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Christine Schraner Burgener

Die Schweizer Hoffnung für Myanmar

Botschafterin, Uno-Sonderbeauftragte und ab 2022 oberste Asylbeamtin. Christine Schraner Burgener hat keine Angst vor grossen Aufgaben. Jetzt will sie nach ­Myanmar reisen – und die Militärjunta zur Vernunft bringen.

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Christine Schraner Burgener, Botschafterin, UNO-Sonderbeauftragte, Bern, März 2021, SI 11/2021

«Ab 16 Grad geh ich schwimmen.» Wenn Christine Schraner Burgener ein paar Tage daheim in Bern ist, trifft man sie an und in der Aare.

Monika Flückiger

Schnell Kopf lüften an der Aare. Einatmen. Ausatmen. In die zaghafte Sonne blinzeln. «Läck, tut das gut», sagt Christine Schraner Burgener. Die 57-Jährige, zuvor Schweizer Botschafterin in Bangkok und Berlin, ist seit 2018 Sondergesandte der Vereinten Nationen. Im Auftrag von Generalsekretär António Guterres soll sie Frieden stiften im südostasiatischen Myanmar, wie Burma heute heisst.

Ein Ziel, dem sich die Top-Diplomatin beharrlich genähert hatte – das nun aber mit dem Putsch vom 1. Februar in weite Ferne gerückt ist. Armeechef Min Aung Hlaing hat die demokratisch gewählte Regierung unter Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi abgesetzt, schlägt die Proteste der Bevölkerung blutig nieder.

Christine Schraner Burgener, Botschafterin, UNO-Sonderbeauftragte, Bern, März 2021, SI 11/2021

Zweirad statt Limousine. Schon in Berlin war Schraner Burgener die «Fahrrad-Botschafterin».

Monika Flückiger

Fast 20 Stunden am Tag sitzt Schraner Burgener seither in ihrem Homeoffice am Computer oder am Telefon, spricht mit ihren Kontakten in Myanmar und am Uno-Hauptsitz in New York, mahnt die burmesischen Generäle auch noch morgens um drei Uhr zur Vernunft, gibt Interviews. CNN, BBC – und jetzt die «Schweizer Illustrierte». «Kommt rein», sagt sie, «Schuhe ausziehen wär nicht schlecht, wir wohnen ziemlich asiatisch.» 

Aufgewachsen in Asien

Ihre Kindheit in Japan und die Jahre in Thailand haben Spuren hinterlassen: Asiatische Möbel, Vasen und Skulpturen prägen das Daheim von Christine Schraner Burgener, eine verwinkelte Wohnung mitten in Bern. Hier lebt sie mit Ehemann Christoph, Botschaftsinspektor, und Sohn Vincent, 22, Wirtschaftsstudent. Tochter Justine, 24 und Juristin, ist in Berlin geblieben.

Christine Schraner Burgener, Botschafterin, UNO-Sonderbeauftragte, Bern, März 2021, SI 11/2021

Homeoffice: In ihrem Wohnzimmer in Bern telefoniert Christine Schraner Burgener mit Regierungschefs, Generälen und der Zivilbevölkerung. 

Monika Flückiger

«Will jemand ein Stück Nusstorte?» Doris (ihre ehemalige Studienkollegin Doris Leuthard) habe ihr diese aus dem Bündnerland mitgebracht – eine von vielen Freundinnen, zu denen Schraner Burgener auch vom Ausland aus Kontakt gehalten hat. Zum Mittagessen kommt die Uno-Sonderbeauftragte selten, «manchmal kocht mir Vincent was oder stellt mir einen Spinat-Smoothie hin». Auch jetzt klingelt wieder das Telefon: China und Russland verurteilen den Militärputsch und wünschen, dass Christine Schraner Burgener so schnell wie möglich nach Myanmar reist, um zu vermitteln.

Sie ist weltweit die einzige Diplomatin, die über die letzten Jahre mit beiden Konfliktparteien einen engen Kontakt aufgebaut hat, war zudem massgeblich daran beteiligt, dass eine Konfliktlösung mit den Rohingya, der verfolgten muslimischen Minderheit Myanmars, aufgegleist wurde. 

Christine Schraner Burgener, Botschafterin, UNO-Sonderbeauftragte, Premierminstierin Aung San Suu Kyi, Napypyidaw Myanmar 13.06.2018, SI 11/2021

Enge Bande für ein demokratisches Myanmar. Uno-Gesandte Schraner Burgener und Premierministerin Aung San Suu Kyi.

AFP

Zackig startet «Christine», wie sie alle nennen, mit der Flugplanung. «Solange die Bevölkerung noch auf der Strasse ist und demonstriert, hat das Militär nicht gewonnen. Dieses Momentum müssen wir nutzen», sagt sie. In heiklen Situationen ersetze nichts das persönliche Gespräch. «Und Angst hab ich sowieso selten.» 

«Ich wusste nicht, wo ich bin»

Vor Corona sass Christine Schraner Burgener ständig im Flieger, war nur zum Umpacken in Bern: Jeweils für mehrere Wochen reiste sie nach Myanmar oder an den Uno-Hauptsitz in New York, besuchte die ASEAN-Länder oder Peking, Moskau, London, Paris und Washington – die P5, wie die permanenten Mitglieder des Uno-Sicherheitsrats genannt werden. «Morgens im Hotelbett wusste ich oft nicht, wo ich gerade bin.» Länger als vier Jahre halte man so eine Belastung nicht aus. «Ich kann kaum schlafen, weil alle immer auf Lösungen warten.»

Bis Ende 2021 ist sie noch im Dienst der Uno. Ab 2022 wartet eine neue Herausforderung auf Schraner Burgener: Sie wird Staatssekretärin für Migration unter Bundesrätin Karin Keller-Sutter. «Der Job beinhaltet alles, was ich gern mache – man besucht Nachbarländer, reist nach Brüssel, verhandelt, gestaltet. Und ich freue mich darauf, nach 27 Jahren, in denen ich die Schweizer Interessen im Ausland vertreten habe, nun komplett in die Innenpolitik einzutauchen.» 

«Dann haben wir Krieg»

Bevor sie das Amt der Asylchefin mit 1300 Mitarbeitenden übernimmt, will sie noch ihr Italienisch aufpolieren. Die in Meiringen geborene Tochter eines Swissair-Technikers spricht Japanisch und etwas Thai. Auch Burmesisch wollte
sie lernen – «aber ich hab kein gutes Lehrbuch gefunden, und für Unterricht fehlte die Zeit».


Ihre Botschaften sind auch so deutlich genug: Wenn das Militär jetzt nicht einlenkt, könnten sich bewaffnete ethnische Gruppierungen am Protest der Bevölkerung beteiligen. «Dann haben wir Krieg.» Also packt Christine Schraner Burgener mal wieder die Koffer. Und macht sich bereit für das, was sie so unglaublich gut kann: Brücken bauen, wo keine sind.

«Ich frage nicht. Ich gehe einfach»

Frau Schraner Burgener, in den letzten drei Jahren haben Sie zwischen Militärjunta und Regierungspartei vermittelt, gaben aber selten öffentlich Auskunft. Jetzt ändern Sie die -Strategie, beziehen klar Stellung. Warum?

Es geht nicht mehr darum, Vertrauen zwischen den Akteuren aufzubauen. Jetzt kann und muss ich lauter werden. Ich erhalte täglich bis zu 2000 Nachrichten und Videos von meinen Kontakten in Myanmar, und was ich da sehe, ist zutiefst schockierend: Schergen der Armee halten Krankenwagen an und prügeln Sanitäter zu Tode, sie kesseln Demonstranten ein und lassen sie bis zur Sperrstunde nicht gehen – damit sie dann eine vermeintliche Rechtfertigung haben, auf sie zu schiessen. Das sind inakzeptable Menschenrechtsverletzungen, für die ich auch in meinen Nachrichten an den stellvertretenden Armeeführer deutliche Worte finde. 

Und was antwortet er?

Im Gegensatz zu General Min Aung Hlaing hört mich sein Stellvertreter wenigstens an. Hier liegt meine Hoffnung. Sobald ich vor Ort bin, werde ich versuchen, mit ihm zu sprechen.

Dürfen Sie denn überhaupt einreisen?

Ich frage nicht. Ich gehe einfach. Ich habe ein Jahresvisum, ein Büro vor Ort. Sie werden sicher versuchen, mich hinzuhalten und mir Steine in den Weg zu legen. Aber ich werde alles daransetzen, mit allen Akteuren sprechen zu können. 

Mit Regierungschefin Aung San Suu Kyi pflegten Sie engen Kontakt, wollten am 3. Februar telefonieren. Am 1. wurde sie verhaftet, unter Hausarrest gestellt. Konnten Sie mit ihr sprechen?

Niemand konnte mit ihr sprechen, nicht mal ihr Anwalt. Aber er hat Videoaufnahmen von ihr gesehen. Darauf wirkte sie gesund – und sehr entschlossen. Eine Aung San Suu Kyi gibt nicht auf. 

Von Nina Siegrist am 21. März 2021 - 08:17 Uhr