in den Griff gebracht werden kann. Das ist das, was mich beklemmt. Um mich selber Angst habe ich nicht. Aber: Ich geb mir alle Mühe.

Bernhard Russi

Bernhard Russi am Schneeschleudern vor seiner Pistenbeiz Wachthuus. Er packt regelmässig mit an.

Kurt Reichenbach

«Ich fühle mich ein wenig high, wenn ich auf einem Berg den Druck der Stille spüre»

Werden Sie sich impfen lassen?
Ein klares Ja! Mein Sohn ist Arzt, meine Schwägerin ist Ärztin, mein Hausarzt ist dafür – was soll ich mir noch mehr Gedanken darüber machen? Ich muss mich doch auf irgendwen, der mehr weiss, verlassen können! Und dann kommt wieder ein gewisser Fatalismus. Alles, was wir tun, hat ein Restrisiko.

Wie schlimm ist es finanziell für Ihre Skihütte Wachthuus, wenn Sie sie über die Festtage zumachen müssten – oder an den Sonntagen? 
Wir werden wohl ungefähr 30 Prozent weniger Plätze aktivieren, was kein grosses Problem ist. Ich sags mal so: Wenn du geldgierig bist, ist es ein Problem. Aber das sind wir nicht. Ich glaube, der Gast wird profitieren: Er wird mehr Platz, mehr Ruhe haben, er muss seinen Platz reservieren und weiss, dass er dann kommen kann und kein Gstürm hat. Ich glaube, es ist ein besseres Gefühl. 

Dasselbe gilt auch bei den Bergbahnen: Man reserviert sich seine Fahrt.
Ich stand heute Morgen an der Gemsstockbahn an – es ist der Frieden! Wenn du früher dort bist, musst du nicht auf der Treppe anstehen, sondern draussen verteilt, bis die Lautsprecherdurchsage kommt. Ich glaube sogar, dass man aus dieser Stimmung die Lehren ziehen wird und versucht, das weiterzuziehen.

Ist das die Zukunft des Skisports?
Ja, von mir aus gesehen wird sich das kontrollierte Konsumieren durchsetzen. Das ist ja ohnehin schon im Gang mit den Smartphones. Die grosse Gefahr ist, dass es elitärer wird, teurer. Wenn du deine Spitzentage nur noch zu 60 Prozent auslasten willst, musst du die Kosten ja trotzdem decken.

Wie nehmen Sie die Stimmung wahr bei den Hoteliers, dem Gastgewerbe im Dorf und im Skigebiet?
Ich muss eingestehen: Andermatt ist einer dieser Skiorte in der Schweiz, die nicht auf die grosse Masse von Ausländern angewiesen sind. Die hatten wir auch vor Corona nie. Und im Sommer wurden wir überschwemmt! Andermatt hatte vermutlich die beste Sommersaison je. Aber die Planungsunsicherheit, die Frage, wie es weitergeht, die herrscht auch hier. Unser Hüttenwart hat zehn Leute hier, der rief mich an und fragte: Wie viele soll ich kommen lassen? Der ist immer noch auf Nadeln, denn es kann nächste Woche schon wieder anders sein!

Bernhard Russi

Blick in die Zukunft: Russi glaubt, dass alles ruhiger und kontrollierter wird auf der Piste –
etwa durch Reservationen.

Kurt Reichenbach

Was kann das Skifahren den Menschen gerade jetzt geben? Entdecken mehr Städter nun die Berge?
Ja, ich bin hundertprozentig sicher, dass der Wunsch da ist, rauszugehen und etwas Neues zu probieren. Das sah man im Frühling. Als die Bergbahnen schlossen, hast du eine schwarze Kolonne den Gemsstock rauf gesehen! Da liefen Leute mit Fellen hoch, die kaum auf den Ski stehen konnten! Oder sie gingen einfach spazieren und wandern. Die wollten in die Berge, an die Luft, ins Element. 

Reinhold Messner sagte in einem Interview mit der NZZ, dass die Leute in die Berge wollen, aber dann die Stille nicht ertragen – und deshalb gibts den Massentourismus in den Hotspots. Teilen Sie diese Ansicht?
Ich kann nachvollziehen, dass man die Stille nicht erträgt. Wenn du ganz alleine auf einem Berg bist, und da gibts nichts, kein Mensch, keinen Flieger, dann hörst du plötzlich diese Stille. Und die wird auch für uns fast unerträglich. Man spürt sie wie einen Druck. Aber ich kenne und mag das. Für mich ist das wie eine Droge, ich fühle mich ein bisschen high, wenn ich den Druck der Stille spüre. Ich hab auch schon gesummt, weil es mir etwas zu viel wurde. Du wirst dann auch melancholisch, ein wenig traurig. Oben im «Wachthuus», unserer Hütte, spielen wir bis Mittag nur klassische Musik. Um dem Gast zu sagen: Komm zu uns, sitz hin, nimm deinen Kaffee, und fahr erst mal runter.

Sind die Berge immer noch der gleiche Kraftort für Sie wie immer? 
Ja. Und es hört nicht auf. Wenn du morgens aufstehst und dieses Licht siehst, das einfach jeden Tag anders ist. Die Berge sind das, was uns auf der einen Seite umkreist und beschützt – anderseits sind sie eine Gefahr. Damit sind wir aufgewachsen. Es kommen Steine runter, Lawinen. Man geht zwar rauf, aber es stürzen immer wieder Leute ab. Und trotzdem geht man immer wieder. Ich behaupte sogar, dass es bei mir stärker wurde, seit mein Leben ruhiger wurde. Ich bin zwar noch immer ein Abenteurer und würde gerne wiedermal etwas Neues sehen, aber mir fehlen Thailand und Rimini gar nicht.

Bernhard Russi

Russi im «Wachthuus». Vor einem Jahr eröffnete er die Hütte. «Wir hatten einen fantastischen ersten Winter.»

Kurt Reichenbach

«Ich bin sicher, dass der Wunsch da ist, rauszugehen und Neues auszuprobieren»

Inwiefern bedeutet Skifahren Freiheit für Sie, und was bedeutet es, wenn uns diese genommen würde?
Für mich ganz persönlich wäre es kein Problem, wenn die Bahn morgen zugehen würde. Am Tag der Schliessung im März montierten Mari und ich die Felle, liefen viereinhalb Stunden bis zu unserer privaten Hütte. Am nächsten Tag bekam ich ein SMS von meinem Sohn: Du darfst nicht mehr heimkommen. Der Kanton Uri hatte eine Ausgangssperre für über 65-Jährige. Also blieben wir drei Wochen dort.

Wie ging es Ihnen in diesem Jahr, was waren die persönlichen Herausforderungen, Ihr Befinden?
Es gab Situationen, in denen man in Versuchung kam: Hey, wir könnten doch mit der Clique Nachtessen gehen. Aber da habe ich ein gutes Umfeld, es gab immer einen, der sagte: «Hey, gopferduri, wisst ihr auch, in welcher Zeit wir sind?» Aber das sind kleine Sachen. Ich habe extrem viel Sport getrieben, war in der Natur. Und hatte extrem viele Freiheiten dadurch, dass ich automatisch weniger Engagements und Verpflichtungen hatte. Das war immer wunderschön: endlich etwas weniger!

Wie haben Sie zu Ihren Freunden Kontakt behalten dieses Jahr?
Es fiel mir auf, dass alle viel mehr telefonierten. Hansi Hinterseer etwa rief an. Um dem anderen zu zeigen: Es interessiert mich, wie es dir geht. Die Freundschaften wurden meiner Meinung nach verstärkt, wurden ehrlicher.

Und in der Beziehung? 
Als Härtetest hatten wir gleich zu Beginn diese drei Wochen in der Hütte oben. Aber gäll, wenn du die gleichen Interessen und die gleichen Sachen gern hast, ist es natürlich ein Paradies und wirklich schön und gut.

Von Eva Breitenstein am 11. Dezember 2020 - 12:00 Uhr